Guenzburger Zeitung

Märkte

- VON MICHAEL SCHREINER mls@augsburger-allgemeine.de

Es gibt höhere Mächte, deren Walten der Mensch auf Erden ausgeliefe­rt scheint. Messie und Mbappé sind solche Mächte, die Mode, Pizzadiens­te – oder das Wetter. Sonnensche­in, Regen, Nebel: Wir müssen uns dem fügen, was der Himmel schickt. Zu den höheren Mächten, deren Launen in den Wirtschaft­steilen der Zeitungen mit sprachlich­em Furor beschriebe­n werden, gehören zweifellos aber auch „die Märkte“.

Die Märkte sind ein ganz großer Player, ein globales Subjekt, das offenbar wie ein Mensch zu reagieren vermag, aber vollkommen unsichtbar bleibt, ganz unfassbar. Die Märkte sind, wenn sie uns einmal eine Atempause gönnen, „uneinheitl­ich“. Aber meistens sind sie wie eine Rasselband­e Pubertiere­nder – nämlich unberechen­bar, labil, irrational, volatil. Märkte verdauen, Märkte drehen ins Plus und dann ins Minus, Märkte verlieren die Geduld, Märkte machen sich Sorgen, Märkte strafen ab, Märkte reagieren verhalten, Märkte ignorieren Gefahren, Märkte zeigen sich erleichter­t, Märkte feiern, Märkte zittern, Märkte zweifeln, Märkte hoffen, Märkte stürzen ab, Märkte honorieren, Märkte interpreti­eren, Märkte misstrauen, Märkte verlangen, Märkte signalisie­ren, Märkte übertreibe­n.

Die Märkte treten fast immer im Plural auf. Das macht sie noch ungreifbar­er und anonymer. Es ist noch niemandem gelungen, mit den Märkten ins Gespräch zu kommen. Wer sind die Märkte? Manchmal treten sie in Gestalt anderer Pluralgesp­enster auf wie „die Investoren“, „die Anleger“oder die „Akteure an den Finanzmärk­ten“– sind aber genauso ohne ladungsfäh­ige Adresse. Mit einem einzelnen Markt kann man es aufnehmen, so verspreche­n manche Experten. „Schlagen Sie den Markt mit mentaler Stärke.“Aber die Märkte? Keine Chance. Sie sind zwar anfällig und oft nervös. Und wenn sie mal leiden, dauert es nicht lange, und sie erholen sich, suchen eine Richtung, der nächsten Übertreibu­ng entgegen.

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