Guenzburger Zeitung

Zwischen Robotern und Blasmusik

Lebensgefü­hl Tradition und Fortschrit­t – diese beiden Dinge scheinen kaum zusammenzu­passen. Aber es gibt Menschen, die beweisen, wie gut sich die scheinbare­n Gegensätze vereinigen lassen

- VON CHRISTIAN GALL

Landkreis Laptop und Lederhose. Das ist ein klischeeha­fter Slogan, der immer wieder auftaucht – in der Werbung, in Image-filmen von Kommunen und natürlich auch in der politische­n Debatte. Bayern als Land der Traditione­n, das den Schritt in die Zukunft wagt. Viele Politiker propagiere­n dieses Bild des Freistaats. Aber was ist dran?

Wer sich umsieht, wird feststelle­n, dass es Orte gibt, an denen Tradition und Fortschrit­t aufeinande­rstoßen. Im Landkreis Günzburg finden sich It-firmen, in denen die Mitarbeite­r aus den Bürofenste­rn einen Blick auf Kühe oder Traktoren erhaschen können, wenn sie einmal den Blick vom Quellcode auf ihrem Bildschirm lösen. Aber es gibt auch Personen, in deren Leben sowohl Tradition als auch Fortschrit­t eine Rolle spielen. Eine davon ist Jessica Rademacher aus Neuburg. Die 33-Jährige hat einen Beruf, dessen Bezeichnun­g schon komplex ist. „Head of Usability“lautet der Titel, den sie in der Augsburger Roboterfir­ma Kuka innehat. „Ich mache Verbesseru­ngen an Soft- und Hardware, damit Kunden ihre Geräte besser bedienen können“, erklärt sie Laien ihre Arbeit. Dazu holt sie sich Eindrücke aus der Praxis – sie hört sich die Probleme an, die Nutzer mit der Technik haben und lässt diese Informatio­nen in die künftige Produktent­wicklung einfließen. Ihr Arbeitspla­tz ist in Augsburg, trotzdem ist sie beruflich auf der ganzen Welt unterwegs. Manchmal ist sie persönlich, sehr oft digital in anderen Ländern vertreten. China, Frankreich, die USA… per Videokonfe­renz schaltet sich Rademacher Partnern auf der ganzen Welt zu.

Ihre Freizeit verbringt sie allerdings abseits von Technik und internatio­nalen Kontakten. Ihr Herz hängt an ihrer Heimat, der Markt- gemeinde Neuburg mit rund 3000 Einwohnern. Seit ihrem dritten Lebensjahr spielt sie Klarinette und ist heute eine der Vorsitzend­en im Musikverei­n von Neuburg. „Die Musikertra­cht ist wohl das Kleidungss­tück, das ich am häufigsten anhabe“, sagt sie. Die Tracht ist für sie allerdings kein Kostüm, sie sieht die farbenfroh­e Kleidung eher als eine Art Uniform. Ein Zeichen der Zugehörigk­eit. Zu ihrer Heimat. Zu ihren Wurzeln. Ein geschultes Auge kann noch mehr aus einer Tracht lesen. „Bei großen Musikveran­staltungen erkennt man oft auf den ersten Blick, aus welcher Gegend ein Musiker kommt“, sagt Rademacher. Aber diese Fähigkeit nutzt ihr nur in ihrer Freizeit etwas. In der Arbeit, zwischen Computern und Robotern, herrscht praktisch-funktional­e Kleidung vor. „Ganz selten kommt es vor, dass Kollegen in Lederhose oder Dirndl in die Arbeit kommen, wenn sie danach direkt auf ein großes Volksfest gehen“, sagt Rademacher. Doch es falle auf, dass diese Kollegen dann doch einige verwundert­e Blicke ernten.

Dabei schließt die 33-Jährige nicht aus, dass es in ihrer Arbeit andere gibt, die ebenso traditions­verwurzelt sind: „Man lernt die Leute oft nur in einem Zusammenha­ng kennen – entweder beruflich oder privat. Man kennt also oft nur eine Seite der Person.“So erlebt sie auch Geschäftsp­artner im Beruf. Firmenvert­reter zeigen sich fortschrit­tlich – doch Rademacher ist sich sicher, dass auch von ihnen viele Traditione­n pflegen. „Gerade China und Japan haben eine alte Kultur und ebenso alte Traditione­n“, sagt sie. Doch was sagt Jessica Rademacher zum in Bayern verbreitet­en Slogan „Laptop und Lederhose“? „Ich glaube, dass wir in unserer Region viele Traditione­n haben, die nach außen gut sichtbar sind, etwa bunte Trachten.“Aber sie denkt nicht, dass es die Mischung aus Tradition und Fortschrit­t nur hier gibt. Auch andere vertreten diese Einstellun­g – vielleicht nur nicht so offensicht­lich.

 ?? Fotos: Rademacher ?? Jessica Rademacher beschäftig­t sich beruflich mit Hightech, gleichzeit­ig ist sie in ihrer Heimat Neuburg fest in den Traditione­n verwurzelt. Einen Widerspruc­h sieht sie darin nicht – sie glaubt sogar, dass viele Menschen diese Mischung aus Fortschrit­t und Tradition leben.
Fotos: Rademacher Jessica Rademacher beschäftig­t sich beruflich mit Hightech, gleichzeit­ig ist sie in ihrer Heimat Neuburg fest in den Traditione­n verwurzelt. Einen Widerspruc­h sieht sie darin nicht – sie glaubt sogar, dass viele Menschen diese Mischung aus Fortschrit­t und Tradition leben.
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