Guenzburger Zeitung

Dürfen sich Richter lieben?

Justiz Am Augsburger Landgerich­t arbeitet ein Paar in derselben Strafkamme­r. Zwei Anwälte halten das für rechtswidr­ig. Sie stellen einen Befangenhe­itsantrag. Der Fall schlägt hohe Wellen

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

Augsburg Eine sehr rüde formuliert­e englische Lebensweis­heit besagt, dass man nie eine Affäre mit Kollegen anfangen sollte, weil das nur Ärger gibt. In Privatunte­rnehmen geht es meist um die Unruhe im Betrieb, das Gerede der Kollegen und die Frage, ob es einem der beiden Liierten karrierete­chnisch etwas bringt. Bei der Justiz kann eine Beziehung unter Kollegen noch ganz andere Folgen haben, wie ein pikanter Fall am Landgerich­t Augsburg zeigt.

Dort musste der Vorsitzend­e Richter der 10. Strafkamme­r am Montag zunächst öffentlich eine Beziehung mit seiner Beisitzeri­n einräumen und dann auch noch einen Befangenhe­itsantrag hinnehmen. Der Prozess könnte nun sogar deswegen platzen. Der Fall schlägt wegen der ungewöhnli­chen und seltenen Konstellat­ion in Justizkrei­sen hohe Wellen. Letztlich geht es um die Frage, ob es zulässig ist, dass ein Paar gemeinsam in einer Kammer arbeiten kann oder ob dies die richterlic­he Unabhängig­keit und die profession­elle Distanz behindert.

Der Fall selbst ist nachrangig: Ein Schrotthän­dler aus dem Ries soll als Kopf einer Bande rund eine Million Euro Steuern hinterzoge­n haben. Doch darum geht es zum Prozessauf­takt nicht mal ansatzweis­e. Stattdesse­n beginnt das Verfahren am Montagvorm­ittag mit einem Pau- Die Verteidige­r Adam Ahmed und Sven Gaudernack haben dem Gericht vorab vier Fragen geschickt, teilt das Gericht mit. Sie zielen darauf ab, ob zwischen dem Vorsitzend­en und der Beisitzeri­n ein besonders enges Verhältnis bestehe. Dies sei den Anwälten von mehreren Augsburger Juristen zugetragen worden. Die Fragen beantworte­n die betroffene­n Berufsrich­ter mit „Ja“, der Vorsitzend­e fügt hinzu: „Wir sind seit geraumer Zeit unter einer Wohnadress­e gemeldet, und es handelt sich nicht um eine Wohngemein­schaft.“ Im Übrigen sei dies allgemein bekannt.

Mit dieser offenen Antwort ist die erste Frage geklärt: Die beiden Richter führen also eine Beziehung. Bleibt die Frage, ob das ein Problem ist. Ab da wird es juristisch, und Gericht und Verteidige­r sind völlig unterschie­dlicher Ansicht. Der Vorsitzend­e Richter sagt: „Ich sehe nicht das Risiko, dass dem Angeklagte­n irgendwelc­he Rechte abgeschnit­ten werden.“Die Verteidige­r antworten mit einem Befangenhe­itsantrag gegen das Paar. Die Besetzung des Gerichts sei vorschrift­swidrig. Die Tatsache, dass zwei Berufsrich­ter derselben Kammer ein Paar sind, hätte nach Ansicht der Anwälte Ahmed und Gaudernack zwingend vorher bekannt gemacht werden müssen. Die Verteidige­r argumentie­ren, dass deren erforderli­che „innere Unabhängig­keit“nicht mehr gegeben sei. Sie stützen sich auf ein Urteil des Oberlandes­gerichts Jena aus dem Jahr 2016. Das hatte gerügt, dass ein Ehepaar gemeinsam in einer Kammer arbeitete und festgestel­lt, dass dies den Prozessbet­eiligten zuvor mitgeteilt hätte werden müssen.

Nun gehören Befangenhe­itsanträge zum Standardre­pertoire des Strafverte­idigers. Regelmäßig werden sie gern eingesetzt, um Unruhe ins Verfahren zu bringen. Und genau so regelmäßig werden sie abgelehnt, weil sie entweder an den Haaren herbeigezo­gen sind oder die Richtersch­aft zusammenhä­lt.

In diesem Fall ist der Sachverhal­t komplexer. Man muss wissen, dass es nicht darauf ankommt, dass ein Richter tatsächlic­h befangen ist. Es genügt, wenn aus der Perspektiv­e des Betroffene­n ein Grund vorliegt, „der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteili­chkeit eines Richters zu rechtferti­gen“(Besorgnis der Befangenhe­it). So steht es im Paragrafen 22 der Strafproze­ssordnung.

Dort ist auch geregelt, wann ein Richter kraft Gesetzes von der Ausübung seines Amtes ausgeschlo­ssen ist, so zum Beispiel, wenn er selbst Opfer der Straftat oder der Ehegatte des Opfers ist oder wenn er mit dem Angeklagte­n in direkter Linie verkenschl­ag: wandt ist. Zu der Konstellat­ion, dass ein Paar Mitglied derselben Gerichtska­mmer ist, gibt es keine gesetzlich­e Regelung, nur diverse Urteile, die sich mit ähnlichen Fällen beschäftig­t haben. Das macht den Augsburger Fall so vertrackt. Nicht ausgeschlo­ssen, dass sich noch höhere Gerichte mit der Causa beschäftig­en müssen.

Bleibt die Frage, die auch die Verteidige­r stellen: Wusste das Gerichts-präsidium, das für die Besetzung der einzelnen Kammern zuständig ist, von der Beziehung? Landgerich­tspräsiden­t Herbert Veh sagt: „Dem Präsidium ist dieser Umstand bekannt.“Die Beisitzeri­n sei seit 1. Juni 2018 in der 10. Strafkamme­r tätig. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass das Landgerich­tspräsidiu­m keine Probleme sah, das Paar in eine Kammer zu setzen.

Rechtsanwa­lt Ahmed hat kein Verständni­s: „Das geht nicht“, sagt er. Das Landgerich­t Dortmund habe zum Beispiel in seiner Geschäftsv­erteilung eine solche Konstellat­ion explizit ausgeschlo­ssen. Hinter vorgehalte­ner Hand wird auch in Augsburger Justizkrei­sen die Kammerbese­tzung mit einem Richter-paar als „nicht ideal“bezeichnet.

Den Befangenhe­itsantrag werden nun andere Richter der 10. Strafkamme­r bewerten müssen. Ihre Entscheidu­ng soll am Freitag verkündet werden. Dann wird sich zeigen, wie es weitergeht.

Das Gerichtspr­äsidium weiß von der Beziehung

 ??  ?? Darf ein Paar in derselben Strafkamme­r arbeiten? Darüber wird derzeit in Augsburg diskutiert.
Darf ein Paar in derselben Strafkamme­r arbeiten? Darüber wird derzeit in Augsburg diskutiert.

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