Zwischen Robotern und Blasmusik
Lebensgefühl Tradition und Fortschritt – diese beiden Dinge scheinen kaum zusammenzupassen. Aber es gibt Menschen, die beweisen, wie gut sich die scheinbaren Gegensätze vereinigen lassen
Landkreis Laptop und Lederhose. Das ist ein klischeehafter Slogan, der immer wieder auftaucht – in der Werbung, in Image-filmen von Kommunen und natürlich auch in der politischen Debatte. Bayern als Land der Traditionen, das den Schritt in die Zukunft wagt. Viele Politiker propagieren dieses Bild des Freistaats. Aber was ist dran?
Wer sich umsieht, wird feststellen, dass es Orte gibt, an denen Tradition und Fortschritt aufeinanderstoßen. Im Landkreis Günzburg finden sich It-firmen, in denen die Mitarbeiter aus den Bürofenstern einen Blick auf Kühe oder Traktoren erhaschen können, wenn sie einmal den Blick vom Quellcode auf ihrem Bildschirm lösen. Aber es gibt auch Personen, in deren Leben sowohl Tradition als auch Fortschritt eine Rolle spielen. Eine davon ist Jessica Rademacher aus Neuburg. Die 33-Jährige hat einen Beruf, dessen Bezeichnung schon komplex ist. „Head of Usability“lautet der Titel, den sie in der Augsburger Roboterfirma Kuka innehat. „Ich mache Verbesserungen an Soft- und Hardware, damit Kunden ihre Geräte besser bedienen können“, erklärt sie Laien ihre Arbeit. Dazu holt sie sich Eindrücke aus der Praxis – sie hört sich die Probleme an, die Nutzer mit der Technik haben und lässt diese Informationen in die künftige Produktentwicklung einfließen. Ihr Arbeitsplatz ist in Augsburg, trotzdem ist sie beruflich auf der ganzen Welt unterwegs. Manchmal ist sie persönlich, sehr oft digital in anderen Ländern vertreten. China, Frankreich, die USA… per Videokonferenz schaltet sich Rademacher Partnern auf der ganzen Welt zu.
Ihre Freizeit verbringt sie allerdings abseits von Technik und internationalen Kontakten. Ihr Herz hängt an ihrer Heimat, der Markt- gemeinde Neuburg mit rund 3000 Einwohnern. Seit ihrem dritten Lebensjahr spielt sie Klarinette und ist heute eine der Vorsitzenden im Musikverein von Neuburg. „Die Musikertracht ist wohl das Kleidungsstück, das ich am häufigsten anhabe“, sagt sie. Die Tracht ist für sie allerdings kein Kostüm, sie sieht die farbenfrohe Kleidung eher als eine Art Uniform. Ein Zeichen der Zugehörigkeit. Zu ihrer Heimat. Zu ihren Wurzeln. Ein geschultes Auge kann noch mehr aus einer Tracht lesen. „Bei großen Musikveranstaltungen erkennt man oft auf den ersten Blick, aus welcher Gegend ein Musiker kommt“, sagt Rademacher. Aber diese Fähigkeit nutzt ihr nur in ihrer Freizeit etwas. In der Arbeit, zwischen Computern und Robotern, herrscht praktisch-funktionale Kleidung vor. „Ganz selten kommt es vor, dass Kollegen in Lederhose oder Dirndl in die Arbeit kommen, wenn sie danach direkt auf ein großes Volksfest gehen“, sagt Rademacher. Doch es falle auf, dass diese Kollegen dann doch einige verwunderte Blicke ernten.
Dabei schließt die 33-Jährige nicht aus, dass es in ihrer Arbeit andere gibt, die ebenso traditionsverwurzelt sind: „Man lernt die Leute oft nur in einem Zusammenhang kennen – entweder beruflich oder privat. Man kennt also oft nur eine Seite der Person.“So erlebt sie auch Geschäftspartner im Beruf. Firmenvertreter zeigen sich fortschrittlich – doch Rademacher ist sich sicher, dass auch von ihnen viele Traditionen pflegen. „Gerade China und Japan haben eine alte Kultur und ebenso alte Traditionen“, sagt sie. Doch was sagt Jessica Rademacher zum in Bayern verbreiteten Slogan „Laptop und Lederhose“? „Ich glaube, dass wir in unserer Region viele Traditionen haben, die nach außen gut sichtbar sind, etwa bunte Trachten.“Aber sie denkt nicht, dass es die Mischung aus Tradition und Fortschritt nur hier gibt. Auch andere vertreten diese Einstellung – vielleicht nur nicht so offensichtlich.