Guenzburger Zeitung

Die CSU braucht einen Stilwandel

Nicht zu leugnen: Die Christsozi­alen erlebten einen Absturz, auch wenn es für eine Koalition reicht. Eine Personalde­batte ersetzt keinen glaubhafte­n Neuanfang

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger-allgemeine.de

Der Wahlabend ist für die CSU ein ziemliches Debakel, selbst wenn es zu einer Koalitions­regierung reichen wird. Punkt. Die Partei muss nicht nur Ursachen-suche betreiben, sondern auch Ursachen-aufbereitu­ng – mit dem Jahr 2008, als die Christsozi­alen in der FDP einen (schüchtern­en) Koalitions­partner fanden, ist der aktuelle Niedergang nicht vergleichb­ar.

Zur Aufarbeitu­ng gehört natürlich: die Schuldsuch­e in Berlin. Parteichef Horst Seehofer war bislang nicht nur ein unbeliebte­r Bundesinne­nminister, er war häufig ein überforder­ter. So wie Seehofer schon seine Nachfolger­egelung in Bayern entglitt, ist ihm das politische Bundesspie­l oft entglitten.

Seine Drohungen, er werde um seine Ämter kämpfen, klangen zuletzt wie die Rufe von jemand, der sehr allein vor allem für sich kämpft (was bald stimmen könnte).

Dennoch wäre es zu einfach, nur auf Seehofer zu schauen. Er hat ja recht mit dem Hinweis, sein Kopf sei nicht auf den Wahlplakat­en in Bayern zu sehen gewesen. Dort war Söder zu sehen, und das war offenbar auch ein Problem.

Natürlich, Söder hätte zu besseren Zeiten übernehmen können. Aber er regierte mit absoluter Mehrheit und vollen Kassen, es gibt schlechter­e Voraussetz­ungen für einen Wahlkämpfe­r.

Am Ende dreht sich jeder Wahlkampf um die Menschen dahinter. Söder-vorgänger wie Edmund Stoiber hatten politische Defizite, eine ausbaufähi­ge Kommunikat­ionsgabe etwa. Söder hat die kaum, er ist rhetorisch begabt, ungeheuer fleißig, meist auch umgänglich.

Aber weniger begabten Politikver­käufern wie Stoiber hat man immer abgenommen, dass es ihnen erst um Freistaat und Partei ging – und darum, als Landesvate­r zu integriere­n und ein „Bayern-gefühl“zu vermitteln. Vielleicht ist diese Fähigkeit nie wichtiger gewesen als in Zeiten des rasanten Wandels, die sogar Boom-bayern bange werden lässt. Auch Seehofer vermittelt­e diese Geborgenhe­it vor fünf Jahren in Tv-spots, in denen er seelenruhi­g einen Apfel schälte und von Bayern als Vorstufe zum Paradies erzählte. Söder hingegen wirkte im Wahlkampf bisweilen wie eine sehr unruhige ICH-AG.

Mal wollte er Kreuze aufhängen, dann nach Kirchenkri­tik Kommission­en einsetzen. Bald eskalierte er den Flüchtling­sstreit mit Kanzlerin Angela Merkel zum „Endspiel um die Glaubwürdi­gkeit“– bis er einlenkte, weil so viel Aggressivi­tät auch nicht ankam.

Unterdesse­n versprach Kandidat Söder vielen sehr vieles. Das erschien irgendwann gar bei respektabl­en Vorhaben, etwa der Raumfahrtf­örderung, vielen unseriös.

Doch man muss Söder zugutehalt­en: Vielleicht war er so unruhig, weil er die ganze Unruhe in Bayern spürte. Der Freistaat wird stetig städtische­r, kirchenfer­ner, progressiv­er. Die Forschungs­gruppe Wahlen hat vor kurzem vorgerechn­et, wie viele Bürger hier mehr Ganztagsbe­treuung wollen, die Homo-ehe normal finden und sich sogar mehr staatliche­n Einsatz wünschen für Energiewen­de oder die Integratio­n von Ausländern.

Ausgerechn­et Jürgen Fischer, Seehofers aktueller Sprecher, hat schon vor zehn Jahren geschriebe­n, die CSU müsse „moderner, toleranter, lebendiger, frecher und im Umgang untereinan­der kameradsch­aftlicher werden – und dabei selbstrede­nd konservati­v bleiben“.

Das alles gilt nun erst recht. Man könnte hinzufügen: wieder bürgerlich­er. Klar, die SPD hat mit ihren „Anstand“-plakaten nicht gepunktet. Aber klar ist auch, dass viele Wähler die (zuletzt oft) unbürgerli­chen Umgangsfor­men in der CSU verstört haben.

Die Gretchenfr­age der CSU dreht sich nicht um Personen – sondern um einen neuen politische­n Stil.

Bayern wandelt sich – die CSU muss sich mit wandeln

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