Wie konnte der Anästhesist Patienten anstecken?
In Donauwörth soll ein Narkosearzt mindestens fünf Menschen mit Hepatitis C infiziert haben. Und es könnten noch deutlich mehr sein. Vieles deutet darauf hin, dass der Mediziner Probleme hatte
Donauwörth In Landratsamt in Donauwörth steht das Telefon am Mittwoch nicht mehr still. In der Zentrale, vor allem aber im Gesundheitsamt. Seit tags zuvor bekannt geworden ist, dass ein Narkosearzt an der Donau-Ries-Klinik mindestens fünf Patienten mit Hepatitis C infiziert haben soll und möglicherweise noch deutlich mehr Menschen betroffen sein könnten, haben die Bürger viele Fragen: Was, wenn ich zuletzt im Donauwörther Kreiskrankenhaus operiert wurde? Wie kann ich feststellen, ob genau dieser Anästhesist mich narkotisiert hat? Und wie, ob ich infiziert wurde?
Dr. Rainer Mainka, der das Gesundheitsamt leitet, muss erst einmal zur Geduld mahnen. Am Mittwoch gingen die 693 Serienbriefe in Druck, mit denen potenziell betroffene Patienten informiert werden, die zwischen dem 22. November 2016 und dem 24. April 2018 in der Klinik operiert wurden und bei denen der Mediziner für die Narkose zuständig war. „Spätestens am Freitag müssten sie das Schreiben im Briefkasten haben“, erklärt Mainka. Die Patienten sollten sich vom Hausarzt auf Hepatitis C testen lassen. „Das geht über eine ganz normale Blutabnahme“, sagt Mainka. Wer in der fraglichen Zeit im Krankenhaus war, aber keinen Brief bekomme, sei wohl nicht betroffen.
Die drängendste aller Fragen aber bleibt: Wie kann es sein, dass ein Narkosearzt Patienten mit der Leberentzündung ansteckt? Eine Frage, die seit vergangener Woche auch die Kriminalpolizei Dillingen und die Staatsanwaltschaft beschäftigt. Ermittelt wird wegen des Verdachts der Körperverletzung. Von beiden Seiten gibt es auch am Mittwoch keine Auskunft zu dem Fall.
Wie genau die Ansteckungen geschahen, darüber kann auch am Mittwoch nur spekuliert werden. Götz Geldner arbeitet selbst als Anästhesist am Klinikum Ludwigsburg-Bietigheim, zugleich ist er Präsident des Berufsverbands Deutscher Anästhesisten. In Deutschland werden 19 Millionen Narkosen im Jahr verabreicht, sagt er. Ein Fall, wie er in Donauwörth passiert sein soll, ist für den Professor unvorstellbar. „Und unter normalen Umständen gibt es so etwas nicht. Es ist mir unerklärlich, wie ein Anästhesist bei einem normalen Narkose-Vorgehen mehrere Patienten zufällig mit Hepatitis infiziert haben soll.“
Die Übertragung des Virus ist in der Regel nur über den Blutweg möglich. Ein Anästhesist, sagt Geldner, komme zwar unter Umständen mit dem Blut von Patienten in Berührung – wenn er einen intravenösen Zugang legt oder einen Ve- nenkatheter. „Aber dann müsste es ja erst noch mit dem Blut des Arztes in Verbindung kommen …“Mangelnde Hygiene schließt Geldner ebenso aus wie ein Versehen. „Es kann zwar passieren, dass sich ein Arzt versehentlich mit einer Nadel sticht. Aber dann wirft er die Nadel weg und nimmt eine frische.“
In Donauwörth vermutet man, dass der Narkosearzt fahrlässig gearbeitet habe. Die Frage, wie er Patienten infizieren konnte, ist dennoch „schwer zu verstehen“, heißt es. Ein vorsätzliches Handeln schließt Gesundheitsamtsleiter Mainka jedenfalls aus: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es passiert ist, um Patienten zu schädigen.“ Das sollte ohnehin ausgeschlossen sein: „Ein Anästhesist ist nie länger mit dem Patienten allein. Entweder ist eine Narkoseschwester dabei oder der Operateur“, sagt Geldner.
Der Narkosearzt hat zehn Jahre lang an der Donau-Ries-Klinik gearbeitet. Im April wurde das Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen beendet. Jürgen Busse, Vorstandsvorsitzender des gemeinsamen Kommunalunternehmens Donau-Ries (gKU), spricht von „verhaltensbedingten“Gründen. Dass der Anästhesist an Hepatitis C leidet, sei ihm zu diesem Zeitpunkt nicht klar gewesen, betonen seine Anwälte David Herrmann und Christian Kanth. Den Befund habe er erst im Mai durch eine Zufallsdiagnose erhalten. „Unser Mandant hat das nicht gewusst, er hätte die Patienten niemals einem Risiko ausgesetzt.“Wie er sich mit dem Virus infiziert habe, könne er sich nicht erklären. Der Mann, der an eine andere Klinik gewechselt hat, ist mittlerweile wieder gesund.
Im Donauwörther Krankenhaus beschreiben Mitarbeiter den Narkosearzt als nett und kompetent. Zugleich ist aber auch die Rede von psychischen Problemen und Medikamentenmissbrauch, davon, dass die Problematik den Verantwortlichen durchaus bekannt sei, man aber nichts unternommen habe. Jürgen Busse sagt: „Ich kann dazu nur sagen, dass mir das nicht bekannt war.“Er betont, dass sich die Mediziner alle drei Jahre routinemäßig einer Gesundheitsprüfung unterziehen müssen. Diese fand bei dem Anästhesisten
Am Mittwoch gehen 693 Briefe in Druck
Das Arbeitsverhältnis ist seit April beendet
am 21. November 2016 statt. Hepatitis C wurde damals nicht festgestellt, „der Befund war negativ“, sagt Busse. Alle Patienten, die der Mediziner ab dem 22. November behandelt hat, würden nun informiert, 693 an der Zahl. Darüber hinaus überprüft man in der Donau-Ries-Klinik alle OP-Protokolle in diesem Zeitraum – für den Fall, dass der Anästhesist außerplanmäßig an einem Eingriff beteiligt war, etwa weil er einen Kollegen abgelöst hat.
Hepatitic-C-Infektionen sind oft langwierig und können zu schweren Folgeerkrankungen wie Leberzirrhose und Leberkrebs führen und tödlich enden. Über Jahre war der Virus als „Junkie-Krankheit“bekannt, übertragen durch intravenösen Drogenkonsum. In Deutschland dürfte es rund 300 000 Infizierte geben. Die Symptome können von Abgeschlagenheit, Völlegefühl bis hin zu Gelbsucht reichen. Oft bemerken die Patienten die Infektion gar nicht. Feststellen lässt sich Hepatitis C an deutlich erhöhten Leberwerten im Blut. Und: Die Krankheit ist gut therapierbar. Die Kosten liegen aber pro Patient zwischen 30 000 bis 40 000 Euro.