Wirklich eine Populisten-hochburg?
Die AFD hat in Ingolstadt bei der vergangenen Bundestagswahl 15,3 Prozent der Zweitstimmen geholt – mehr als in jeder anderen bayerischen Großstadt. Eine Suche nach Gründen
Ingolstadt 15,3 Prozent waren es. So viele Zweitstimmen holte die AFD bei der vergangenen Bundestagswahl in Ingolstadt. Mehr waren es in keiner anderen bayerischen Großstadt. Ein Rekordwert. Und angesichts der Umfragen, die die AFD landesweit stabil bei über zehn Prozent sehen, wirken diese 15,3 Prozent in Ingolstadt besonders nach. Denn sollte sich in gut einer Woche bestätigen, dass die Schanz tatsächlich eine Afd-hochburg ist, blieben viele Beobachter wohl noch ratloser zurück als nach der vergangenen Wahl. Ein retrospektiver Blick bietet nicht die eine Antwort auf die Frage nach dem Erfolg der AFD. Hinweise aber schon.
Wissen muss man: Ingolstadt ist keine schwachbrüstige Kommune im nördlichen Ruhrpott oder irgendwo in Mecklenburg-vorpommern, sondern ein oberbayerisches Kraftzentrum mit exzellenten Wirtschaftsdaten. Erst zuletzt hat die Entgeltanalyse der Bundesagentur für Arbeit ergeben, dass die Ingolstädter pro Monat 4635 Euro erhalten. So hoch ist der Verdienst (mittleres Arbeitsentgelt) für einen Vollzeitbeschäftigten in Ingolstadt. Bundesweit spitze. Die Arbeitslosenquote ist im September zwar leicht auf 3,1 Prozent angestiegen, bleibt aber seit Jahren auf historisch niedrigem Niveau. Hier herrscht quasi Vollbeschäftigung. Zugleich über 1900 unbesetzte Arbeitsstellen gemeldet. Und auch wenn das Gewerbesteueraufkommen wegen des Abgas-skandals bei Audi zuletzt eine Delle hatte, zog die Stadt dennoch ihr Investitionsprogramm durch. Und ist dabei quasi schuldenfrei. Die Stadt wächst und gedeiht. Überall wird gebaut. Zugleich ist Ingolstadt ein teures Pflaster. Die Mietpreise steigen zwar nicht mehr wie zuletzt, aber das Niveau bleibt enorm. Und natürlich gibt es auch in Ingolstadt schwierige Viertel, Leiharbeit und ärmliche Verhältnisse. Finanziell abgehängt sind hier allerdings – im Vergleich zu anderswo
– eher wenige.
Es ist schon länger erwiesen, dass es viel zu kurz greift, Afd-wähler nur bei vermeintlichen Protestwählern zu suchen. Der Zugriff der Rechtspartei im Wählerspektrum erfolgt viel breiter. Der Soziologe Joost van Loon lehrt an der Katholischen Universität Eichstätt Ingolstadt (KU). Er sagt: „Die tatsächliche sozialökonomische Position hat wenig damit zu tun, warum man AFD wählt. Das hat eher mit Abstiegsängsten zu tun. Mit Sorgen, zu verlieren, was man hat. Und die Angst vor dem Abstieg ist viel bedeutsamer als dessen tatsächliche Erfahrung.“
Wer sich die Wahlstatistiken anschaut, bekommt Hinweise darauf, dass die AFD – paradoxerweise und vergleichbar mit Augsburg – gerade in jenen Vierteln hohe Zustimmung erhalten hat, wo Menschen mit Migrationshintergrund leben. Im Piusviertel etwa, wo viele Deutsche ihre Wurzeln in den früheren Ostblockstaaten haben. Hier, im Nordwesten, kam die AFD auf Werte von über 35 Prozent. Van Loon erklärt das mit Unsicherheit. Nicht alle merkten etwas von den ökonomischen Erfolgen. Gerade dort. „Bewohner des Piusviertels sind nicht unbedingt arm, aber auch sie haben etwas zu verlieren.“Mit der Herkunft habe das allerdings wenig zu tun. Prekarisierungsphänomene gebe es überall. Auch in wohlhabenderen Vierteln hat die AFD in Ingolstadt hohe Zustimmung erfahren. Van Loon sagt: „Prekarisierung fängt da an, wo fraglich wird, ob das selbst erarbeitete Wohlstandsniveau gehalten werden kann. Wenn man so viel für die Miete arbeiten muss, dann wird das prekär. Auch viele in der Mittelschicht sagen: Am Ende des Monats bleibt nicht so viel.“Haben in Ingolstadt also einfach mehr Leute mehr zu verlieren?
Das lässt sich so einfach natürlich nicht beantworten. Eine Wahl aber, sagt van Loon, sei ja „keine rationale Entscheidung, sondern eher affektgeladen und emotional“. Sie sei vielmehr durch „Nachahmung und Ansteckung“getrieben. „Es macht wenig Sinn zu ergründen, warum einzelne Menschen genau diese Wahlsind entscheidung treffen. Das sind Ansteckungsphänomene, die momentan vor allem aus Ängsten kommen.“Und populistische Antworten würden immer gefragter.
Und dann gibt es die regionalen Faktoren wie den Abgas-skandal bei Audi, die Affäre um Mauscheleien im Klinikum, ein wegen Bestechlichkeit angeklagter Alt-oberbürgermeister, die Probleme mit den Ankerzentren. Aber waren diese entscheidend? Vielleicht haben jene 15,3 Prozent hier auch nur eine Konfliktlinie besonders sichtbar gemacht, die ganz Bayern durchzieht? Die zwischen Modernisierungsskeptikern und Modernisierungsbefürworten. Zwischen zuversichtlichen und ängstlichen Menschen. Und Verängstigten.
Die AFD erscheint in Ingolstadt in Gestalt von Johannes Kraus von Sande. Der Landtagskandidat ist gelernter Jurist. Wer ihm zuhört, zum Beispiel bei der von den Wirtschaftsjunioren organisierten Podiumsdiskussion, erlebt einen – im starken Gegensatz zu seinem Facebook-auftritt – ruhig argumentierenden Mann. Der in seiner Freizeit gerne auch mal dichtet. „Lieder zum Untergang“hat er zum Beispiel geschrieben. Da heißt es: „Die Toleranz, die Toleranz, Verschlingt das Volk, Am Ende ganz, Man bläut sie uns, Mit Ächtung ein, Es darf nichts Deutsches Übrig sein. Wir tanzten treu Den Totentanz, Was von uns blieb, War Toleranz.“