Momente der Schwerelosigkeit
Erfahrene Piloten aus ganz Bayern trainieren am Himmel über Weißenhorn für das Segelflug-leistungsabzeichen. Das ist derzeit eine Herausforderung. Unser Autor ist mitgeflogen
Weißenhorn So fühlt sich ein „Turn“an: Im steilen Flug steigt die Maschine vertikal hinauf in den Zenit, bis der Scheitelpunkt der Flugbahn erreicht ist. Für einen Augenblick verweilt das Flugzeug fast wie im Stillstand in einem Moment der Schwerelosigkeit. Mit der letzten Energie des Steigfluges holt der Pilot die Wende über die Seite aus seinem Segler heraus. Die Schwerkraft zieht den Flieger wieder in die Tiefe. Nach der Stille der Schwerelosigkeit ist das Ächzen des Glasfaserrumpfes zu hören. Im Sturzflug schießt der Segler in Richtung Boden, bis Pilot Grygier mit einem sanften Bogen die Maschine wieder in die Waagrechte bringt.
Wer in diesen Tagen in den Himmel über Weißenhorn blickt, kann dort immer wieder Segelflieger entdecken, die kunstvolle Manöver üben. Der Anlass: Die Luftsportgruppe Weißenhorn veranstaltet noch bis zum heutigen Samstag einen Segelkunstfluglehrgang für erfahrene Piloten. Der Wind und die schwache Thermik stellt die Schüler dabei derzeit vor besondere Herausforderungen. Kunstflieger und Fluglehrer Jürgen Grygier erzählt: „Eigentlich neigt sich die Segelflugsaison so langsam dem Ende zu.“Das bekommen die Piloten schon kurz nach dem Start zu spüren, wenn das einmotorige Sportflugzeug den Segler über den Hügel hinter der Startbahn zieht. „Dann ist die Maschine etwas bockig und geht auf und ab“, sagt Hartmut Walter und schaut mit zusammengekniffenen Augen nach oben. Die Wolken, die sich gewaltig aufbauschen, zeigen dem Piloten, wo er mit seinem Flieger Aufwind findet. „Segelfliegen ist ein Spiel mit der Natur“, sagt der 64-Jährige aus Moosburg an der Isar, der nach Weißenhorn gekommen ist, um zusammen mit neun weiteren Teilnehmern das Leistungsabzeichen zu bekommen.
Der besondere Reiz sei es, ohne Motor nur auf dem Wind zu gleiten, sagt Walter und fügt hinzu: „Da oben ist die Redewendung ,frei wie ein Vogel‘ wörtlich zu verstehen.“Sein Kollege Christoph Deuring schwärmt mit ihm: „Besonders hier, an der Albkante mit ihren Aufwinden, sind die Bedingungen gut.“
Knapp unter den Wolken sollen die Schüler ihre Kunststücke fliegen, wie Fluglehrer Grygier von der Luftsportgruppe erzählt. Um das zu veranschaulichen, nimmt er den Autor dieses Artikels mit an Bord eines doppelsitzigen Segelflugzeugs. Um Fahrt aufzunehmen, wird der Segler aus einer Höhe von etwa 1400 Metern in den Sinkflug gebracht. Hat die Maschine genug Schwung, zieht Grygier den Steuerknüppel nach hinten, bis sich das Flugzeug zum Looping einmal um seine Achse dreht. Doch fühlt sich das Manöver nicht so rasant an wie etwa in einer Achterbahn. Der Flug im weit ausschweifenden Looping mit einem Durchmesser von 70 bis 100 Metern ist überraschend sanft.
Auf die Frage, ob Segelfliegen gefährlich sei, antwortet der Fluglehrer diplomatisch mit einem Augenzwinkern: „Bis jetzt ist noch keiner oben geblieben.“Eine Notlandungen oder „Außenlandung“, wie Segelflieger es bezeichnen, ist Teil der Ausbildung. Dann muss ein freier Acker als Landebahn dienen. Doch selbst wenn der Aufwind plötzlich ausbleiben würde, könnte ein Segelflieger noch viele Kilometer weit auf dem Sinkflug weitergleiten, um nach einem geeigneten Platz Ausschau zu halten, sagt Grygier.
Ein Mindestalter für Segelflieger gibt es übrigens nicht. Die Lizenz, alleine zu Fliegen, können Jugendliche schon ab 14 Jahren erhalten. Von den rund 40 Mitgliedern der Weißenhorner Luftsportgruppe sind derzeit acht unter 18 Jahren. Doch nicht nur am Himmel sind die Mitglieder aktiv. Schließlich müssen auch das Gras der Landebahn regelmäßig gemäht, die neun Segelflieger gepflegt und gewartet oder die Getränkelager für das Vereinsheim aufgefüllt werden, wie der Fluglehrer berichtet.