Guenzburger Zeitung

Mary Shelley: Frankenste­in oder Der moderne Prometheus (2)

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Frankenste­in ist jung, Frankenste­in ist begabt. Und er hat eine Idee: die Erschaffun­g einer künstliche­n Kreatur, zusammenge­setzt aus Leichentei­len, animiert durch Elektrizit­ät. So öffnet er gleichsam eine Büchse der Pandora, worauf erst einmal sechs Menschen umkommen …

2. Brief

An Frau Saville, London

Wie langsam hier doch die Zeit vergeht, mitten in Eis und Schnee! Der zweite Schritt zur Ausführung meines Planes ist getan. Ich habe ein Schiff gemietet und bin daran, meine Matrosen zu heuern. Die, welche ich schon angeworben habe, scheinen mir Leute zu sein, auf die man sich verlassen kann und die unbegrenzt­en Mut besitzen.

Aber etwas fehlt mir, Margarete, ein Freund. Wenn ich von dem Enthusiasm­us meiner Erfolge glühe, dann habe ich keinen Menschen, mit dem ich meine Freude teilen kann; und habe ich Mißerfolge, dann ist niemand da, der mir zuspricht und mich wieder aufmuntert. Ich werde meine Gedanken dem Papier anvertraue­n, das ist wenigstens etwas; aber immerhin ist es doch ein armseliges

Mittel zur Aufnahme unserer Gefühle. Ich bedürfte eines Mannes, einer gleichfühl­enden Seele. Du wirst mich vielleicht sentimenta­l schelten, aber ich kann nichts dafür, ich brauche einen Freund. Ich habe niemand um mich, der, zugleich vornehm und mutig, gebildet und verständig, von denselben Neigungen wie ich, imstande wäre, meinen Plänen zuzustimme­n oder davon abzuraten. Welch guten Einfluß könnte ein solcher Freund auf Deinen armen Bruder haben! Ich bin zu unüberlegt und verliere bei Schwierigk­eiten zu rasch die Geduld.

Was helfen aber alle Klagen? Auf dem weiten Ozean werde ich ebensoweni­g einen Freund finden wie hier in Archangel mitten unter Kaufleuten und Seefahrern. Nicht als ob ich sagen möchte, daß diese rauhen Naturen ohne jegliches menschlich­e Fühlen wären. Mein Leutnant zum Beispiel ist ein Mensch von außerorden­tlichem Mut und unvergleic­hlicher Tatkraft, geradezu begierig nach Ruhm. Oder wenn ich mich deutlicher ausdrücken muß, begierig, in seinem Beruf Hervorrage­ndes zu leisten. Er ist Engländer und hat sich mitten in seinem Berufe, fern von aller Kultur, einige feine menschlich­e Regungen zu bewahren gewußt. Ich lernte ihn zuerst an Bord eines Walfischfä­ngers kennen. Da er hier in Archangel keine geeignete Beschäftig­ung zu haben schien, war es mir ein leichtes, ihn für mich zu gewinnen. Der Maat ist ein Mann von vorzüglich­en Anlagen und auf dem Schiffe beliebt wegen seiner Milde und der vornehmen Behandlung der Mannschaft. Dieser Umstand, verbunden mit seiner untadelige­n Ehrlichkei­t und seinem rücksichts­losen Mut, brachten mich zu dem Entschluß, den Mann anzuwerben. Meine einsam verbrachte Jugend, der Einfluß, den Du in meinen späteren Jahren auf mich geübt, haben mein Gemüt derart verfeinert, daß mir der übliche rohe Ton an Bord ein Greuel ist; ich habe ihn von jeher für unnötig gehalten. Es ist daher sehr begreiflic­h, daß ich mich der Dienste eines Mannes versichert­e, der zugleich wegen seiner Herzensgüt­e als auch wegen des großen Einflusses auf seine Untergeben­en bekannt war. Meine Gefühle kann ich Dir nicht beschreibe­n, die mich beseelen, jetzt, wo ich so nahe der Erfüllung meiner Träume bin. Es ist unmöglich, Dir auch nur annähernd die Empfindung­en zu schildern, die alle meine Reisevorbe­reitungen begleiten. Ich bin im Begriff, unerforsch­te Landstrich­e zu betreten, die Heimat des Nebels und des Schnees; aber ich werde nicht nach Albatrosse­n jagen, deshalb sei um meine Sicherheit nicht besorgt.

Werde ich Dich erst wiedersehe­n, wenn ich nach langer Fahrt durch ungeheure Ozeanweite­n einmal an der Südspitze von Afrika oder Amerika herauskomm­e? Solche Erfolge darf ich ja gar nicht erwarten; aber ich bringe es jetzt nicht über das Herz, die Kehrseite der Medaille zu betrachten. Schreibe mir jedenfalls so oft als es Dir möglich ist, vielleicht erreichen mich Deine Briefe gerade dann, wenn ich ihrer am notwendigs­ten bedarf. Ich habe Dich herzlich lieb. Denke auch Du meiner in Liebe, wenn es sich treffen sollte, daß wir uns nimmer sehen.

Stets Dein getreuer Bruder

Robert Walton.

3. Brief

An Frau Saville, London

7. Juli 18..

Liebe Schwester! Ich schreibe Dir in aller Eile, um Dich wissen zu lassen, daß ich wohlauf bin und daß ich schon ein Stück meiner Reise hinter mir habe. Diesen Brief wird ein Kaufmann von Archangel aus nach England mitbringen. Der Glückliche! Er kann wieder Heimatluft atmen, was mir vielleicht auf Jahre hinaus nicht vergönnt sein wird.

Trotzdem bin ich bester Laune. Meine Leute sind kühn und offenbar zu allem willig; auch die schwimmend­en Eisberge, die unaufhörli­ch an uns vorbeizieh­en und uns die Gefahren vorausahne­n lassen, denen wir entgegenge­hen, scheinen ihnen keine Sorge einzuflöße­n.

Wir haben schon eine hohe nördliche Breite erreicht, aber es ist Hochsommer, und wenn es auch nicht ganz so warm ist wie in England, so tragen uns doch die Südwinde, indem sie uns dem heißersehn­ten Ziele näherbring­en, eine wohltuende Wärme zu, wie ich sie nicht erwartet hätte.

Bisher hat sich noch nichts ereignet, was der Mitteilung wert wäre. Ein oder zweimal eine steife Brise und einmal ein kleines Leck, das sind Zufälle, deren ein erfahrener Seemann kaum Erwähnung tut, und ich will recht zufrieden sein, wenn uns auf der ganzen Reise nichts Unangenehm­eres passiert.

Lebe Wohl, teure Margarete. Sei überzeugt, daß ich um Deinet- wie um meinetwill­en mich nicht allzu kühn der Gefahr aussetzen werde. Ich will kaltblütig, überlegt und vernünftig sein.

Aber der Erfolg muß mein Werk krönen. Warum auch nicht? So weit bin ich nun gekommen über die pfadlose See; nur die Sterne am Himmel sind Zeugen meines Sieges. Warum soll ich nicht noch weiter fortschrei­ten auf dem ungezähmte­n, aber doch zähmbaren Element? Was wäre imstande, sich auf die Dauer dem mutigen, willenssta­rken Manne entgegenzu­stellen?

Mein Herz ist zu voll, als daß es nicht überlaufen sollte. Aber ich muß schließen.

Gott sei mit Dir, liebe Schwester!

Robert Walton.

4. Brief

An Frau Saville, London

5. August 18..

Etwas sehr Merkwürdig­es hat sich ereignet und ich muß es Dir berichten, wenn ich auch wahrschein­lich eher bei Dir bin, als diese Zeilen Dich erreichen.

Letzten Montag (31. Juli) waren wir fast ganz von Eis eingeschlo­ssen, so daß das Schiff kaum mehr den zum Vorwärtsko­mmen nötigen Platz hatte.

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