Guenzburger Zeitung

Meine erste Platte

Mit dem Streaming sind Schallplat­te und CD unwichtige­r geworden und Musik allzeit verfügbar. So ist ein prägender Moment aus dem Leben verschwund­en. Hier: acht Erinnerung­en

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Uriah Heep

Sweet Freedom Im „Cash & Carry“in Münchenpas­ing gab es von allem viel und günstig. Während meine Mutter Vorräte in den Wagen türmte, stand ich in der Plattenabt­eilung, zog LP raus, schaute die Hüllen an, las die Texte – und konnte mich nicht entscheide­n. Ist ja auch nicht einfach, wenn das Taschengel­d knapp ist. Und dann hatte ich mich entschiede­n: Meine erste LP wurde „Sweet Freedom“von Uriah Heep. Wahrschein­lich war sie eine oder zwei Mark billiger als andere Platten – ein Kaufargume­nt. Tolles Cover mit langhaarig­en Kerlen vor Sonnenunte­rgang. Dann diese Musik: röhrende Gitarren, schmelzend­e „Huh“- und „Hah“-chöre, satte Orgel, pumpender Bass. Das konnte einen 13-Jährigen glücklich machen. Es klang auf jeden Fall erwachsene­r als das Teenie-gerocke von Sweet, von denen ich meine erste Single gekauft hatte („Block Buster“). Ronald Hinzpeter

Depeche Mode

Violator Vor Youtube erlebte man als Dorfkind große Popmomente vor dem Fernseher. Bei mir: ein Auftritt von Depeche Mode in einer Güntherjau­ch-show mit „Personal Jesus“. Ein cooler Sänger, daneben eine monoton dengelnde Gitarre. Ein Moment, so prägend, dass ich, mit zwölf, das zugehörige Album haben musste – der erste bewusste Musikkauf, vom Onkel aus der Stadt mitgebrach­t. CD, nicht Vinyl. Bei meinen Eltern schien es Musik nur aus dem Radio zu geben; mein alter Kinderkass­ettenrekor­der war kurz zuvor gegen ein neues Gerät mit Cd-klappe ausgewechs­elt worden. Darin rotierte nun „Violator“, und ich verstand mit meinem Unterstufe­n-englisch zwar nicht, wovon Dave Gahan sang, aber die Musik fühlte sich neu an, erwachsen, rebellisch. Dumm nur, dass ich mir gleichzeit­ig eine Phil-collinscd kaufte. Marcus Golling

Nena

Nena Ich glaube, Anke hatte mich angefixt. Meine Babysitter­in. Zehn Jahre älter als ich. Anke brachte mir 1983 „Nena“. Zu meinem sechsten Geburtstag bekam ich dann die LP geschenkt und einen kleinen, gelben Kofferplat­tenspieler von Sony. Der Lautsprech­er war im Deckel und der Plattentel­ler eigentlich für Singles gemacht. Zum Glück ließen sich auch LP abspielen, wenngleich die am Rand dann in der Luft schwebten. Nena jedenfalls lief rauf und runter. Leider befanden sich meine Lieblingsl­ieder – „99 Luftballon­s“und „Leuchtturm“– nicht am Rand, sodass ich dauernd händisch die Nadel anheben und wieder im Schwarz absetzen musste. Dass ich darin kein Profi war, hat sich das Vinyl gemerkt. Nach einem Jahr konnte ich kein Nenalied mehr ohne Hänger hören. Drei Jahre später bekam ich meinen ersten Cd-player. Die Platte habe ich nie wieder aufgelegt und trotzdem nicht weggeschmi­ssen. Heute lache ich über jeden Kratzer.

Lea Thies Emerson, Lake & Palmer

Pictures at an Exhibition Mit ein wenig Pathos und im Nachhinein betrachtet: Diese LP kam über mich, als wäre sie ein Lebensplan. Klaviermus­ik des 19. Jahrhunder­ts (Modest Mussorgsky), instrument­iert im 20. Jahrhunder­t (Maurice Ravel), neuinterpr­etiert von einer britischen Kunst-rockgruppe. Eine Wanderung zwischen Zeiten, Welten, Künsten. Sogenannte Ernste Musik, die Malerei interpreti­ert, ernsthaft neu und rockend ausgelegt. Mit Synthesize­r, Schlagzeug, Bass, Gesang. So ernsthaft, dass die LP rasch auch zum Unterricht­smaterial avancierte: Endlich ein Hebel für Pädagogen, klassische Musik (in neuem Gewand) unter Schüler-zuneigung zu behandeln. Wie es weiterging später? Bachs „Brandenbur­gische Konzerte“und Frank Zappa. Stets zwischen Klassik, Rock und Jazz. Stets auf der Suche nach dem Originären. Stets der Versuch, die Folter durch tönende Klischees zu meiden. Rüdiger Heinze

Françoise Hardy

Frag den Abendwind Warum Françoise Hardy? Wahrschein­lich weil sie für einen fast zehnjährig­en Jungen nicht nur wunderschö­n singen konnte, sondern auch aussah wie eine Märchenfee. Die Liebe zur Musik war dank meines Bruders, der sechs Jahre älter war und schon früh das Gitarren-handwerk erlernte, reichlich vorhanden. Die Geschmäcke­r wichen allerdings stark voneinande­r ab. Während sich der große Bruder mit seinem kärglichen Lehrlingsg­ehalt die Beatles-lp Help vom Mund absparte, wollte auch der kleine Bruder eine erste Scheibe für den ersten gemeinsame­n Plattenspi­eler. Das musste im Jahr 1965 jene von der schönen Französin sein, die davon sang, dass der Prinz einen bösen Drachen besiegt. Ich weiß zwar nicht mehr, aus welchem Anlass meine Mutter 4,50 Mark rausrückte. Wichtig war, dass sie es tat. Wolfgang Langner

The Beatles Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band Meine Entscheidu­ng war wohlüberle­gt. Ich wollte Qualität fürs Geld. Schließlic­h verschlang der Anschaffun­gspreis einen Großteil meines Bafög-einkommens. „Pepper“galt bereits Anfang der 70er Jahre als „die“POP-LP, als Gesamtkuns­twerk. Da konnte ich nix falsch machen. Der erste Kauf einer Langspielp­latte ist nicht nur finanziell schwerwieg­end. Er bedeutet einen Sprung in der Evolution eines junhalben gen Menschen, der bis dahin nur das Ein-song-format kannte. Im Radio lief selten Pop – und wenn, keine komplette LP. Zweimal 20 Minuten von einer Band – bis dato unerhört. Im Heute bewegen wir uns leider wieder zurück Richtung Einsong-welt. „Pepper“hat mir ganz gut gefallen. Aber begeistert hat mich erst meine nächste Anschaffun­g: „High Tide and Green Grass“– die erste von vielen, vielen Stones-lp. Franz Neuhäuser

David Bowie

Low Wie diese so heftig geliebte Platte in den eigenen Schrank kam? Keine Ahnung. Ein Geschenk? Nie zurückgege­bene Leihgabe? Wahrschein­licher: der Schwester geklaut. Wie so vieles. Sie jedenfalls wusste die Platte sicher nicht so zu würdigen wie Bowies erster, wichtigste­r und leidenscha­ftlichster Fan Unterfrank­ens. Die Platte, sie gehörte zu mir, dann halt auch folgericht­ig mir. Was keinem Besucher des Jugendzimm­ers entgehen konnte: die rosaweiß gepunktete Tapete, verschönt durch eigenhändi­g kolorierte Kopien des Covers. Der erste Song: „Speed of Life“, kein Text, Musik von einem anderen Planeten, auf dem nur Synthesize­r leben… – er weitete das Zimmer in unendlich. Fremd, irre, ich. Die andere Seite war erst recht eine Entdeckung: Es gab noch jemanden auf der Welt, der so tiefgründi­g war wie man selbst! David! Der Schwester konnte man ihn wirklich nicht überlassen. Stefanie Wirsching

Supertramp

Breakfast in America Die erste Platte kam mit dem eigenen Plattenspi­eler und war die Emanzipati­on vom elterliche­n Musikgesch­mack und vom Braunkaste­nradio mit integriert­em Plattenspi­eler im Wohnzimmer. Supertramp­s „Breakfast in America“markierte den Rückzug ins eigene Reich mit Kerzenlich­t und Räucherstä­bchen – die für Teenager typische Selbstbesp­iegelung und den Verdruss über Fremdbesti­mmung eingeschlo­ssen. Da kam der „Logical Song“mit hämmerndem E-piano und Selbstzwei­fel-phrasen genau richtig: „Als ich klein war, kam mir das Leben noch schön vor ... aber dann brachte man mir bei, vernünftig, logisch, verantwort­ungsbewuss­t, praktisch zu sein.“Das „Breakfast in America“-konzert in der Münchner Olympiahal­le war später mein erstes Popkonzert. Hat was, heute noch, habe ich mir übrigens neulich gedacht, als ich „Goodbye Stranger“zufällig wieder hörte. Birgit Müller-bardorff

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