Ist die Kirche zu nah an der Parteipolitik?
Jahrzehntelang haben sich auch Geistliche bei Wahlen positioniert. Wie sieht es heute aus? Was ein Wallfahrtsdirektor und ein evangelischer Pfarrer dazu sagen – und wie sie es selbst halten
Jahrzehntelang haben sich besonders katholische Vertreter bei Wahlen eindeutig positioniert. Doch wie ist das heute?
Maria Vesperbild/günzburg Die Verbindung von Kirche und Politik wird in einer säkularen Gesellschaft nicht selten kritisch bewertet. Doch das enge Beziehungsgeflecht zwischen der geistlichen und der weltlichen Macht ist gewissermaßen ein geschichtsbestimmender Faktor. Jahrzehntelang galt die Beziehung zwischen Kirche und CSU als sehr eng. Was ist davon geblieben?
Vor einigen Wochen war der bayerische Ministerpräsident Markus Söder im mittelschwäbischen Wallfahrtsort Maria Vesperbild zu Gast. Im Gespräch mit unserer Redaktion geht der dortige Wallfahrtsdirektor Erwin Reichart weit in der Geschichte zurück und nennt immer wieder das Stichwort Investiturstreit, die Auseinandersetzung zwischen Kaisern und Päpsten im Mittelalter; oder auch Bismarcks Vorgehen gegen die katholische Kirche („Kulturkampf“). Mit Blick auf all das hätten beide Mächte doch insgesamt zu einer tragfähigen Balance gefunden, sagt er.
Nach der Gründung der Bundesrepublik hat sich die katholische Kirche Jahrzehnte lang dezidiert hinter die christlichen Parteien gestellt, hat in Wahlkampfzeiten sogenannte Wahlhirtenbriefe der Bischöfe verlesen lassen. Wallfahrtsdirektor Reichart hat sich in seiner Jugend nie daran gestört. Doch heute ist er froh, dass es die nicht mehr gibt. „Allmählich hat sich die Botschaft immer mehr verwischt. Da wurde dann jede Partei positiv dargestellt.“
Aus Sicht des Wallfahrtsdirektors gibt es für den katholischen Christen die größte Schnittmenge mit der CSU. Auch wenn Reichart noch einiges zu kritisieren hat. So sollte es nicht sein, dass ein Kirchenaustritt pekuniär belohnt werde. Vielmehr sollte jeder über seine Steuer einen Beitrag leisten. Ob zu Sozialem, Kultur oder Kirche, sollte er Jahr für Jahr selbst entscheiden können. Dann würde es auch nicht passieren, dass Menschen wegen finanzieller Überlegungen von den Sakramenten ausgeschlossen würden.
Auch die Bekämpfung von Krieg, Korruption und Armut in den Herkunftsländern der Flüchtlinge müsse entschiedener angegangen werden. Rechart weiß natürlich, dass die Situation in den Krisengebieten viel komplizierter ist, als es von au- ßen scheinen mag. „Nichts ist nur schwarz-weiß.“
Reichart umschreibt seine parteipolitische Überzeugung deutlich. Doch das würde er niemals von der Kanzel predigen. Denn die Gläubigen, die zu ihm in den Gottesdienst kommen, seien ja mündige politische Bürger, die vielleicht andere politische Meinungen und Parteien bevorzugen. „Die würde ich mit Empfehlungen von der Kanzel verprellen. Aber wir wollen für alle da sein.“Und auch eine private Wahlempfehlung würde er nicht parteibezogen aussprechen. „Ich würde einem Ratsuchenden empfehlen, einen gläubigen Christen zu wählen.“
Parteipolitische Überzeugungen sind von Alexander Bauer, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Günzburg nicht zu hören. Reichart wie Bauer sind davon überzeugt, dass eine strikte Trennung von Kirche und Politik nicht möglich ist, da ihr Aktionsgebiet sich in vielen Belangen überschneidet. Erwin Reichart nennt es zwei Seiten einer Medaille.
Für Pfarrer Bauer beinhaltet die Beziehung Kirche und Staat durchaus Probleme. „Immer wieder taucht die Frage auf: Dürfen wir uns einmischen? Und wenn ja, wie weit darf diese Einmischung gehen? Die Zeit des Nationalsozialismus und zuvor die Bismarck-ära haben die Problematik deutlich gemacht. Allerdings hätte Luther ohne die Unterstützung der Politik niemals seine Lehre verbreiten können.“
Alexander Bauer sieht zwei Positionen: Die Kirche hat sich rauszuhalten versus der Forderung nach einer politischen Haltung. „Wer sich heraushält, der schweigt, der stimmt dem zu, was ist. Der erhält den Status quo. So funktioniert Demokratie nicht.“Dennoch könne und dürfe es nicht Aufgabe der Kirche sein, Parteipolitik zu betreiben. Er selbst habe deshalb auch die Bitte ausgeschlagen, für den Stadtrat zu kandidieren. „Wenn man sich in eine Gruppe hineinbegibt, sind die anderen außen vor. Ich will und muss aber für alle da sein.“
Pfarrer Bauer erhebt deutlich seine Stimme, wenn es darum geht, die Werte der Demokratie zu schützen. Er ist besorgt, dass die bürgerlichen Freiheiten unserer Gesellschaft nicht mehr als die Werte erkannt werden, die sie sind und die schmerzlich erkämpft werden mussten. „Nur noch wenige alte Menschen haben die Nazizeit mit ihren Zwängen bewusst erlebt. Viele aus den nachwachsenden Generationen halten die demokratischen Freiheiten für selbstverständlich. Aber man muss für sie arbeiten, auch als Christ.“Als Pfarrer werde er für seine Überzeugungen eintreten, jedoch keine parteipolitischen Aussagen gegenüber den Kirchgängern machen. In seinen Predigten ziele er nicht auf Parteien ab, sondern auf die moralische Haltung, zeige auf, was mit dem Christentum vereinbar ist und was nicht.
Als Privatmann gefällt ihm ein Kabarettistenspruch über Protestwähler, den er aufgeschnappt hat, besonders gut: „AFD wählen ist, wie ein Bier am Tresen zu trinken und weil es einem nicht schmeckt, zur Toilette zu gehen und aus der Schüssel zu trinken.“
Dennoch würde der evangelische Pfarrer niemandem eine bestimmte Partei empfehlen, auch privat nicht. Sein Rat für Unentschlossene: Den Wahl-o-maten nutzen. Diese Einrichtung der Landeszentrale für politische Bildung im Internet könne einem aufzeigen, mit welchen Parteiprogrammen man die größte Übereinstimmung hat. Und wenn es dann doch eine Rechtsaußenpartei sei, sei das sehr bedauerlich und man müsse den Sympathisanten auf die Folgen seiner Entscheidung hinweisen.
Der Wandel der AFD von der kritischen Professorenpartei zum äußeren rechten Rand und darüber hinaus sei erschreckend und mache deutlich, wie schnell ein System kippen könne. Jungen Leuten rate er deshalb, sich zu informieren, auch über eine Fernsehserie wie „Babylon Berlin“, die aktuell in der ARD läuft. Sie spielt Ende der Zwanzigerjahre, als sich das Scheitern der Weimarer Republik bereits abzeichnete und radikale Kräfte am linken und rechten Rand an Bedeutung gewannen. Babylon Berlin? Der Titel scheint auf seine Weise für die gesellschaftlichen Brüche der Gegenwart zu stehen. Diese Brüche sind auch für die Kirchen eine neue Herausforderung. Doch der katholische Wallfahrtsdirektor und der evangelische Pfarrer sind bei allen unterschiedlichen Ansichten der Meinung, dass ein trägfähiger demokratischer Konsens wichtig ist und möglich bleibt.