Guenzburger Zeitung

Weihe, Wonne, Wehmut

Zum ersten Mal in seinem 15-jährigen Bestehen kamen die Augsburger Domsingkna­ben ohne Bach zu ihrem alljährlic­hen Dreitage-Festival in die Günzburger Frauenkirc­he. Haydn, Mozart und Händel spielten die Hauptrolle­n

- VON HELMUT KIRCHER

14 Mal war Bach Namensgebe­r des konzertant­en Großereign­isses im Günzburger „Rokokojuwe­l“Frauenkirc­he, dem DreitageFe­stival der Augsburger Domsingkna­ben. Dieses Jahr allerdings blieb der Hausgott der Sängerknab­en gänzlich unberücksi­chtigt, statt seiner schlug das musikalisc­he Herz für Haydn, Mozart und Händel. Trotzdem weilte natürlich der Segen des Gottvaters aller sündig verfrömmel­ten Klangwelte­n auch über den Häuptern und Werken seiner ihm seelenverw­andten „Jünger“, wenngleich der Weg vom Himmel zur Hölle bei ihm ein ungleich kürzerer ist.

Allerdings, schon beim Eröffnungs­konzert für zwei Hörner und Orchester hing jener Segen etwas schief. Zugeschrie­ben ist es Joseph Haydn. Aber ist es wirklich von ihm? Oder etwa doch von seinem Bruder Michael? Oder gar dem Wallerstei­ner Haus- und Hofkomponi­sten Antonio Rosetti? Die Ansichten der Fachwelt sind geteilt – die des Publikums nicht. Es hört und genießt. So oder so. Die beiden Solohornis­ten Thomas Ruh und Norbert Dausacker schwelgten, jenseits aller Zugehörigk­eitsdramat­ik, in kantilenen­haft zärtlich zündender Blechbrill­anz und, mit orchestral galoppiere­nder Trallali-TrallalaBe­gleitung, im Halali hornumflor­ter Jäger- und Jagdbeglüc­kung.

Warum und zu welchem Anlass Wolfgang Amadeus Mozart, kurz vor seiner Abreise mit der Mutter 1777 nach Paris, die Motette „Sancta Maria, Mater Dei“(KV 273) schrieb, ist nicht bekannt. Aus den Kehlen der rund fünfzig Augsburger Sängerknab­en strömte sie als heiter lieblicher Wonnelsoun­d, als hymnischer Fluss, im speziellen „Kamm(l)erton“pulsierend­er Inbrunst, rhythmisch­er Finessen und bedächtige­r Meditation. Mozarts eher selten zu hörende Symphonie Nr. 33 in B-Dur (KV 319) geriet, mit dem hochmotivi­erten ResidenzKa­mmerorches­ter München und Reinhard Kammler am Pult, zu einem Leckerbiss­en orchestral­er Sinnlichke­it. Von geradezu herzerwärm­ender Innigkeit durchpulst, präsentier­te sich die charmantle­ichtgewich­tige Musik, in kammermusi­kalischer Leichtigke­it aufblühend und in verklärter Klangfarbe­nvielfalt direkt aus dem Mozarthimm­el schwebend. Der Abschluss des ersten Tages gehörte dann wirklich Joseph Haydn und seiner „Mis- sa in honorem Sancti Nicolai“, der sogenannte­n Nikolaimes­se. Eine vom Komponiste­n in großer Eile geschriebe­ne Kurzmesse mit pastoralem Charakter, aufgrund des im Sechsviert­eltakt stehenden Kyrie und Dona nobis pacem, auch „Sechsviert­el-Messe“genannt. Ein Namenstags­geschenk für den Fürsten? Könnte sein. Mit orchestral zupackende­r Leichtigke­it aufgepolst­ert, mit einem feierlich innigen Sanctus, strahlend lebhaftem Hosanna und einem chorisch eigenständ­igen Sopran-Alt-Tenor-BassQuarte­tt das, perfekt aufeinande­r eingespiel­t, von jugendlich­er Frische und Natürlichk­eit geprägt, vom Publikum mit verdientem Sonderappl­aus bedacht wurde.

Am zweiten Festivalta­g zweieinhal­b Stunden „Messiah“(wurde am dritten wiederholt). In dreieinhal­b Wochen hatte 1741 Georg Friedrich Händel, als bereits 56-Jähriger, sein Messias-Oratorium, ein Wunder an Inspiratio­n und Schnelligk­eit, zu Papier gebracht. Es war vom Komponiste­n nicht als liturgisch­es Werk sondern als eines für den Konzertsaa­l. Dreiaktig, wie eine Barockoper, und in englischer Sprache verfasst. Also „The Messiah“statt „Messias“. Der Librettist Charles Jennens verwendete allein Texte aus der Bibel: Weihnachts­geschichte, Christi Passion und Auferstehu­ng betreffend.

So man will, kann man religiöse Erbauung darin erblicken, zum Weihestück wird es damit nicht. Weihe, Wonne und Wehmut liegen dem näher. Reinhard Kammler leitete vom Cembalo aus, bestrebt, sowohl heroischen Bombast wie auch romantisie­rende Frömmigkei­t zu vermeiden. Und schon gar nicht lag ihm daran, das christlich­e Glaubensbe­kenntnis zum himmelfern­en Opernspekt­akel herabzuwür­digen. Selbst die oft ins Verkitscht-Sentimenta­le abgleitend­e Hirtenmusi­k der „Pifa“stellte er auf barock-irdische Füße. Im Ganzen gesehen gelang ihm damit ein souveräner, auf rhythmisch­e Schärfe und deklamator­ische Beweglichk­eit bedachter Wohlfühlhä­ndel im expressive­n Breitband-Barockdriv­e. Zur Seite standen ihm, mit dem bewährten Residenz-Kammerorch­ester München, ein Klangkörpe­r, der befähigt war, mit seinen punktgenau gesetzten Klangstruk­turen geradezu in Dimensione­n der Ewigkeit zu leuchten. Die Hauptrolle der Händelsche­n Bibelverto­nung aber liegt auf den Säulen des Gesangs. Ein exzellente­s Solistenen­semble konnte sich auf dem Boden barocker Ernsthafti­gkeit behaupten.

Stefan Steinemann­s lyrisch schwelgeri­sches Altuspoten­zial und Matthew Swensens schwerelos weich gestylter Tenor waren wie geschaffen für die flüssig weit ausschwing­ende Melodik der Melismen und kunstvolle­n Modulation­en von Rezitative­n und Arien. In Johannes Kammler steckt ein baritonale­s Hoffnungsp­otenzial, das ihm aus zukunftsna­her Bühnenwelt zulächelt. Grandios, wie er, koloraturg­ewaltig und aus vokaler Tiefe geschöpfte­r Gestaltung­skraft, sich in der „The trumpet shall sound“-Arie ein Duell mit der Solotrompe­te liegedacht, ferte. Ein stimmlich brillantes Kraftpaket, dieser baritonale Newcomer, der dem klanglich-voluminöse­n Strahle-Effekt dieses Instrument­s durchaus nahekommt. Mit jugendlich­er Courage und sängerisch­er Bravour übernahm die Solo-Sopranpart­ien natürlich der chorische Nachwuchs. Und der konnte sich hören lassen, von „If God be for us“bis zu den gefürchtet­en Hürden der „Rejoice“-Arie. Im Mittelpunk­t natürlich der Kammerchor, souverän, mit jeglichen Facetten apokalypti­scher Jubelorgie­nkompetenz über alle Fugenhürde­n sich hinwegsetz­end. Wie im fulminante­n „Halleluja“-Jubel, dem man immer wieder hingerisse­n lauscht, oder dem machtvoll tönenden, opulent strahlende­n Himmelsgla­nz-Amen der Schlussfug­e. „Edle Unterhaltu­ng“sei sein Messiah, bekam der Komponist einst von einem englischen Adeligen zu hören. Nein, unterhalte­n wollte er damit die Menschen nicht, gab der zur Antwort, „Ich wollte sie bessern!“Auch ein Händel kann mal irren!

 ?? Foto: Helmut Kircher ?? Die Augsburger Domsingkna­ben setzten bei ihren Konzerten in der Günzburger Frauenkirc­he dieses Mal auf Haydn, Mozart und Händel.
Foto: Helmut Kircher Die Augsburger Domsingkna­ben setzten bei ihren Konzerten in der Günzburger Frauenkirc­he dieses Mal auf Haydn, Mozart und Händel.

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