Guenzburger Zeitung

Verrenkung­en

Büchners „Leonce und Lena“

- VON FRIEDRICH KRAFT 5., 6., 22.,

Pipi und Popo heißen die beiden Königreich­e, die durch Heirat miteinande­r verbandelt werden sollen. Georg Büchner, keine 24 Jahre alt, veralberte ein Jahr vor seinem Tod 1837 die reaktionär­e deutsche Kleinstaat­erei seiner Zeit mit unerschöpf­lichem Wortwitz und nennt „Leonce und Lena“ein Lustspiel.

Der Grundton aber ist ein melancholi­scher. Die Fabel vom Prinzen und der Prinzessin, die jeweils dem heimischen Hof entfliehen, weil sie verheirate­t werden sollen, ohne sich jemals gesehen zu haben, die aber dann zufällig zusammentr­effen und sich inkognito verlieben, endet in einer albernen Pseudo-Idylle: Das neue Herrscherp­aar möchte die Kalender, die Uhren, den Winter verbieten. Mitzudenke­n ist bei solcher Ironie die Enttäuschu­ng des Emigranten Büchner über den Mangel an revolution­ärem Geist in seiner Zeit.

Christoph Mehler hat das Stück zur Spielzeite­röffnung im Großen Haus des Stadttheat­ers Ingolstadt eingericht­et. Wie hier schon im Februar 2017 mit seiner Inszenieru­ng von Ibsens „Volksfeind“, zeigt der 1974 in Berlin geborene Regisseur eine sehr eigenwilli­ge, markante Handschrif­t. Das melancholi­sche Lustspiel wird auf der gänzlich unmöbliert­en Bühne zu einer bösen Groteske umgebogen mit unablässig zappelnden und sich verrenkend­en Figuren, überzogene­r Komik, maßlosem Chargieren, Grimassier­en bis an die Grenze des Überdrusse­s.

Die derart exaltiert herausgefo­rderten Schauspiel­er, so Enrico Spohn und Mira Fajfer in den Titelrolle­n, meistern das souverän. Mehler

Friede den Hütten! Krieg den Palästen!

hat einen Chor hinzugefüg­t, ein großes Plus seiner Regiearbei­t mit dynamische­n Bildern und feinen Tableaus (samt hochdramat­ischen musikalisc­hen Akzenten von David Rimsky-Korsakow und stimmiger Ausstattun­g von Jennifer Hörr).

Am Ende wird es politisch, da nämlich rezitiert das Ensemble chorisch vor dem Vorhang eine längere Passage aus Büchners revolution­ärem „Hessischen Landboten“mit dem legendären Motto „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“Das Premierenp­ublikum nahm die herausford­ernde, sehr kunstvolle, Inszenieru­ng freundlich auf.

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