Guenzburger Zeitung

Wirklich eine Populisten-hochburg?

Die AFD hat in Ingolstadt bei der vergangene­n Bundestags­wahl 15,3 Prozent der Zweitstimm­en geholt – mehr als in jeder anderen bayerische­n Großstadt. Eine Suche nach Gründen

- VON STEFAN KÜPPER

Ingolstadt 15,3 Prozent waren es. So viele Zweitstimm­en holte die AFD bei der vergangene­n Bundestags­wahl in Ingolstadt. Mehr waren es in keiner anderen bayerische­n Großstadt. Ein Rekordwert. Und angesichts der Umfragen, die die AFD landesweit stabil bei über zehn Prozent sehen, wirken diese 15,3 Prozent in Ingolstadt besonders nach. Denn sollte sich in gut einer Woche bestätigen, dass die Schanz tatsächlic­h eine Afd-hochburg ist, blieben viele Beobachter wohl noch ratloser zurück als nach der vergangene­n Wahl. Ein retrospekt­iver Blick bietet nicht die eine Antwort auf die Frage nach dem Erfolg der AFD. Hinweise aber schon.

Wissen muss man: Ingolstadt ist keine schwachbrü­stige Kommune im nördlichen Ruhrpott oder irgendwo in Mecklenbur­g-vorpommern, sondern ein oberbayeri­sches Kraftzentr­um mit exzellente­n Wirtschaft­sdaten. Erst zuletzt hat die Entgeltana­lyse der Bundesagen­tur für Arbeit ergeben, dass die Ingolstädt­er pro Monat 4635 Euro erhalten. So hoch ist der Verdienst (mittleres Arbeitsent­gelt) für einen Vollzeitbe­schäftigte­n in Ingolstadt. Bundesweit spitze. Die Arbeitslos­enquote ist im September zwar leicht auf 3,1 Prozent angestiege­n, bleibt aber seit Jahren auf historisch niedrigem Niveau. Hier herrscht quasi Vollbeschä­ftigung. Zugleich über 1900 unbesetzte Arbeitsste­llen gemeldet. Und auch wenn das Gewerbeste­ueraufkomm­en wegen des Abgas-skandals bei Audi zuletzt eine Delle hatte, zog die Stadt dennoch ihr Investitio­nsprogramm durch. Und ist dabei quasi schuldenfr­ei. Die Stadt wächst und gedeiht. Überall wird gebaut. Zugleich ist Ingolstadt ein teures Pflaster. Die Mietpreise steigen zwar nicht mehr wie zuletzt, aber das Niveau bleibt enorm. Und natürlich gibt es auch in Ingolstadt schwierige Viertel, Leiharbeit und ärmliche Verhältnis­se. Finanziell abgehängt sind hier allerdings – im Vergleich zu anderswo

– eher wenige.

Es ist schon länger erwiesen, dass es viel zu kurz greift, Afd-wähler nur bei vermeintli­chen Protestwäh­lern zu suchen. Der Zugriff der Rechtspart­ei im Wählerspek­trum erfolgt viel breiter. Der Soziologe Joost van Loon lehrt an der Katholisch­en Universitä­t Eichstätt Ingolstadt (KU). Er sagt: „Die tatsächlic­he sozialökon­omische Position hat wenig damit zu tun, warum man AFD wählt. Das hat eher mit Abstiegsän­gsten zu tun. Mit Sorgen, zu verlieren, was man hat. Und die Angst vor dem Abstieg ist viel bedeutsame­r als dessen tatsächlic­he Erfahrung.“

Wer sich die Wahlstatis­tiken anschaut, bekommt Hinweise darauf, dass die AFD – paradoxerw­eise und vergleichb­ar mit Augsburg – gerade in jenen Vierteln hohe Zustimmung erhalten hat, wo Menschen mit Migrations­hintergrun­d leben. Im Piusvierte­l etwa, wo viele Deutsche ihre Wurzeln in den früheren Ostblockst­aaten haben. Hier, im Nordwesten, kam die AFD auf Werte von über 35 Prozent. Van Loon erklärt das mit Unsicherhe­it. Nicht alle merkten etwas von den ökonomisch­en Erfolgen. Gerade dort. „Bewohner des Piusvierte­ls sind nicht unbedingt arm, aber auch sie haben etwas zu verlieren.“Mit der Herkunft habe das allerdings wenig zu tun. Prekarisie­rungsphäno­mene gebe es überall. Auch in wohlhabend­eren Vierteln hat die AFD in Ingolstadt hohe Zustimmung erfahren. Van Loon sagt: „Prekarisie­rung fängt da an, wo fraglich wird, ob das selbst erarbeitet­e Wohlstands­niveau gehalten werden kann. Wenn man so viel für die Miete arbeiten muss, dann wird das prekär. Auch viele in der Mittelschi­cht sagen: Am Ende des Monats bleibt nicht so viel.“Haben in Ingolstadt also einfach mehr Leute mehr zu verlieren?

Das lässt sich so einfach natürlich nicht beantworte­n. Eine Wahl aber, sagt van Loon, sei ja „keine rationale Entscheidu­ng, sondern eher affektgela­den und emotional“. Sie sei vielmehr durch „Nachahmung und Ansteckung“getrieben. „Es macht wenig Sinn zu ergründen, warum einzelne Menschen genau diese Wahlsind entscheidu­ng treffen. Das sind Ansteckung­sphänomene, die momentan vor allem aus Ängsten kommen.“Und populistis­che Antworten würden immer gefragter.

Und dann gibt es die regionalen Faktoren wie den Abgas-skandal bei Audi, die Affäre um Mauschelei­en im Klinikum, ein wegen Bestechlic­hkeit angeklagte­r Alt-oberbürger­meister, die Probleme mit den Ankerzentr­en. Aber waren diese entscheide­nd? Vielleicht haben jene 15,3 Prozent hier auch nur eine Konfliktli­nie besonders sichtbar gemacht, die ganz Bayern durchzieht? Die zwischen Modernisie­rungsskept­ikern und Modernisie­rungsbefür­worten. Zwischen zuversicht­lichen und ängstliche­n Menschen. Und Verängstig­ten.

Die AFD erscheint in Ingolstadt in Gestalt von Johannes Kraus von Sande. Der Landtagska­ndidat ist gelernter Jurist. Wer ihm zuhört, zum Beispiel bei der von den Wirtschaft­sjunioren organisier­ten Podiumsdis­kussion, erlebt einen – im starken Gegensatz zu seinem Facebook-auftritt – ruhig argumentie­renden Mann. Der in seiner Freizeit gerne auch mal dichtet. „Lieder zum Untergang“hat er zum Beispiel geschriebe­n. Da heißt es: „Die Toleranz, die Toleranz, Verschling­t das Volk, Am Ende ganz, Man bläut sie uns, Mit Ächtung ein, Es darf nichts Deutsches Übrig sein. Wir tanzten treu Den Totentanz, Was von uns blieb, War Toleranz.“

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Ingolstadt an der Donau wächst seit Jahren und hat exzellente Wirtschaft­sdaten. Trotz des Abgas-skandals bei Audi mit all seinen Folgen. Zugleich hat die AFD dort bei der vergangene­n Bundestags­wahl auch Rekordwert­e eingefahre­n.
Foto: Ulrich Wagner Ingolstadt an der Donau wächst seit Jahren und hat exzellente Wirtschaft­sdaten. Trotz des Abgas-skandals bei Audi mit all seinen Folgen. Zugleich hat die AFD dort bei der vergangene­n Bundestags­wahl auch Rekordwert­e eingefahre­n.

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