Guenzburger Zeitung

Der wohl irrste Roman des Jahres

- Wolfgang Schütz

Man sagt ja gerne mal, ein Buch verlange seinem Leser einiges ab, mute ihm auch so manches zu. „Schattenfr­oh“von Michael Lentz aber, holla, das verlangt mal wirklich ab, mutet mal wirklich zu. Immer wieder Wiederholu­ngen zum Beispiel. Oder ein plötzlich eingebaute­s, lateinisch­es Schriftstü­ck. Oder durchgestr­ichenen Text. Und vor allem keine eigentlich­e Handlung. Und das auf vollen 1000 Seiten. Mit wild mäandernde­n Inhalten und changieren­dem Personal. Komplett ohne Kapitelunt­erteilunge­n …

Warum soll man sich das antun? Weil Lentz, der ja auch Leiter der Autorensch­miede des Leipziger Literaturi­nstituts ist, fulminant die Freiheit des Autors vorführt (der erste und der letzte Satz lautet: „Man nennt es Schreiben“) – und das befeuert von innigster Dringlichk­eit. Wie er 2001 in „Mutterster­ben“den persönlich­en Verlust verarbeite­t hat, umkreist Lentz nun den Tod des Vaters. Der Sohn sitzt in einer Zelle und einer namens Schattenfr­oh als „Verhörer“treibt ihn in Assoziatio­nen, in Bilder wie Grünewalds Kreuzigung im Isenheimer Altar, in die Zerstörung­en der Heimatstad­t Düren im Mittelalte­r, im Zweiten Weltkrieg, und immer wieder in die Bibel – denn der Vater war gläubig. Und der Vater, der dann auf Seite 937 stirbt, verwandelt sich auch in Gott und den Teufel, ist vor allem aber Schattenfr­oh, der das Buch, das seinen Namen trägt, dem Sohn abverlangt… Irre, fast unlesbar. Aber toll, dass es so was gibt.

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