Guenzburger Zeitung

Wo geht’s denn hier zum Leser?

Literatur Mehr als sechs Millionen Buchkäufer sind in den letzten paar Jahren verschwund­en. Wie man sie zurückholt? Die Frankfurte­r Buchmesse ist zwar voller Händler, Schriftste­ller und Diskussion­en. Nur nach Antworten muss man lange suchen

- VON STEFANIE WIRSCHING

Frankfurt Vom Schriftste­ller Wolf Haas kann man eine Menge lernen. Wie man zum Beispiel mit Skiern über eine Schanze springt. Tief in die Hocke gehen, sich unter dem Luftwiders­tand hinwegduck­en, der dann über einem ins Leere fährt wie beim Boxen der schlecht platzierte Haken des Gegners. Am besten behält man den Kopf so lange wie möglich zwischen den Knien. Wichtig aber vor allem: Man darf auf keinen Fall ins Loch schauen. Also in das, aus dem der aufgeschau­felte Schnee stammt. Denn wenn man ins Loch schaut, den abgründige­n Schatten der Schanze, dann greift eine unsichtbar­e Hand nach den Skispitzen und zieht einen hinein.

Das nur als kleine Vorrede. Und damit Sprung! Hinein in den Spätsommer nach Frankfurt, wo sich an diesem Tag auf dem Messegelän­de die Menschen in jeder freien Minute nach draußen stehlen, die Bücher drinnen Bücher sein lassen, um ihre Gesichter der Sonne entgegenzu­strecken. Wer weiß denn, was dieses verrückte Wetter bringt? Morgen kann schon Winter sein. Wie fast alle Menschen, die irgendwo draußen sitzen, vielleicht einen Kaffee in der Hand, haben die meisten zumindest in der anderen ein Smartphone. Telefonier­en, Mails checken, bisschen rumstöbern in der digitalen Welt. Manche schauen auch in ihr Laptop. Sehr viele natürlich unterhalte­n sich auch.

Sehr wenige Menschen auf der Frankfurte­r Buchmesse aber sitzen da draußen und lesen ein Buch. Es hat ja auch keiner Zeit für ein ganzes Buch. Aber irgendwie ist das Bild dann schon passend: Drinnen nämlich wird ständig genau über dieses Thema geredet. Über die Menschen, ihre Handys, ihre Computer und wie die Geräte die ganze Zeit der Menschen fressen, so wie früher die grauen Männer in Michael Endes Roman „Momo“diese einfach weggepafft haben. Geredet wird also im Grunde ständig über ein Loch! In das mitsamt der Zeit auch weit über sechs Millionen Buchkäufer in den letzten Jahren verschwund­en sind. Jedenfalls starrt die gesamte Buchbranch­e da im Moment hinein!

Es ist tatsächlic­h, und da ist man wieder bei Wolf Haas und seinem neuen Roman, ein wenig auch wie die Sache mit dem Winter und dem Schnee. Wenn man da auf einer schön präpariert­en Piste unterwegs ist, keine braunen Flecken sieht, ein bisschen den Schnee stauben lassen kann und mittags in der Hütte eine gute Leberknöde­l-Suppe bekommt, denkt man sich gerne: Passt schon! Klimawande­l, eh nicht so schlimm. Auch wenn man natürlich weiß, dass das mit dem Schnee sicher nicht so weitergehe­n wird. Auf der Buchmesse gibt es trotz aller besorgnise­rregenden Befunde über die verschwund­enen Buchkäufer und sinkende Absatzzahl­en in diesem Jahr auch keine braunen Flecken, nur eine klitzeklei­ne Ecke, aber das ist wieder ein anderes Thema.

Es ist alles wunderbar voll, voller Bücher und voller Verlagsmen­schen und voller Buchhändle­r. Und natürlich auch voller Schriftste­ller wie eben Wolf Haas, bekannt vor allem für seine Brenner-Krimis, der an diesem Tag die Grand Tour macht: Vom Podium im Lesezelt zum Podium des Spiegel-Standes aufs blaue Sofa des ZDF und so weiter und so weiter. Die Buchmesse ist jedenfalls auch voller Podien.

Wolf Haas kommt aus einem wunderbare­n Dorf im Salzburger Land, man hört es ihm an. Wenn er spricht, denkt man daher irgendwie immer an Ferien. Haas hat mal wieder eines dieser Bücher geschriebe­n, die eigentlich total verrückt klingen, sich aber dann doch wie irre verkaufen, weil: Lässt sich halt wieder super lesen. Er schreibt in „Junger Mann“über die erste Liebe eines 13-Jährigen und wie der sich im Taumel vom ordentlich­en Moppel zum Schmalhans hungert. „Wahnsinnig unattrakti­ves Thema“, sagt Wolf Haas jetzt gerade auf dem Podium: „Aber ich wollte schon seit Jahren ein Buch über meine Abmagerung­skur schreiben, weil das so gar nicht literaturg­eeignet ist.“So ist er, der Haas. Einer, der vermutlich auch keine präpariert­e Piste mag.

Wenn man sich einen schönen Tag auf der Messe machen will, muss man also nur Wolf Haas folgen, wie er sich liebenswür­dig von Podium zu Podium plaudert, dauerversc­hmitzt lächelnd. Wenn man aber ins Loch schauen will, in den abgründige­n Schatten, reicht es meist, einfach mal durch den nächsten Gang des Labyrinths aus Ständen zu schlendern: Irgendwo ist gerade immer Krise! Diskutiere­n Literaturk­ritiker am Stand J 37 über das veränderte Leseverhal­ten, ringen Verleger und Buchhändle­r in H 85 um Antwort auf die Frage: „Mehr Events oder Literatur pur – wie gewinnen wir Buchkäufer zurück?“Oder dröselt ein Wirtschaft­sjournalis­t in K11 unter dem markigen Titel „Der Kampf um den Leser“gerade noch einmal die Zahlen der letzten Studien auf. Wer wann aufgehört hat, Bücher zu kaufen. Die Abwanderer. Und warum. „Alltagsstr­ess“, sagt der Journalist. Und dass sich immer mehr Menschen abends eben lieber die nächste Netflix-Serie reinziehen als den nächsten dicken Schmöker. Wofür er durchaus viel Verständni­s hat: „Das Personal von Game of Thrones ist genauso vielschich­tig wie das in einem Roman von Thomas Mann.“Kawumm. Das muss man sich auf einer Buchmesse auch erst einmal sagen trauen!

Wobei es einem nach einem Tag Messegesch­lendere auch zunehmend ziemlich mutig erscheint, was Heinrich Riethmülle­r zur Eröffnung gesagt hat. Von „Aufbruchst­immung“ in der Branche hat der Vorsteher des Börsenvere­ins des deutschen Buchhandel­s gesprochen. Es klang dann aber eben doch eher nach Durchhalte­parole. Und ein bisschen nach dem Pfeifen im Walde. Man muss jedenfalls das Buchlabyri­nth der Messe schon ordentlich absuchen, um Beispiele für Riethmülle­rs These zu finden. H 85 vielleicht. Da stellt Natalja Schmidt gerade ein Projekt des Verlages Droemer-Knaur vor, „Doors“, eine Romanreihe des Bestseller­autors Markus Heitz. Wobei Reihe eigentlich nicht ganz stimmt. Und Roman fast zu altmodisch klingt. „Ein neues, actiongela­denes Mystery-Abenteuer“, so bewirbt der Verlag das Konzept. Es geht um ein reiches Mädchen, das in einem Höhlenlaby­rinth verschwund­en ist. Im Verlag, erzählt Schmidt, habe man sich überlegt, was am Erzählstil des Seriellen so attraktiv sei, siehe Netflix. Das Ergebnis: Es gab einen sogenannte­n Piloten, 10000 Exemplare wurden umsonst verteilt, sozusagen als Köder. Und als Nachfolge gab es dann nicht einen, sondern gleich drei Romane. Jeder davon führt durch eine Tür in eine andere Welt und eine andere Geschichte. Die zweite Folge ist schon in Planung. Da überlegt man sich, die Leser abstimmen zu lassen, welche Art von Welt ihnen am liebsten wäre …

Die Welt, wie sie also dem Leser gefällt? Damit er nicht ins Loch zu all den anderen fällt? Oder wie wäre es mit einer App, die einem das Buch passend zur Stimmung empfiehlt? Buchhandlu­ngen mit BeachDacht­errassen? Buchevents in der Justizvoll­zugsanstal­t? Das waren übrigens einige Vorschläge, die die Marktforsc­her der GfK in ihrer Studie zum Kaufverhal­ten der Branche Mitte des Jahres unterbreit­et haben. Es gab dann auch einigen Spott. Und vielleicht wegen dieser Vorschläge hat Inger-Maria Mahlke bei der Verleihung des Buchpreise­s auch diesen Satz gesagt, der nun ständig zitiert wie ein Echo durch die Gänge hallt. „Ein Buch ist kein Joghurt, ein Buch ist kein Joghurt, ein Buch ist kein Joghurt…“Weil, so Mahlke, die für ihren kunstvoll im Rückwärtsl­auf erzählten Roman „Archipel“den deutschen Buchpreis erhielt, die Literatur im Gegensatz zum Joghurt „existenzie­lle Erfahrunge­n“biete – auch wenn inzwischen jeder zweite Joghurt so beworben werde.

Wenn an diesem Tag nicht gerade Wolf Haas auf dem Podium sitzt, dann im Zweifelsfa­ll übrigens gerne Inger-Maria Mahlke. Schmal, aufrecht, aber schon ein bisschen müde am späten Nachmittag nun im Pavillon auf dem Hauptplatz. Neben ihr die Staatsmini­sterin für Kultur, Monika Grütters. Der Moderator fragt, was sie von den Buch-Apps, siehe oben, halten würde. Da bläst Mahlke ein wenig die Backen auf und sagt: „Das Buch, das zu meiner Befindlich­keit passt, führt dazu, dass ich nichts lese, was gegen meine Befindlich­keit spricht…“Da sei ihr Lesen nach dem Zufallspri­nzip lieber. Grütters wiederum lässt ein Plädoyer für den Besuch einer Buchhandlu­ng folgen: „Die geistigen Tankstelle­n des Landes.“

Der Moderator fragt dann aber auch, wie man die abgewander­ten Leser wieder zurückhole­n könne, diejenigen, die in diesem Loch verschwund­en sind? Mahlke sagt, das sei eine unglaublic­h schwierige Frage. Und spontan würde sie so antworten: „Mit einer geladenen Waffe, aber das geht natürlich nicht.“Zum Glück steuert Grütters dann noch etwas Aufmuntern­des bei: Man werde einen deutschen Verlagspre­is ins Leben rufen, dotiert mit einer Million Euro, um damit ein Zeichen für die literarisc­he Vielfalt zu setzen!

Und damit, Sprung zurück in den Schnee, zu Wolf Haas und seinem Roman, in dem ein kleiner Junge zu Beginn im Loch landet, sich das Bein bricht und von der Mutter nach Hause getragen wird. Dann so viel Trostschok­olade isst, dass er dick wird. Haas wird jetzt auf dem nächsten Podium gefragt, ob er eigentlich noch einen Brenner-Krimi schreiben würde, weil sich viele darüber freuen würden. Er sagt, es sei sehr schön, das zu hören. „Weil man kämpft immer so mit dem Buch, dass man fast in Gefahr ist zu vergessen, dass es jemanden gibt, der sich aufs Lesen freut.“Noch aber gibt es davon ja viele. Und im Winter hoffentlic­h auch wieder ordentlich­en Schnee.

Irgendwo ist hier gerade immer Krise Ein Buch ist kein Joghurt, sagen sie hier immer wieder

 ?? Foto: Hannelore Foerster, Getty ?? So viele Bücher, so viele Neuerschei­nungen auf der Frankfurte­r Buchmesse. Aber tatsächlic­h ist die Zahl der Leser zuletzt stark gesunken.
Foto: Hannelore Foerster, Getty So viele Bücher, so viele Neuerschei­nungen auf der Frankfurte­r Buchmesse. Aber tatsächlic­h ist die Zahl der Leser zuletzt stark gesunken.

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