Schuld ohne Sühne
Wie der Krieg jeden zerstört – ein Roman will der Gerechtigkeit Genüge tun „Vergiss die Moral. (...) Das ist alles Schrott.“
Diese Tat ist begangen worden. Im März 2000 ermordete der hochdekorierte russische Offizier Budanow in einem friedlichen Bergdorf die 18-jährige Tschetschenin Elsa Kungajewa. Zuvor hatte er sie brutal gefoltert und vergewaltigt. Es kam tatsächlich zum Prozess: Im ersten Gerichtsverfahren wurde Budanow für unzurechnungsfähig erklärt, im zweiten dann zu zehn Jahren verurteilt. Das Urteil des russischen Volkes wäre damals anders ausgefallen: 50 Prozent hatten bei einer Umfrage einen sofortigen Freispruch für den „verdienten Soldaten“gefordert.
Die Wirklichkeit – sie erzählt immer noch die schlimmsten Geschichten. Daraus Literatur zu machen, ist ein Wagnis, das die deutsch-georgische Schriftstellerin Nino Haratischwili eingegangen ist. Die in Tiflis geborene Autorin lebt seit langem in Hamburg und schreibt auf Deutsch. Mit ihrem Roman „Das achte Leben“, in dem sie eine georgische Familie durchs 20. Jahrhundert begleitete, sorgte sie für so etwas wie einen Reiseboom deutscher Leser ins Kaukasusland. Sie habe sich irgendwann „wie eine Tourismusmanagerin“gefühlt. Bei ihrem neuen, nun vierten Roman wird ähnliches nicht passieren.
„Die Katze und der General“, nominiert für den Deutschen Buchpreis, zeigt auf fast achthundert Seiten, wie der Krieg die Menschen zerstört, wie in plötzlich rechtsfreien Räumen grausame Kräfte entfesselt werden und wie sich für die Täter danach leben lässt mit all der Schuld – und für die Unschuldigen mit dem Leid. „Vielleicht war es einfach das Los des Menschen, niemals ungestraft davonkommen zu können, egal, ob man schuldig war oder nicht“, schreibt sie an einer Stelle.
Ein Roman, den man gerne loben würde. Allein schon, weil Haratischwili nicht zurückgeschreckt ist vor der Recherche, den Krieg in allen Facetten in ihren Kopf gelassen hat, weil sie versucht hat, über den Weg der Literatur der Gerechtigkeit nachträglich Genüge zu tun. Im Mittelpunkt dieses Romans, angelegt als eine Art Gesellschaftsthriller, steht Alexander Orlow, genannt „der General“. Dessen verstorbener Vater war hochdekorierter Kriegsheld. Nun will die Mutter auch Orden an der Brust des Sohnes sehen, treibt den kunst- und literaturverliebten Alexander in den Krieg. Wenige Monate später wird er zusammen mit drei Soldaten in einem tschetschenischen Bergdorf der jungen Nura all dies antun, wie es in der Wirklichkeit passierte. Als Einziger aber dieser infernalischen Truppe möchte er seine Schuld sühnen, zeigt sich und die Mittäter an. An Bestrafung verdienter Soldaten ist das russische Militärgericht aber nicht interessiert.
Schuld ohne Sühne. Die erlösende Bestrafung bleibt Orlow verwehrt. Und hier nun setzt der ganze eigene Zugriff von Haratischwili auf diese Geschichte an: Der reuige Verbrecher wird zum gierigen Immobilienhai, mit Villa und Pool schließlich auch in Berlin. Ein Oligarch aus dem Bilderbuch, der sich nimmt, was es im Russland der Jahrtausendwende zu nehmen gibt. „Vergiss die Moral. Alexander vergiss sie. Vergiss Dostojewski und vergiss jede Fabel von dem am Ende immer siegreichen Guten. Das ist alles Schrott. So läuft es nicht. Zumindest hier bei uns nicht“, sagt sein Vertrauensmann.
Haratischwili springt in der Zeit, erzählt aus wechselnden Perspektiven ihrer Protagonisten. Eines investigativen deutschen Journalisten zum Beispiel, der ein Buch über den Oligarchen schreiben möchte, sich deswegen an dessen Tochter Ada heranmacht. Als Ada über ihn von der Tat des Vaters erfährt, wird letztlich auch sie zum Opfer des Krieges. Die Tochter nämlich kann mit der Schuld nicht leben. Und nun auch der Vater nicht mehr. Orlow engagiert eine georgischstämmige Schauspielerin, genannt „die Katze“, die eine bestürzende Ähnlichkeit mit der jungen Nura eint, um die Mittäter von einst zu erschüttern. Eine weitere Stimme der Geschichte.
Dieser Roman hätte also groß werden können, weil Haratischwili all diese unterschiedlichen Lebenswelten versucht zusammenzuführen, einen weiten Bogen quer über die Zeit und den Kontinent spannt: Die Kriege im zerfallenden Sowjetreich, sie finden ihre letzten Opfer im Berlin des Jahres 2016. Aber all das ist dann doch etwas zu viel. Den wahnsinnigen Stoff kann sie letztlich nicht zum stringent erzählten Roman formen. Anstatt auf ihr Erzähltalent zu vertrauen, das sie in den kleinen, eher beiläufigen Geschichten beispielsweise über die Migrantenfamilie in Berlin zeigt, setzt sie auf Überzeichnung und Pathos, bläht auf, landet oftmals im Klischee. Und beim Stereotyp: Der General, harte Schale, weicher Kern, skrupellos, aber doch auch feinsinniger Kunstmensch, der zusammen mit dem Kind die Museen der Welt abklappert. Bösewicht, dich kenn ich schon. Und der Journalist? Klar, blassgesichtiges Weichei. Was die Schauspielerin dazu treibt, sich derart auf eine Rolle einzulassen, dass sie irgendwann in der „Wir-form“von sich und Nura spricht und Blümchenkleider trägt, weil die der jungen Tschetschenin sicher gefallen hätten? Auch dieser innere Antrieb erschließt sich nicht. Was man dem Roman außerdem gewünscht hätte: einen automatischen Floskelaufspürer, der mal über jede Seite geht!
Die Wucht der Geschichte aber bleibt. Die Wirklichkeit sah folgendes Ende vor: Am 10. Juni 2011 wurde Oberst Budanow mit sechs Schüssen von Unbekannten in Moskau getötet. Stefanie