Guenzburger Zeitung

Krimis und Grenzerfah­rungen

Interview Moritz Bleibtreu spielt zusammen mit Iris Berben in der Miniserie „Die Protokolla­ntin“. Warum er sich selbst als Geschichte­nerzähler bezeichnet – und was er für die wichtigste Geschichte unserer Zeit hält

- Interview: Josef Karg

Am Samstag läuft die neue Krimi-Serie „Die Protokolla­ntin“im ZDF an, die unter anderem mit Iris Berben und Ihnen in den Hauptrolle­n hochkaräti­g besetzt ist. Wie kam es dazu?

Moritz Bleibtreu: In diesem Fall hat der Oliver Berben, Iris’ Sohn, einfach bei mir angerufen. Er ist ja Filmproduz­ent, und uns verbindet über die Serie „Schuld“schon eine langjährig­e Zusammenar­beit. Ich habe mich dann mit Nina Grosse, der Regisseuri­n, getroffen. Sie ist hoch intelligen­t und das Drehbuch war auch sehr gut.

Iris Berben spielt Freya Becker, eine Protokollf­ührerin in einem Morddezern­at. Seit deren Tochter verschwund­en ist, lebt sie zurückgezo­gen. Einer ihrer wenigen Kontakte zur Außenwelt ist ihr Bruder Jo, den Sie spielen. Bleibtreu: Es geht vor allem um Schuld und den Umgang damit. Und wie schwer es ist, wenn man sich für etwas schuldig fühlt, im Leben weiterzuko­mmen und loszulasse­n. Das verbindet den von mir gespielten Bruder mit der Hauptfigur, die auf ihre Art und Weise genauso empfindet. Es geht insgesamt um eine große Lebenslüge.

Iris Berben und Sie standen bereits für die zweite Staffel der ZDF-Serie „SCHULD nach Ferdinand von Schirach“gemeinsam vor der Kamera. Sind Sie beide ein spezielles Team? Bleibtreu: Das ist nur dem Zufall geschuldet, dass es da plötzlich diese auf uns zugeschnit­tenen Rollen gab. Aber ich kenne Iris schon seit meinem zehnten Lebensjahr, weil sie mit meiner Mutter befreundet war.

Wie ist sie, so privat? Bleibtreu: Entzückend!

Schauen Sie selbst auch Krimis? Bleibtreu: Ja, sehr gerne. Krimi ist eines meiner Lieblingsg­enres.

Weil Sie es spannend mögen? Bleibtreu: Ich habe schon früher sehr gerne Thriller und Krimis gelesen. Die ganzen Klassiker von Agatha Christie über Edgar Allen Poe bis zu Raymond Chandler. Ich mag dieses Kopfspiel, das bei Krimis entsteht.

Es gibt Leute, die sagen, dass die Krimi-Formate im deutschen Fernsehen überhandne­hmen.

Bleibtreu: Das kann ich so nicht nachvollzi­ehen.

Aber sind die wirklich vielen KrimiForma­te ein deutsches Phänomen? Bleibtreu: Nein, das ist weltweit so. Wenn es überhaupt Länder mit einem besonderen Stil bei Krimis gibt, dann sind das die skandinavi­schen. Die Könige der Hammermord­e sind die Skandinavi­er.

Sie selbst sagten mal in einem Inter- view über sich selbst: „Ich bin ein Hofnarr, ein Geschichte­nerzähler, das ist meine Aufgabe.“Wie meinen Sie das? Bleibtreu: Das habe ich genauso gemeint. Ich weiß nicht mehr genau, in welchem Zusammenha­ng ich das gefragt wurde, aber das ist gut ausgedrück­t. So begreife ich meinen Beruf. Das ist eine Berufung, und ich versuche ihn nicht mit dem gleichen sinnlosen Existenzia­lismus zu leben, wie das in den Zeiten meiner Mutter der Fall war. Ich versuche mich selbst und andere durch meinen Beruf zu erfreuen.

Was ist für Sie das Schöne am Geschichte­nerzählen?

Bleibtreu: Das ist, Punkt a, die Realitätsf­lucht. Denn das Leben ist ja oft grau genug. Punkt b ist das ein tolles Mittel der Verständig­ung. Denn ich glaube nicht an die Wirkung von Kritik. Die ändert nichts. Ich glaube, dass Geschichte­n die große Kraft und Möglichkei­t haben, Dinge nicht direkt benennen zu müssen. Sie müssen nicht mit dem Finger auf et- was zeigen. Das kann ein sehr hilfreiche­s Mittel sein. Außerdem bieten uns Geschichte­n die Möglichkei­t, uns Grenzerfah­rungen zu nähern, ohne sie erleben zu müssen. Warum gucken wir uns Geschichte­n über den Tod an? Weil wir über diese Geschichte­n lernen können.

Was ist die wichtigste Geschichte unserer Zeit?

Bleibtreu: Die Bibel ist die wichtigste Geschichte überhaupt. Damit fängt ja quasi alles an.

Sie wollten nie etwas anderes als Schauspiel­er werden?

Bleibtreu: Ja.

Echt? Von Kindheit an? Nie Feuerwehrm­ann, Lokführer oder Astronaut? Bleibtreu: Nein, nie. Ich kann nicht sagen, warum das so war. Aber irgendetwa­s sagte in mir: Schauspiel­er, das ist es.

Schauspiel­ern sagt man nach, sie seien eher chaotisch. Sind Sie auch so? Oder sind Sie eher organisier­t?

Bleibtreu: Ach, ich glaube, so kann man das nicht sagen. Ich bin ein bisschen so und ein bisschen so. Aber kopflos bin ich sicherlich nicht. Ich bringe die Organisati­on meines Alltags ganz gut auf die Reihe. Sie mögen Musik, vor allem deutschen Hip-Hop. Was hören Sie denn so? Bleibtreu: Querbeet. Ich höre nicht nur Hip-Hop. Es gibt zum Thema Musik nicht viel zu sagen, außer, dass mir die aktuelle Popmusik nicht gefällt. Mir fehlt da die individuel­le Kraft einer Amy Winehouse oder eines David Bowie. Es gibt nicht mehr viele Ikonen, die in ihrer Persönlich­keit alles überstrahl­en.

„Ich begreife meinen Beruf als eine Berufung.“

Moritz Bleibtreu

Schätzen Sie Hip-Hop oder Rap wegen seiner Textlastig­keit?

Bleibtreu: Um ehrlich zu sein, nein. Ich bin ja Rapper der ersten Stunde, habe 1984 angefangen, Rap zu hören. Da hatte ich erst einmal gar keine Ahnung, was die da überhaupt reden. Aber es war für mich eine gute Motivation, mit 14 Jahren Englisch zu lernen. Seitdem bin ich Fan.

Sie gelten als politisch interessie­rt. Wofür würden Sie demonstrie­ren? Bleibtreu: Auf die Straße würde ich gehen, um das Internet abzuschaff­en. Wenn jemand dafür eine Initiative gründen würde, wäre ich der Erste, der unterschre­ibt.

Weil?

Bleibtreu: Weil das Internet zu viel Einfluss auf die Menschen nimmt.

 ?? Foto: ZDF, Alexander Fischerkoe­sen ?? Iris Berben als Freya Becker in „Die Protokolla­ntin“. In der hochkaräti­g besetzten Serie geht es um die Vergangenh­eit, die sie nicht mehr loslässt – und um Schuld. Moritz Bleibtreu spielt Beckers Bruder Jo.
Foto: ZDF, Alexander Fischerkoe­sen Iris Berben als Freya Becker in „Die Protokolla­ntin“. In der hochkaräti­g besetzten Serie geht es um die Vergangenh­eit, die sie nicht mehr loslässt – und um Schuld. Moritz Bleibtreu spielt Beckers Bruder Jo.

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