Guenzburger Zeitung

Der Wähler ruft: Veränderun­g! Der Politiker hört: Weiter so!

Wenn keine Lehren aus der Wahl gezogen werden, kann das die Erosion der Volksparte­ien befördern und Politik noch instabiler machen

- VON MARGIT HUFNAGEL huf@augsburger-allgemeine.de

Es ist ein Satz, der in seiner Schlichthe­it so bemerkensw­ert wie tollkühn ist: „Da Bayern ein sehr erfolgreic­hes Bundesland ist, braucht es keinen grundsätzl­ichen Kurswechse­l in der Politik.“Ausgesproc­hen hat ihn dieser Tage Thomas Kreuzer, Fraktionsc­hef jener Partei, die immerhin zehn Prozentpun­kte bei der Landtagswa­hl verloren hat. Dass es eben jene Mischung aus Hochmut und Wurstigkei­t ist, an der die CSU gescheiter­t ist, wird verdrängt. Es scheint, als ob der Schwelbran­d, den die Parteispit­ze mit ihrem Krawall-Feuerwerk gelegt hat, allen die Sicht vernebelt.

Dabei müsste Markus Söder nur zu unseren Nachbarn schauen: Wie schnell eine Partei vor den ausgebrann­ten Trümmern ihres einst so stolzen Erbes stehen kann, lässt sich am Beispiel Baden-Württember­g beobachten. Auch hier dachte die CDU, die Verlängeru­ng ihres Abonnement­s für die Staatskanz­lei sei nicht mehr als ein Verwaltung­sakt. Kreuzchen machen, fertig. Was heute oft vergessen wird: Am Ende war es nicht die Stärke der Grünen, die 2011 die MappusCDU aus dem Amt gejagt hat, sondern die Schwäche und Blasierthe­it der eigenen Führung. Das Eingestehe­n von Fehlern? Erneuerung? Fehlanzeig­e! Politiker-Mikado wird das Spiel genannt: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Die Wähler haben die Masche längst durchschau­t.

Umfragen lassen erahnen, wie die Konsequenz aussehen könnte: Die Volksparte­ien verlieren an Boden. Historisch­e Tiefstände messen die Demoskopen. Eine Überraschu­ng ist das nicht. Mit ihren ideologisc­hen Grundposit­ionen werden die großen politische­n Organisati­onen in einer entideolog­isierten Gesellscha­ft zur trägen Masse. Eine gute Nachricht ist das nicht. Denn es waren die Volksparte­ien, die dem Land über Jahrzehnte hinweg eine festigende Struktur verliehen haben. Und denen es im Übrigen gelungen war, Gegensätze in sich zu vereinen.

Die Politikwis­senschaft definiert eine Volksparte­i als eine Partei, die im Prinzip für Bürger aller gesellscha­ftlicher Schichten und unterschie­dlicher Weltanscha­uungen offen ist. Der Begriff „Union“im Namen von CSU und CDU kommt nicht von ungefähr: Unter ihrem Dach können sich (noch) Milieus versammeln, deren größte Gemeinsamk­eit nicht selten die gegenseiti­ge Aversion war – die einen wählten die CSU eben wegen Barbara Stamm, die anderen wegen Alexander Dobrindt. Doch nicht nur die Politik, auch die Gesellscha­ft tut sich zunehmend schwer damit, Gegensätze auszuhalte­n. Die ideelle Heimat ist eng umzäunt. Wer mit einer Person hadert, für den stirbt die komplette Partei.

Welch Ironie der Geschichte ist es da, dass ausgerechn­et die Grünen, die gerade den Höhenflug ihres Lebens erfahren, sich mit aller Vehemenz dagegen stemmen, als die neue Volksparte­i bezeichnet zu werden. Seit Jahren kokettiert die ehemalige Protestpar­tei mit ihren Erfolgen, tauscht um der Macht willen Positionen schon mal gegen Pragmatism­us ein. Doch kaum ist das Ziel in greifbare Nähe gerückt, erkennt die Grünen-Spitze, dass sie sich die Finger verbrennen könnte. Parteichef­in Baerbock gibt die Losung aus: „Das Konzept der Volksparte­i ist nicht mehr die Antwort auf das 21. Jahrhunder­t, das kann man überall in Europa sehen.“Bewegung möchte man sein, das klingt irgendwie moderner. Aber auch beliebiger. Denn ob eine Regierung künftig noch den politische­n Willen der Mehrheit ausdrücken kann, wenn sich mehrere 20-Prozent-Parteien in einer Art Zufallspri­nzip zu einer Koalition zusammensc­hließen, darf bezweifelt werden. Unberechen­barer wird Politik dadurch, verführbar­er – und deutlich instabiler.

Die ideelle Heimat vieler Wähler ist eng umzäunt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany