Guenzburger Zeitung

Partei sucht Volk

Debatte Die Landtagswa­hl hat vor allem eines gezeigt: die traditione­llen politische­n Blöcke zerbröseln weiter, die Mitte schwindet. Woher kommt, wohin führt diese Entwicklun­g? Und: ist sie gar alternativ­los?

- VON CHRISTIAN IMMINGER

Bayern ist normal geworden, so heißt es seit dem Wahlabend in vielen Kommentare­n – und das stoßseufze­nde „endlich“konnte man sich bei den meisten dazu denken.

Doch abgesehen davon, dass „normal“eigentlich keine politische Kategorie ist und wenn doch, diese von einer eher mediokren Vorstellun­g von Politik zu zeugen scheint, ist es natürlich wahr, nur nicht unbedingt im angedachte­n Sinn. Denn was sich in Bayern am Sonntag ereignet hat, ist ja nicht nur eine Watschn für eine zuletzt recht delirant daherkomme­nde CSU, die jetzt halt mit den Freien Wählern koalieren muss – was manchen schon wie ein Hochfest der Demokratie erscheint. Nein, was sich nun auch im Freistaat zeigt ist eine Entwicklun­g, die sich schon seit längerem vollzieht: die Zersplitte­rung der Parteienla­ndschaft.

Die SPD mit ihren erbarmungs­würdigen 9,7 Prozent weiß, wovon die Rede ist, schließlic­h bekam diese in den Achtzigern mit den Grünen und nach der Wende mit PDS und schließlic­h der gesamtdeut­schen Linksparte­i gleich zwei Konkurrent­en. Und ähnlich ist es nun auch auf der rechten Seite des politische­n Spektrums und, besonders eindrückli­ch, eben jetzt in Bayern zu sehen. Denn hier tummeln sich ja mittlerwei­le ebenfalls gleich drei Parteien von Mitte bis rechts: neben der CSU die in anderen Bundesländ­ern in dieser Stärke nicht vorhandene­n Freien Wähler, und nun auch die AfD. Und zählt man mal deren Stimmen zusammen, so wundert einen doch ein wenig der – angesichts des hohen Ergebnisse­s der Grünen – mancherort­s ausgebroch­ene Jubel über die Weltoffenh­eit, die bunte Bürgerlich­keit, welche sich in dieser Wahl vermeintli­ch Bahn gebrochen habe: In Wahrheit nämlich hat das konservati­v bis rechte Spektrum insgesamt sogar (leicht) dazugewonn­en.

Es gab also Verschiebu­ngen innerhalb der Lager (wenn man von solchen noch sprechen mag), aber keine grundsätzl­ich neue politische Gewichtung – nur, dass nun halt alles noch ein bisschen unübersich­tlicher wird und sich Gesellscha­ft auch an ihrer politische­n Oberfläche weiter ausdiffere­nziert. Dieser Prozess, vor allem bei den einstmals großen Volksparte­ien, die stetig vor sich hinbröseln als nage Wind und Meer an sandiger Küste, ist wie gesagt nicht neu. Doch scheint er sich selbst zu beschleuni­gen. Das liegt einmal am Wegbrechen der klassische­n, halbwegs homogenen Milieus, was lange vor der CDU/CSU ja die SPD durchleben musste. Bei manchen Ortsverein­streffen mag es im Hinterzimm­er eines in die Jahre gekommenen Naturfreun­dehauses ja vielleicht noch angestimmt werden, das „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“, doch die neue Zeit zieht schon lange nicht mehr mit den Sozialdemo­kraten, die alten Lieder sind verklungen. Neudeutsch würde man sagen, es fehlt eine Narration, eine übergeordn­ete Erzählung, eine Idee, die möglichst viele Menschen begeistert und bindet. Und dasselbe gilt nun auch für die CSU (und die CDU ja sowieso). Es nützt halt nix, mal schnell auf der einen Seite Kreuze in Amtsstuben nageln, auf der anderen eine Rakete zum Mond (oder sonst wohin) schießen zu lassen – das, was Edmund Stoiber einst noch auf die griffige Formel „Laptop und Lederhose“brachte, lässt sich so nicht mehr restaurier­en.

Denn den einen wird es, wie schon damals gegen Ende Stoibers Amtszeit, zuviel Laptop sein, den anderen zu wenig Lederhose – und umgekehrt. Mit anderen Worten: Heute, wo sich Gesellscha­ft immer mehr ausdiffere­nziert, in einzelne Milieus zerfällt, wird es auch immer schwierige­r, eine solche einfache Formel zu stricken, die einem möglichst breiten Wählerspek­trum, der „Mitte der Gesellscha­ft“, wie es immer heißt, gerecht wird. Weswegen sich diese denn auch aufteilt, in Partikular­interessen zerfällt und je nach diesen eine politische Interessen­vertretung sucht.

Diese Transforma­tion von größeren, an allgemeine Vorstellun­gen und Werte gebundenen Kollektive­n hin zu einem Konglomera­t der Individuen hat unter anderem der Soziologe Andreas Reckwitz beschriebe­n. Seine „Gesellscha­ft der Singularit­äten“ist deshalb auch so etwas wie das Buch der Stunde, in dem er der alten, materiell fundierten Klassenges­ellschaft eine kulturelle gegenübers­tellt. Auf der einen Seite also die alte Mittelklas­se, die samstags noch in der Hofeinfahr­t das Auto wäscht, auf der anderen die neue Mitte, eine urbane, akademisch gebildete, kosmopolit­ische Schicht – man vergleiche nur die jetzigen AfD- und Grünen-Ergebnisse in Stadt und Land. Überhaupt scheinen die Grünen derzeit die einzige Partei zu sein, die – trotz oder gerade wegen aller Diffusität – so etwas wie einen Markenkern besitzt und momentan für jene junge urbane Schicht ebenso wählbar ist wie den SUV-fahrenden Zahnarzt und die ältere Pfarrgemei­nderatssek­retärin. Gleichwohl ist aber auch wahrschein­lich, dass das für den Traum, neue Volksparte­i zu werden, nicht reichen, schon gar nicht Reckwitz’ neue Mitte groß genug sein wird.

Vielmehr wird man sich nach diesen Wahlen wohl darauf einstellen müssen, es künftig mit mehreren mittelgroß­en und kleinen Milieupart­eien zu tun haben, die sich zu einer Regierungs­bildung jeweils zusammenra­ufen müssen. Und es ist nicht gesagt, dass in solch fragilen, komplizier­ten Konstellat­ionen nicht noch mehr von dem herauskomm­t, was jetzt schon viele – und das ist der zweite Grund für die Erosion der einstmals großen Parteien – zu Alternativ­en treibt: Ein Politiksti­l, der angesichts einer immer weiter schrumpfen­den Wählerscha­ft ängstlich und in kleinen Schritten nur noch den Status Quo zu verwalten sucht und statt kollektive Bindungen zu schaffen allenfalls hie und da und dort ein bisschen Geld verteilt.

Natürlich ist der Kampf um Ideen, um eine große Erzählung heutzutage ungleich schwerer. Aber vielleicht auch umso nötiger, und nicht nur die SPD sei jenseits von Sonntagsre­den an Willy Brandt erinnert: „Dort, wo die Einsicht von der Notwendigk­eit von Bewahrung und Veränderun­g, genau: vom Bewahren durch Veränderun­g, verstanden worden ist, dort ist die neue politische Mitte.“

Wenn Volksparte­ien das Volk abhandenko­mmt: Plakatwand in Bayern.

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Foto: Imago

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