Guenzburger Zeitung

„Trends zu stark hinterherg­elaufen“

U21-Nationaltr­ainer Stefan Kuntz soll beim Neuaufbau im DFB mithelfen. Ein Gespräch über Versäumnis­se, fehlende Ausnahmeta­lente und Profis ohne Ecken und Kanten

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Berlin Gleich im ersten Training bekam Joachim Löw von Mark Uth das zu sehen, was er an dem Länderspie­l-Neuling schätzt. Forscher Antritt, wuchtiger Schuss mit links – Tor. Es war zwar nur einer von zwei Treffern bei einem Kleinfeld-Turnier der Nationalma­nnschaft in der Vorbereitu­ng auf die Nations-League-Spiele gegen die Niederland­e und Frankreich, aber egal.

Mit der Nominierun­g des gebürtigen Kölners hat der Bundestrai­ner überrascht, sogar den 27 Jahre alten Stürmer selbst. Denn beim FC Schalke 04 hat er noch nicht gezündet: Null Tore nach zehn Pflichtspi­elen stehen in der Statistik. „Ich denke, dass ich die Torgefährl­ichkeit in der Box sicherlich mitbringe, auch wenn es in dieser Saison noch nicht so gut geklappt hat auf Schalke. Aber ich mache mir keine Sorgen, dass das noch kommt“, so Uth.

Löw hat den Angreifer schon länger im Blick. Aber selbst nach 14 Bundesliga-Treffern in der vergangene­n Saison bekam der keine Einladung. „Es war manchmal vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt. Andere Spieler waren ihm eine Nasenlänge voraus“, begründete der Bundestrai­ner. Uths wuchtige Spielweise gefällt Löw: „Die ganze Art und Weise, wie er spielt, passt schon gut zu unserem Spiel. Das ist für mich ein wichtiges Kriterium.“Es zählte jetzt sogar mehr als Uths aktuelle Form. „Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, ihn mal kennenzule­rnen.“(dpa) Brüssel In sieben europäisch­en Ländern hat es einen koordinier­ten Großeinsat­z der Polizei wegen des Verdachts auf organisier­ten Betrug im belgischen Profifußba­ll gegeben. Die Behörden hätten am Morgen 57 Hausdurchs­uchungen in Belgien, Frankreich und weiteren Ländern vorgenomme­n und eine „große Anzahl Personen“festgenomm­en, teilte die belgische Staatsanwa­ltschaft am Mittwoch mit. Demnach geht es um den Verdacht auf Finanzbetr­ug bei Spielertra­nsfers und Spielmanip­ulationen bei Vereinen der ersten belgischen Fußballlig­a.

220 Polizisten in Belgien, Frankreich, Luxemburg, Zypern, Montenegro, Serbien und Mazedonien waren der Staatsanwa­ltschaft zufolge im Einsatz. Im Visier der Behörden sind demnach „Klubchefs, Spielerver­mittler, Schiedsric­hter, ein ehemaliger Anwalt, eine Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t, ein Trainer, Journalist­en und einige mögliche Komplizen“. Bei dem festgenomm­enen Trainer handelt es sich um Ivan Leko, Trainer des belgischen Meisters FC Brügge. Der FC Brügge spielt derzeit in der Champions League, in einer Gruppe mit Borussia Dortmund.

Zudem seien die Räumlichke­iten des FC Brügge, des Rekordmeis­ters RSC Anderlecht, des aktuellen Tabellenfü­hrers KRC Genk sowie von Standard Lüttich durchsucht worden, hieß es ebenfalls aus Ermittlerk­reisen. (afp) Herr Kuntz, als ehemaliger Stürmer muss Ihnen am Wochenende das Herz aufgegange­n sein. Tore satt in der Bundesliga.

Kuntz: (lacht) Klar. Nicht nur, weil ich Stürmer war. Spiele mit Toren sind einfach attraktive­r.

Mannschaft­en, die über Ballbesitz zum Erfolg kommen wollen, haben es zunehmend schwerer. Richtig?

Kuntz: Auf Dauer muss jeder Trainer das Passende für seine Mannschaft finden. Ballbesitz­fußball braucht Zeit. Diese haben Trainer oft nicht, weil sie Ergebnisse benötigen.

Auch Deutschlan­d hat sich während der WM mit Ballbesitz schwergeta­n. Kuntz: Ja, weil die Bereitscha­ft fehlte, Räume in hoher Intensität anzulaufen und offensiv und defensiv Zweikämpfe zu führen.

Joachim Löw wurde öffentlich infrage gestellt, unter anderem wurden Sie als Nachfolger ins Gespräch gebracht. Kuntz: Ich war mir sicher, dass er weitermach­t. Mir wurde die Diskussion teils zu polemisch geführt. Die ganze Welt beneidete Deutschlan­d noch vor einem Jahr, weil wir in den vorangegan­genen zwölf Jahren jeweils im Halbfinale oder Finale standen. Natürlich war der Auftritt bei der WM schlecht. Aber man sollte Jogi Löw zugestehen, dass er mit einer solchen Situation umgehen kann.

Wie haben Sie die Rassismus-Debatte um Mesut Özil wahrgenomm­en? Kuntz: Nirgendwo wird mehr und besser integriert als im Fußball. In meiner Mannschaft hat die Hälfte einen Migrations­hintergrun­d, und wir haben eine ganz angenehme und respektvol­le Atmosphäre. Dass im DFB Rassismus stattfinde­t, ist vollkommen falsch. Dafür muss man sich nur die vielen Projekte ansehen, die der DFB initiiert und unterstütz­t.

Haben Sie Özil in Ihrer Mannschaft thematisie­rt?

Kuntz: Nein, weil ich etwas konstruier­en hätte müssen. Jeder kann sich bei uns ausleben, solange er sich ins Team fügt. Wenn etwas den Teamgeist gefährdet, schreiten wir ein. Nicht die Herkunft entscheide­t, sondern der Charakter des Spielers.

Jahrelang produziert­en die Nachwuchsl­eistungsze­ntren (NLZ) Talente am Fließband. Jetzt werden diese pro Jahrgang weniger.

Kuntz: Das stimmt. Früher hatten wir in jedem Jahrgang sieben Ausnahmeta­lente, jetzt sind es zwei. Und Bundesligi­sten holen im Nachwuchs verstärkt Spieler aus dem Ausland – auch wenn sie das Talent aus der Nachbarsch­aft bevorzugen. Fakt ist: In zwei, drei Jahren könnten wir auf ein Tal zusteuern.

Sie arbeiten mit den Spielern, die in den NLZ ausgebilde­t wurden. Welche Defizite stellen Sie fest?

Kuntz: Der DFB beschäftig­t sich bereits mehrere Jahre damit, es gibt aber nicht die eine Stellschra­ube. Ich habe das Gefühl, die Erziehung läuft anders ab. Gibt es Probleme in der Schule oder im Sport, klären das die Eltern. Wenn die Spieler heute 18 Jahre alt sind, haben sie hunderte minimale Konflikte nicht ausgetrage­n, weil sie ihnen abgenommen wurden. Worin sehen Sie weitere Schwachste­llen?

Kuntz: Beim Geld. Wir haben Jugendlich­e unter 18, die mehr Geld verdienen als ihre Eltern. Oder durch ihren Verdienst sogar Eltern mitfinanzi­eren. Dadurch verschiebe­n sich Interessen. Berater und Eltern sagen: Brauchst dich nicht durchsetze­n, wir gehen zum nächsten Verein. Irgendwann ist dann plötzlich Schluss und der Junge denkt sich: Moment, seit ich 13 bin, kann ich besser als alle anderen kicken. Die Welt war rosarot, jetzt wird sie plötzlich grau. Durch finanziell­e Zwänge wird es noch schlimmer.

Was muss sich in der Ausbildung ändern?

Kuntz: Was würde passieren, wenn wir bis 13 Jahre keine Wettbewerb­sspiele machen? Wir müssen die Entwicklun­g des Spielers in den Vordergrun­d rücken. Alle Beteiligte­n, Familie, Umfeld und Verein müssten zusammenar­beiten. Nur verfolgen sie teils unterschie­dliche Interessen.

Vor allem auf den Außenverte­idigerposi­tionen und im Sturmzentr­um fehlen dem DFB Alternativ­en. Ist zu einseitig ausgebilde­t worden?

Kuntz: Wir sind zu stark den Trends der Topmannsch­aften hinterherg­elaufen. Ballbesitz­fußball, spielender Mittelstür­mer, hängende Neun. Dabei haben wir Basics vergessen. Zweikämpfe führen, Flanken schlagen, im „Eins gegen eins“bestehen. Beidfüßigk­eit, Tempodribb­ling und Wachsamkei­t – das kann jeder lernen. Bevor man versucht, Schüsse von Ronaldo nachzumach­en, sollte man Grundlegen­des trainieren. Die Zusage für die EM 2024 muss der Startschus­s sein. Weil wir jetzt auf Spieler Einfluss nehmen können, die dann erfolgreic­h spielen sollen.

Sie sind 1996 Europameis­ter geworden. Waren die Charaktere einer Mannschaft damals ausgeprägt­er? Kuntz: Vielleicht war es ein Zufall, dass wir alle gestandene Spieler waren. Nach der Enttäuschu­ng bei der WM 1994 lag ein Hauptaugen­merk auf der Kaderzusam­menstellun­g. Ein Trainer muss ein Gefühl dafür bekommen, ob die Charaktere zusammenpa­ssen.

Sogar Spieler sagen, sie dürften als Profis nicht mehr äußern, was sie denken. Sind Jungprofis unmündig? Kuntz: Meine Jungs haben Ecken und Kanten. Dass sie sich nur intern ausleben, liegt an schlechten Erfahrunge­n mit einigen Medien. Durch Social Media und das Internet liegt der Fokus auf Schlagzeil­en. Deshalb sind die Jungs vorsichtig­er geworden und posten selbst ihre Statements. Gäbe es ein besseres Zusammensp­iel mit den Medien, gäbe es mehr Spieler mit Ecken und Kanten.

Wie stehen Sie zu Social Media? Kuntz: (lacht) Ich kann und will nicht posten. Und ich will nicht, dass nach einem Sieg jeder Spieler sein Handy zückt und Fotos macht. Wir machen ein Jubelfoto für alle, dann ist aber gut. Manchmal denke ich, die Spieler sind froh, wenn sie das Handy mal weglegen können.

Aus Augsburger Sicht ist die Entwicklun­g von Marco Richter interessan­t. Was trauen Sie ihm zu?

Kuntz: Dass er jetzt absagen musste, hat mir leidgetan. Er wird weiterhin fest im Kader sein. Uns hilft, wenn Verein und Trainer sich freuen, wenn sie einen Spieler zur Nationalma­nnschaft schicken dürfen. In Augsburg ist das der Fall.

Verhalten sich andere Vereine weniger kooperativ?

Kuntz: Ja, die gibt es. Für die Entwicklun­g eines Nachwuchss­pielers ist es aber wichtig, sich internatio­nal mit Gleichaltr­igen zu messen und Erfahrunge­n zu sammeln. Dieser Egoismus der Klubs ist nicht verwerflic­h, aber er erschwert die Identifika­tion mit dem Nationalte­am.

Während der WM haben Sie fürs Fernsehen als Experte gearbeitet. Gegenüber Kollegen haben Sie sich zurückhalt­end geäußert.

Kuntz: Bedingung war, dass ich nicht die deutsche Nationalma­nnschaft kritisiere­n muss. Ich finde es manchmal nicht gut, wie sich Ex-Fußballer äußern. Mir ist das zu einfach, öffentlich in eine Kerbe zu schlagen.

Interview: Johannes Graf Stefan Kuntz,

Michael Reschke ist nicht der Erste. Und er wird nicht der Letzte sein. Michael Reschke hat gelogen. Einen Tag nachdem der Sportvorst­and Tayfun Korkut eine Jobgaranti­e als Trainer des VfB Stuttgart ausgestell­t hatte, entließ er ihn. Flunkern „gehört in Extremsitu­ationen auch einmal zu unserem Geschäft“, begründete er nun seinen Schwindel. Blöd nur, wenn man sofort der Lüge überführt wird. Wie ein Kind mit Nutella-Schnute, das hoch und heilig verspricht, nicht genascht zu haben.

Das Prinzip Lüge ist weit verbreitet im Profisport. Einen Ehrenplatz nimmt Christoph Daum ein, der es schaffte, neben der Öffentlich­keit auch noch sich selbst anzuschwin­deln. Dass er sein Haar auf Kokainspur­en inspiziere­n ließ, hatte er mit einem Verweis auf sein absolut reines Gewissen begründet. Lüge ist nicht gleich Lüge. Es gibt die langweilig­en „Ich-habevollst­es-Vertauen-in-meineManns­chaft“-Trainer

– die den Blödsinn auch noch erzählen, wenn der Stürmer mit der Frau des Torwarts durchgebra­nnt ist und der Großteil des Teams bereits bei anderen Vereinen Verträge unterschri­eben hat. Und dann gibt es die Poeten unter den Lügnern. Diego Armando Maradona ist zweifellos der größte unter ihnen. Es sei keine schnöde Unsportlic­hkeit gewesen, die er sich gegenüber der englischen Nationalma­nnschaft 1986 geleistet hatte, vielmehr habe die „Hand Gottes“im WM-Viertelfin­ale den Ball ins Tor gelenkt. Da kann man ihm nur schwer böse sein. Anders als im Falle von Andreas Möller. Der segelte dereinst zwar formvollen­det, jedoch ohne vorherigen Gegnerkont­akt durch den Karlsruher 16er.

Der Offensivma­nn fiel und der Schiedsric­hter auf ihn rein. Möller begründete seinen ursachenlo­sen Strafraumf­lug mit einer „Schutzschw­albe“. Er habe dem Schmerz entkommen wollen, den ihm der lauernde Dirk Schuster zweifelsfr­ei in der Lage gewesen wäre zuzufügen.

Das alles sind Flunkereie­n, die allesamt aufgedeckt wurden. Die persönlich­e Erfahrung aber lehrt, dass mancherlei kreativer Umgang mit der Wahrheit auch unentdeckt bleibt. Welcher scheinbare Fakt ist gar keine Tatsache? Vielleicht hat der Schiedsric­hter ja gar nicht immer recht. Manch Pfiff untermauer­t diese These. Und unter Umständen ist sogar der Spruch „Die Tabelle lügt nicht“nichts weiter als Fake. Das würden zumindest die Verantwort­lichen des FC Bayern gerne glauben.

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