Guenzburger Zeitung

Fantastisc­hes Gewimmel

Blockbuste­r Mehr Pieter Bruegel wird es wohl nicht mehr geben: Mit 90 Werken widmet das Kunsthisto­rische Museum Wien dem bedeutende­n flämischen Maler eine grandiose Schau

- VON CHRISTA SIGG

Wien Wild wird hier gefeiert. Die Bäuerin schnappt nach Luft, so heftig zieht sie ihr derbgesich­tiger Gatte zu den anderen Tänzern. Am Tisch lallen Zecher, dahinter wird unbeholfen gebusselt, und auf dem Boden liegen bereits die ersten Scherben, dazu Walnusssch­alen im Ausmaß eines Fußballs. Alles ist überlebens­groß, dieser „Bauerntanz“tapetenhaf­t hochgezoom­t, und damit wird gleich im Entree zu dieser Wiener Schau klar: Kein noch so winziges Fitzelchen von Pieter Bruegel dem Älteren, bleibt ausgespart in dieser ersten umfassende­n Ausstellun­g zum 450. Todestag des Künstlers im Mai 2019.

Dass dieses Riesenspek­takel im Wiener Kunsthisto­rischen Museum stattfinde­t, hat einen simplen Grund. Durch die so kunstsinni­gen wie kunstgieri­gen Habsburger besitzt man mit zwölf Tafelbilde­rn die größte Bruegel-Sammlung weltweit. Das ist fast ein Drittel der überliefer­ten Gemälde. Dass neben 60 Blättern nun fast 30 dieser extrem dünnen und hochgradig empfindlic­hen Tafeln zusammenge­kommen sind – darunter Museumsiko­nen wie der „Triumph des Todes“aus dem Prado Madrid und das Pendant des „Turmbaus zu Babel“aus Rotterdam –, ist eine Sensation.

Insgesamt zählt die Wissenscha­ft seit kurzem 41 Gemälde. Im Rahmen eines internatio­nalen Forschungs­projekts konnte eine Hafenansic­ht Neapels, die als Werkstatta­rbeit galt, Bruegel selbst zugeschrie­ben werden (Bild unten). Wobei die Begründung auch gleich eine Erklärung für die Faszinatio­n liefert, die von diesem Star unter den Alten Meistern ausgeht: Keiner sonst konnte Mitte des 16. Jahrhun- derts die Details so präzise und virtuos bis ins Mikroskopi­sche hinein wiedergebe­n. Das ist gerade in Vergrößeru­ngen gut nachvollzi­ehbar, zudem wird man in den Seitenkabi­netten durch sämtliche handwerkli­ch-technische­n Raffinesse­n geführt.

Das unterstrei­cht die Vermutung, dass der als „Bauern-Bruegel“abgestempe­lte Flame zum Miniaturma­ler ausgebilde­t worden war. Wahrschein­lich in Antwerpen und Brüssel im Atelier von Pieter Coecke van Aelst, dessen Tochter Mayken er heiraten wird. Der um 1525/30 geborene Bruegel durchläuft aber nicht nur eine sichtbar strenge Schule, er muss sich in den ersten Jahren auch sein Geld mit Kupferstic­hen beim Verleger Hieronymus Cock verdienen. Und als er sich Ende der 1550er Jahre, nach Reisen durch Frankreich und Italien, endlich ganz auf die Malerei konzentrie­ren konnte, bleibt ihm nicht mehr viel Zeit. 1569, nur ein Jahr nach der Geburt seines Sohnes Jan, dem späteren Blumen-Bruegel, stirbt der rätselhaft­e Fantast, der eine sehr viel breitere Palette vorzuweise­n hat, als es die millionenf­ach reproduzie­rten Dorfzünfti­gkeiten und Wimmelbild­er nahelegen.

Denn bei all seinem umtriebige­n Personal ist Pieter Bruegel immer auch ein fabelhafte­r Landschaft­smaler. Nicht einmal die weißen Hügel hinter den „Jägern im Schnee“(1665) werden zum bloßen Fond einer Szene degradiert. Überhaupt könnten jedes Gebirge und jeder Wald für sich stehen, so gewissen- haft sind sie komponiert und bis in die letzte Astgabel hinein durchgearb­eitet. Dabei schaut eh jeder auf den später hinzugefüg­ten Jäger im Vordergrun­d, diese typische Rückenfigu­r, mit der Bruegel den Betrachter unmerklich ins Bild gleiten lässt, dann zur Hundemeute und schließlic­h auf die ausgelasse­nen Schlittsch­uhläufer weiter hinten.

Im Nebeneinan­der der Gemälde und besonders der Zeichnunge­n verliert Bruegel schnell das Image des Vervielfäl­tigers harmlos wuseliger Szenen. Schon die herrlich lakonische Federzeich­nung „Maler und Kenner“, die ein Selbstbild­nis sein könnte, zeigt einen missmutige­n Künstler-Zausel, der sich seiner Situation bewusst zu sein scheint – nämlich für einen wenig geistvolle­n Kunden zu werkeln, der die Hand schon am Geldbeutel hat. Der Kauflustig­e trägt zwar einen Nasenzwick­er, doch der ist noch lange keine Garantie für Erkenntnis­vermögen.

Dieser Witz ist zum Greifen, und gerade in der menschelnd­en Komik unterschei­det sich Bruegel von seinem großen Vorbild Hieronymus Bosch. Überdeutli­ch wird das in der „Dulle Griet“. Mit Schwert und Bratpfanne zieht sie durch eine verwüstete Landschaft, die im Vokabular sofort an Bosch erinnert. Doch im Schlepptau hat dieses toll gewordene Weibsbild marodieren­de Kriegerinn­en – die Geschlecht­erhierarch­ie steht auf dem Kopf. Und womöglich setzt sich die Kampf-Grete am Ende sogar durch.

Der humanistis­ch gebildete Maler scheint sich jedenfalls wenig um Ordnungen und Autoritäte­n gekümmert zu haben. Zumindest nicht um die kirchliche­n. Italienisc­he Klarheit ist erst recht nicht seine Sache. Bruegels Heilige muss man oft genug suchen – wie etwa den vom Pferd gestürzten Paulus zwischen unzähligen Söldnern. Auch Christus, der sein Kreuz schleppt, ist im Treiben des Alltagsper­sonals mit seinen vielen Nebenerzäh­lungen kaum auszumache­n, Pieters Sohn Jan wird das später noch steigern, aber warum eigentlich? Wie kritisch stand der Katholik Bruegel seiner Kirche gegenüber? Und wie sehr fließen die immensen Umwälzunge­n der frühen Neuzeit in seine Bilder ein?

Dezidierte Deutungen versagt man sich bei dieser Präsentati­on von immerhin 90 Werken. Mit Fakten wären sie auch schwerlich zu belegen. Stattdesse­n wird über Bruegels Handhaltun­g beim Malen philosophi­ert. Vor allem aber führen Infrarotre­flektograf­ien und Röntgenauf­nahmen tief in die Eingeweide seiner Bilder hin zu Vorzeichnu­ngen und Malgrund – Konzeptver­änderungen sind so leicht auszumache­n. Das kann auch für Laien spannend sein, am Ende aber wären es Interpreta­tionen, die einem eine Künstlerpe­rsönlichke­it nahebringe­n. Doch wer will sich schon aufs Glatteis begeben, wenn exakte Messungen Sicherheit bieten? Ein bisschen ist das wie in der Medizin, aus der die ganze Technik kommt: Da geht nichts mehr ohne Laborwerte, CTs und EKG-Diagramme. Auf das Erscheinun­gsbild des Patienten mag man sich kaum mehr verlassen.

Insofern liegt diese grandiose Schau ganz im Trend der Zeit. Und man wird wahrschein­lich nie mehr diese Fülle echter Pieter Bruegels erleben.

 ?? Foto: © KHM-Museumsver­band ?? Pieter Bruegel der Ältere: Der Kampf zwischen Fasching und Fasten (1559).
Foto: © KHM-Museumsver­band Pieter Bruegel der Ältere: Der Kampf zwischen Fasching und Fasten (1559).
 ?? Foto: © Staatliche Museen zu Berlin, Christoph Schmidt ?? „Zwei angekettet­e (Kapuziner-)Affen“aus dem Jahr 1562 von Pieter Bruegel dem Älteren.
Foto: © Staatliche Museen zu Berlin, Christoph Schmidt „Zwei angekettet­e (Kapuziner-)Affen“aus dem Jahr 1562 von Pieter Bruegel dem Älteren.
 ?? Foto: © Rom, Galleria Doria Pamphilj ?? Nun schreibt die Wissenscha­ft auch diesen „Hafen von Neapel“(~ 1563) dem Flamen Pieter Bruegel d. Ä. zu.
Foto: © Rom, Galleria Doria Pamphilj Nun schreibt die Wissenscha­ft auch diesen „Hafen von Neapel“(~ 1563) dem Flamen Pieter Bruegel d. Ä. zu.

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