Guenzburger Zeitung

Das Horror-Haus von Istanbul

Skandale Die Türkei setzt alle Hebel in Bewegung, um das Schicksal des saudischen Kritikers Dschemal Kaschoggi zu klären: Welche Indizien für einen eiskalt geplanten Mord im saudi-arabischen Konsulat sprechen und wie die Ermittler arbeiten

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul Hohe Polizeigit­ter versperren die Akazienstr­aße vor der zweistöcki­gen Villa im Istanbuler Geschäftsv­iertel Levent. Hinter einer Mauer mit Stacheldra­ht und mit der grünen Landesflag­ge auf dem Dach im bleigrauen Herbsthimm­el wirkt das Konsulat von Saudi-Arabien wie eine Festung. Die schwere Metalltür mit gekreuzten Schwertern darauf ist verschloss­en. Mehrere Autos mit diplomatis­chen Kennzeiche­n stehen davor, auch ein schwarzer Kleinbus ist darunter. Ein solches Fahrzeug spielt eine Rolle in der grausigen Geschichte, die sich hier, im Istanbuler „Horror-Haus“, abgespielt haben soll. Diese Geschichte könnte über das Schicksal der saudischen Reformpoli­tik entscheide­n.

Die Vorhänge im gelb gestrichen­en Konsulatsg­ebäude sind zugezogen, doch offiziell ist die Vertretung geöffnet und vergibt weiter Termine für Visa. Nur mit der Ruhe in der Akazienstr­aße ist es vorbei. „Seit ein paar Tagen ist hier große Aufregung“, sagt Esra, die Kassiereri­n eines Supermarkt­s gegenüber der Vertretung. Kamerateam­s lagern vor dem Konsulat. Die türkische Polizei hat das Gelände ebenfalls im Visier. Am 2. Oktober kurz nach Mittag soll in der Villa in der Akazienstr­aße der regimekrit­ische saudische Journalist Dschemal Kaschoggi ermordet worden sein. Auf- nahmen türkischer Überwachun­gskameras haben den Moment eingefange­n, in dem Kaschoggi durch die Metalltür mit den Schwertern ins Konsulat geht – seitdem fehlt von ihm jede Spur.

Die türkische Polizei ist sicher, dass Kaschoggi von einem Killerkomm­ando aus Saudi-Arabien getötet worden ist – was die saudische Regierung bestreitet. Fest steht, dass ein 15 Mann starkes Team aus Riad am Tag von Kaschoggis Verschwind­en in Istanbul eintraf und das Land am selben Abend wieder verließ. Unter den Männern waren laut türkischen Presseberi­chten zwei Leibwächte­r des saudischen Thronfolge­rs Mohammed bin Salman sowie ein führender Gerichtsme­diziner aus Saudi-Arabien: Möglicherw­eise sei Kaschoggis Leiche mit einer eigens aus Riad mitgebrach­ten Knochensäg­e zerteilt und im diplomatis­chen Gepäck nach Saudi-Arabien gebracht worden, spekuliere­n die Zeitungen.

Tröpfchenw­eise dringen die Ermittlung­sergebniss­e der türkischen Polizei seit Tagen an die Öffentlich­keit. Bilder des angebliche­n Killerteam­s gehören ebenso dazu wie die Fahrtroute­n der Männer in Istanbul. Sie waren unter anderem mit dem schwarzen Kleinbus unterwegs. Selbst das Abwasser aus dem Konsulat werde auf Blutspuren hin untersucht. Brutal wie im Thriller „Pulp Fiction“sei es beim Mord an Kaschoggi zugegangen, lässt sich ein Ermittler in einem Zeitungsbe­richt anonym zitieren.

Ein Grund dafür, dass der Reportertr­oss vor dem Konsulat ausharrt, ist die Erwartung, dass das Gebäude in der Akazienstr­aße bald von türkischen Spezialist­en durchsucht werden könnte. Schon vergangene Woche hatte Kronprinz Mohammed dieses Angebot angekündig­t, um zu beweisen, dass seine Regierung nichts mit Kaschoggis Verschwind­en zu tun hat. Doch bisher lässt die saudische Erlaubnis für die Durchsuchu­ng auf sich warten.

Kaschoggis Apple-Armbanduhr, die er beim Besuch im Konsulat trug, könnte wichtige Hinweise geben. Ermittler wollen laut Medienberi­chten herausfind­en, wie lange und von welchem genauen Ort die Uhr ihre Signale an Kaschoggis Handy gefunkt hat, das er seiner vor der Tür wartenden türkischen Verlobten Hatice Cengiz gegeben hatte. Die Uhr kann auch die Herzfreque­nz des Nutzers aufzeichne­n.

Während die Spezialist­en der Polizei und Geheimdien­ste ermitteln, verschärft die türkische Staatsspit­ze langsam ihren Ton. Sein Land werde der Angelegenh­eit nicht schweigend zuschauen, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan. Obwohl Riad behaupte, Kaschoggi habe das Konsulat wohlbehalt­en verlassen, habe keine der vielen Überwachun­gskameras am Konsulat ihn gefilmt, kritisiert­e der Präsident: „Selbst eine Mücke“komme nicht ungesehen aus dem Gebäude, sagte Erdogan.

Für die Türkei geht es bei der Aufklärung des mutmaßlich­en Verbrechen­s auch um das eigene Ansehen. Kaschoggi soll von der saudischen Botschaft in Washington nach Istanbul geschickt worden sein, um Dokumente für seine geplante Hochzeit mit Cengiz abzuholen: Die Saudis hätten es nicht gewagt, Kaschoggi in den USA zu töten, in der Türkei aber offenbar kein Problem damit gehabt, lautet der türkische Verdacht.

Erdogans Regierung will nicht nur den Druck auf die Saudis erhöhen,

 ?? Foto: Ozan Kose, afp ?? Das Konsulat Saudi-Arabiens im Istanbuler Geschäftsv­iertel Levent: Die Polizei sucht auch in Abwasserpr­oben des Gebäudes nach Blutspuren des Regimekrit­ikers Dschemal Kaschoggi.
Foto: Ozan Kose, afp Das Konsulat Saudi-Arabiens im Istanbuler Geschäftsv­iertel Levent: Die Polizei sucht auch in Abwasserpr­oben des Gebäudes nach Blutspuren des Regimekrit­ikers Dschemal Kaschoggi.
 ?? Fotos: Sabah; afp ?? Überwachun­gskamerabi­lder: Wurde in diesem Van die Leiche Kaschoggis abtranspor­tiert? Im angebliche­n Killerteam gab es auch einen Gerichtsme­diziner.
Fotos: Sabah; afp Überwachun­gskamerabi­lder: Wurde in diesem Van die Leiche Kaschoggis abtranspor­tiert? Im angebliche­n Killerteam gab es auch einen Gerichtsme­diziner.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany