So spaltet die Seehofer-Frage die Partei
An der CSU-Basis wird der Groll gegen den Vorsitzenden immer lauter, in der Landesgruppe ist die Zustimmung noch hoch. Kommt es nach der Wahl zum großen Knall?
Berlin Muss Horst Seehofer als Parteichef gehen, wenn die CSU bei der bayerischen Landtagswahl am Sonntag so schlecht abschneidet, wie es die Umfragen voraussagen? Viele Christsoziale fordern schon jetzt personelle Konsequenzen, wenn das befürchtete Debakel eintritt. Doch ob wirklich Seehofer die Hauptverantwortung für die schwindenden Zustimmungswerte der CSU trägt, ist umstritten. Während an der Parteibasis der Groll gegen den Vorsitzenden zunimmt, genießt der Innenminister in den Reihen der CSUBundestagsabgeordneten weiter großen Rückhalt. Ein Rücktritt des Parteichefs, den in Bayern viele erwarten, gilt in Berlin als eher unwahrscheinlich. So scheint nur eines sicher: dass bei einem mageren CSU-Ergebnis noch am Sonntagabend der offene Schlagabtausch um die Schuldfrage beginnen wird.
Wie groß der Seehofer-Frust in der bayerischen Fläche ist, zeigt sich dieser Tage ausgerechnet in Berlin. Denn der Bayerische Landkreistag hat zur Delegationsreise in die Bundeshauptstadt geladen, eine Art Klassentreffen der 71 Landräte – von denen mehr als zwei Drittel der CSU angehören. Auf dem Programm stehen etwa Besuche bei Finanzminister Olaf Scholz (SPD), Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU). Beim Austausch von Landrat zu Landrat, zwischen den Terminen oder abends, beim Weißbier an der Hotelbar, schnell landet jedes Gespräch bei der Landtagswahl. Und damit bei Horst Seehofer.
Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen berichten viele der Kommunalpolitiker von einer drastisch schwindenden Zustimmung der CSU-Basis zum Vorsitzenden. Das Vorgehen von Horst Seehofer sei in den vergangenen Jahren immer unverständlicher geworden, so die Klage. Schon als Ministerpräsident habe Seehofer schwere Fehler gemacht. Etwa als er 2014 die CSU als Europapartei positioniert habe, die aber gleichzeitig gegen Europa sei. In der Flüchtlingspolitik habe sich Seehofer zwei Jahre lang ein Duell mit der Bundeskanzlerin geliefert, ständig neue Drohkulissen aufgebaut – nur um sich dann kurz vor der Wahl wieder in bester Eintracht mit Angela Merkel zu zeigen. Viele Wähler hätten das bis heute weder verstanden noch verziehen.
Als Innenminister, kritisieren CSU-Landräte, habe Seehofer mehrfach die Regierung an den Rand des Scheiterns gebracht, in der Sache aber wenig erreicht. Der CSU habe das riesigen Schaden zugefügt. Einerseits hätten sich konservative Wähler der AfD zugewandt, weil sie Konsequenz in der Flüchtlingspolitik vermissten. Andererseits, analysiert ein Landrat, habe eine „teils überharte flüchtlingskritische Rhetorik“kirchennahe Kreise in der CSU verschreckt. Viele Mitglieder von Flüchtlingshelferkreisen in den Pfarrgemeinden würden nun wohl die Grünen wählen.
In der Wirtschaft gebe es Unverständnis, wenn gut integrierte Migranten mit Ausbildungs- oder Ar- beitsplatz abgeschoben würden. Ein Landrat sagt: „Spätestens seit der Maaßen-Affäre ist klar, dass Seehofer nicht mehr der richtige Mann ist, um die CSU in die Zukunft zu führen. Wenn die Wahl so schlecht ausgeht wie befürchtet, sollte er auf jeden Fall die Konsequenzen ziehen und seinen Hut nehmen.“
In der CSU-Landesgruppe ist die Stimmungslage wenige Tage vor der Landtagswahl deutlich anders. Zwar räumt auch der eine oder andere Bundestagsabgeordnete ein, dass in der Großen Koalition die Dinge alles andere als perfekt laufen. Und dass Horst Seehofer sicher Fehler gemacht habe. Doch mehrere Parlamentarier äußern hinter vorgehaltener Hand massive Kritik an Ministerpräsident Markus Söder. Dass der die Verantwortung für die drohende Wahlschlappe bereits nach Berlin abgeschoben habe, sei nicht nur unlauter, sondern ein schwerer taktischer Fehler. Im WahlkampfEndspurt käme es doch auf Geschlossenheit an, nur so könne es noch gelingen, die Stimmung zu drehen. Auch die Parteifreunde in der bayerischen Landespolitik müssten sich ihrer Verantwortung für die Misere stellen.
„Es ist im Wahlkampf doch viel zu wenig gelungen, die landespolitischen Stärken der CSU auszuspielen“, sagt ein CSU-Bundestagsabgeordneter. Söder habe selbst Fehler gemacht – und an manchen Fehlern, die Seehofer angelastet würden, seinen Anteil. Im Flüchtlingsstreit habe Söder die kompromisslose Linie vorgegeben, die fast zum Bruch zwischen CSU und CDU geführt habe. Wer bereits jetzt Horst Seehofer zum Sündenbock erkläre, mache es sich viel zu einfach.
Zum Rücktritt gezwungen werden, sagt ein anderes Mitglied der Landesgruppe, könne Seehofer ohnehin nicht. Und dass er noch lange nicht ans Aufhören denkt, das hat der CSU-Chef und Innenminister zuletzt immer wieder klargemacht. Ein Ministerpräsident und Spitzenkandidat Söder, der das möglicherweise historisch schlechteste Ergebnis der CSU bei einer Landtagswahl zumindest mitverantworten müsste, könnte nach Meinung einiger CSUAbgeordneter nicht genügend Druck aufbauen, um Seehofer zu stürzen.
Allenfalls das Szenario, dass Seehofer bei einem sehr schlechten Wahlergebnis aus freien Stücken die Parteispitze räumt, gilt in der Landesgruppe als vorstellbar. Doch der Frust über Parteifreunde in Bayern, speziell die Landtagsabgeordneten im Münchner Maximilianeum, die es immer besser wüssten, sitzt tief bei den CSU-Leuten in Berlin. In einer Koalition mit CDU und SPD seien die Möglichkeiten, die reine CSU-Lehre durchzusetzen, nun mal deutlich begrenzter als in einer Alleinregierung. „Die Kollegen in München haben eben keine Koalitionserfahrung“, sagt ein Mitglied der Landesgruppe. Und dann rutscht ihm noch heraus: „Aber das wird sich ja jetzt wohl ändern.“