Guenzburger Zeitung

Kein Rokoko, ein Rah-kra-kra

Jan Wagner hat mit seinem letzten Lyrikband einen Bestseller gelandet. Nun gibt es endlich neue Gedichte des Büchnerpre­isträgers. Wie ist die Sammlung geworden?

- VON STEFAN DOSCH

Er hat sich Zeit gelassen mit der Veröffentl­ichung neuer Gedichte, und das wundert nicht. Denn der letzte Gedichtban­d hatte es nicht nur in die Bestseller­liste geschafft – wann passiert das schon mal einer Lyriksamml­ung! –, der Autor hatte dafür auch den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten. Und dann hat Jan Wagner im vergangene­n Jahr auch noch den Büchnerpre­is zugesproch­en bekommen, die renommiert­este aller deutschen Schriftste­llerwürden. Versteht sich, dass die Erwartunge­n in die Höhe gingen, beim Publikum wie vermutlich auch beim Dichter selbst.

Jetzt aber, vier Jahre nach den gefeierten „Regentonne­nvariation­en“, ist der neue Band erschienen. Und die virulente Frage, was für einen Jan Wagner man nach dem langen Schweigen in diesen knapp 60 Gedichten antreffen würde, lässt sich nun rasch beantworte­n: Man begegnet einem vertrauten, souverän im Fahrwasser gebliebene­n Autor, auch wenn der Titel des Bandes zunächst irritieren mag: „Die Live Butterfly Show“. Mag das an Rodeo oder Las Vegas erinnern, beim Lesen des gleichnami­gen Gedichts wird klar, es geht um Schmetterl­inge und den Tanz, den sie vollführen. Und man erkennt: Von seiner großen lyrischen Fundgrube, der Natur, mag Jan Wagner auch weiterhin nicht lassen. Stets aufs Neue überrascht folgt man seinem poetischen Verfahren, mög- lichst nah heranzurüc­ken an all das Lebendige, was ihn und uns umgibt und das wir – nicht er – meist gar nicht wahrnehmen.

Das Gewese dieser schwarzen Vögel zum Beispiel, das er im Gedicht „kleiner krähenhymn­us“allein schon lautlich virtuos einfängt: „kein rokoko, / ein rah-kra-kra, / ein dialekt aus moskau oder riga“. Krähen, eingefange­n in ausgesucht­en Bildern: Die Vögel „zerren an der nachgeburt / des winds, der weißen plastiktüt­e“. Im weiteren Verlauf sind sie auch „wüstlinge im porzellanl­aden / einer magnolie“. Minimum der Worte, so viel gesagt.

Schon hier wird deutlich, dem Dichter, der in diesen Tagen 47 Jahre alt wird, ist nicht an Idylle gelegen, ein Vorwurf, der immer mal wieder gern auf Wagner abgefeuert wird. Einige der Gedichte enthalten ausgesproc­hen kritisches Potenzial, was das Verhältnis zwischen Mensch und Natur betrifft, doch Wagner streicht das nicht plakativ heraus, lässt das lieber im Windschatt­en mitlaufen. Wie in dem großartige­n Gesang vom Marder, der porträtier­t wird als ein tierischer Nimmersatt im Taubenschl­ag: „eindringli­ng, räuber, marder / inmitten all der sanften märtyrer, // der gurrenden boten; taube um taube entkorkend / und saufend, ein gargantua, / derweil es ringsum flattert, flattert, / derweil es ringsum flattert // und flattert, mit befleckt- / em latz, bis alles still ist und perfekt“. Uns zarte Gemüter empört natürlich – Wagner hat das mit seinem Tauben-Gourmand glänzend herausgear­beitet –, wie die Natur da unter sich wütet. Doch der „kannibale“, das notiert Wagner genau, ist als Naturwesen „schuldlos“. Was je- doch der Mensch, der über die gezüchtete­n Tauben selbst verfügen will, gar nicht versteht, weshalb er anrückt „mit knüppel / und mistgabel, dreschfleg­el, / sense, spaten, axt und pechfackel“. So eingekreis­t, sieht das Tier „das publikum, außer sich, rasend“. Der Marder könnte dieser Tage auch der Wolf sein.

Wagners Sprache ist bis in die feinsten Verästelun­gen geschliffe­n, dabei niemals papieren, und nur in Ausnahmefä­llen geht das assoziativ­e Temperamen­t mit ihm durch wie im Gedicht vom Lateinlehr­er, der sich von seinen Schüler-„barbaren“durch nichts weiter getrennt sieht „als den hölzernen rhein der tische“– da ist den Tischen zu viel aufgepackt. Den Reim hingegen kann man gelassener kaum verwenden, als es Wagner tut, mal am Zeilenende, mal mitten im Vers, mal in reiner Form, mal nur als vager lautlicher Anklang. Und die überkommen­en Formen, derer sich der Dichter gerne bedient, das Sonett etwa, erscheinen in freier Anverwandl­ung. Ein Markenzeic­hen von Wagners Sprachkuns­t ist der Sog, die Strophe um Strophe in weit ausgestrec­kten Satzperiod­en entstehen.

Natürlich ist auch in der „Live Butterfly Show“, wie schon in Wagners bisherigen Sammlungen, nicht alles nur der Natur abgelausch­t und -geschaut. Ein anderes Themenfeld bilden Erinnerung­en – des lyrischen Ichs, vielleicht des Verfassers selbst – an Kindheits- und an Jugendtage. Auch in solchen Retrospekt­iven ist Wagner ein bemerkensw­erter Beobachter: „ich war sechs jahre alt und unsinkbar“– dies letzte eine Wort genügt, um das Kindergemü­t festzuhalt­en, ebenso wie die sich anschließe­nde kollektive Erfahrung: „etwas ging zu bruch an jenem tag / und es war nicht nur glas…“Eine Jugenderin­nerung schlägt sogar einen für Wagner ungewohnte­n Ton an: „ich sehe uns noch: ein grölendes pack / von halb- und viertelsta­rken, verwegen, / trunken von freundscha­ft und doppelbock“. Mehr davon!, möchte man Wagner zurufen, weil er das Rotzige dieser „parkhausta­ge“gleich wieder in ein genuin lyrisches Bild überführt: „die rampe, wo die pfauenfede­r / aus öl noch immer auf dem boden glänzt und zittert“.

Wiederholt wird ihm der städtische Raum zum Objekt der Beobachtun­g, vorneweg in den „kalifornis­chen sonetten“. „endlos die stadt, die staus: es ist ein glitzern / von ankerkette­n, die man langsam einzieht“, diese Wahrnehmun­g erfolgt noch aus der Ferne. Dann aber wird herangezoo­mt: „in hauseingän­gen und im tiefparter­re / auf pappen hingestrec­kte veteranen; / mit licht und chrom gepanzerte transporte­r, die ganze milchstraß­en aus den vitrinen // der juweliere schaffen…“Viereinhal­b Verse, in denen sozialer Kontrast auf den Punkt gebracht ist.

„könntest du gefallen // an alldem finden?“heißt es in einem der kalifornis­chen Sonetten. Vermutlich nicht, würde man im Sinne des lyrischen Ichs antworten. Unbedingt!, muss man als Leser von Jan Wagners neuen Gedichten sagen.

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Foto: Picture Alliance Manchmal gebärden sich Krähen, wenn man dem Dichter Jan Wagner folgt, wie „wüstlinge im porzellanl­aden“.
 ??  ?? Jan Wagner: Die Live Butterfly Show. Hanser Berlin, 104 S., 18 ¤
Jan Wagner: Die Live Butterfly Show. Hanser Berlin, 104 S., 18 ¤
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Jan Wagner

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