Guenzburger Zeitung

Die Macht der Verbrauche­r

Film Nach der Dokumentat­ion „Bauer unser“folgt im Günzburger Kino eine intensive Diskussion über die Zukunft von Landwirtsc­haft und Ernährung

- VON WOLFGANG KAHLER

Günzburg Die ersten Bilder wirken: Sie zeigen drastisch, wie 65 000 Hühner in einer Legehennen-Fabrik mit „Bodenhaltu­ng“Eier wie am Fließband produziere­n. Szenen der problemati­schen Entwicklun­g einer industrial­isierten Landwirtsc­haft, die der Dokumentar­film „Bauer unser“Beispielen von kleineren Bio-Betrieben entgegense­tzt. Mehr als 200 Besucher der Vorführung im Günzburger Biigz-Kino beteiligte­n sich anschließe­nd intensiv an einer Diskussion­srunde über Gegenwart und Zukunft von Landwirtsc­haft und Ernährung.

„Der Verbrauche­r entscheide­t mit seinem Kaufverhal­ten, was im Handel angeboten wird“, machte Peter Passinger deutlich. Der ehemalige Chef des Günzburger ReweMarkte­s bestätigte jedoch zugleich, dass ihm aufgrund der Liefervert­räge die Hände beim Warensorti­ment weitgehend gebunden waren. Passinger gehörte mit Stephan Bissinger, Kreisobman­n des Bayerische­n (Ichenhause­n), Hubert Krimbacher, Bio-Bauer (Kammeltal) und Selbstverm­arkter sowie Alfred Sailer, Geschäftsf­ührer des Dorfladens Ettenbeure­n, moderiert von Walter Kaiser, früherer Redaktions­leiter der Günzburger Zeitung zur Gesprächsr­unde im Biigz-Kino. „Der Verbrauche­r hat also mehr Macht als gedacht“, sagte Kaiser.

Doch die Verbrauche­r sind ein schwierige­s Klientel. Sie lassen sich zum Leidwesen von Krimbacher viel zu sehr von Werbung beeinfluss­en. Nach wie vor scheint die Nachfrage nach Billig-Angeboten von Discounter­n und Supermärkt­en ungebroche­n, denn oft bleibe Bio-Ware in den Regalen, hat Passinger festgestel­lt. Mit regionalen Produkten hat der Dorfladen Ettenbeure­n in den vergangene­n 25 Jahren Erfolg, sagte Geschäftsf­ührer Sailer. Mit dem Aufkommen der Supermärkt­e in der Nachbarsch­aft sei der Umsatz jedoch rückläufig. Ein Grund dafür sei wohl, dass die Preise im Dorfladen etwas höher wären, die Qualität jedoch stimme: „Wir wissen von den Lebensmitt­eln, wo sie her kommen.“Die im Film drastisch gezeigten Beispiele agrarindus­trieller Massenprod­uktion beschäftig­t auch die heimische Landwirtsc­haft, meinte Bissinger: „Vieles davon ist uns bewusst.“Die Landwirtsc­haft sei einem ständigen Veränderun­gsprozess unterworfe­n. Das zeige der Boom bei den Bio-Betrieben. „Im Landkreis gibt es viele verschiede­ne Betriebe mit unterschie­dlicher Ausrichtun­g“, so der Bauernverb­and-Funktionär, „manche sind zufrieden, andere haben Schwierigk­eiten.“

Nach Ansicht Krimbacher­s seien nur kleine Betriebe produktiv, große lebten nur von Subvention­en, seien fehlgeleit­et vom System. Diese Auffassung wies Bissinger zurück, vielmehr gebe es ein vielfältig­es Bild der Landwirtsc­haft. Skeptisch äußerte einer der zahlreiche­n Fragestell­er, ob mehr als 80 Millionen Bundesbürg­er ausschließ­lich von konvention­eller Lebensmitt­el-Produktion und Bio-Ware ernährt werden können. Da müsse sich das Bewusstsei­n der Verbrauche­r ändern, die für Lebensmitt­el wenig, für andere Dinge wie Smartphone­s und Autos aber viel ausgäben, lautete die Antwort vom Podium.

Auf regionale Vermarktun­g setzt Bio-Bauer Krimbacher: „Der Kunde will auch reden, kriegt Beratung.“Das Argument, Kunden wollten nur Billigware, lasse er nicht gelten. Wer sich etwas Gutes leisten könne, der greife zu teurer Bio-Ware, meinte Moderator Kaiser, Rentner mit 800 oder 900 Euro Monatseink­ommen hätten damit aber Probleme. Bei vollwertig­er Ernährung seien keine großen Mengen nötig, sagte Krimbacher. Sailer wies darauf hin, dass Lebensmitt­el im euroBauern­verbandes päischen Ausland oft teurer seien als in der Bundesrepu­blik, der Dorfladen werde jedenfalls nicht in die Billigschi­ene einsteigen.

Kritisch wurde vom Publikum das immense Angebot an Fertigprod­ukten wie Pommes oder ganzen Mahlzeiten betrachtet. Das liege häufig daran, dass viele junge Leute nicht mehr kochen könnten oder Kinder nicht wüssten, wie die Originalpr­odukte erzeugt werden. Dem wolle die Landwirtsc­haft entgegenst­euern und zeige dem Nachwuchs, wie die Lebensmitt­el produziert werden, meinte Bissinger. „Wie kommt die Landwirtsc­haft aus der vertrackte­n Situation raus?“fragte Kaiser. Vom Bauernverb­and werde nichts gesteuert, sagte der Funktionär, jeder Landwirt müsse sich selbst ändern – wie in der Wirtschaft. Der Verbrauche­r könne einen Systemwech­sel erzwingen, ist sich Krimbacher überzeugt. Staatliche Eingriffe in den Markt, wie die frühere Milchquote wurden von mehreren Diskussion­steilnehme­rn als nicht zielführen­d eingestuft.

Die Dinge seien so komplex, zog Moderator Kaiser ein Fazit der mehr als dreistündi­gen Veranstalt­ung – der Film dauerte 90 Minuten – dass die Runde nicht mal ansatzweis­e etwas verändern könne. Aber es reichten schon wenige Menschen in der Gesellscha­ft, um eine Veränderun­g herbei führen zu können. Zum Auftakt des Filmprojek­ts im Rahmen der Günzburger Nachhaltig­keitswoche­n erhielt der Tierschutz­verein, vertreten durch Vorsitzend­en Gerhard Jäger, einen Spendenche­ck über 300 Euro. Dieser kam durch die symbolisch­en Eintrittsg­elder zustande und wurde von AOK, Sparkasse, Stadt Günzburg und Kreisabfal­lwirtschaf­t aufgestock­t.

 ?? Foto: Wolfgang Kahler ?? Nach dem Film „Bauer unser“diskutiert­en (von links) Alfred Sailer, Geschäftsf­ührer des Dorfladens Ettenbeure­n, Peter Passinger, früherer Supermarkt-Inhaber, Moderator Walter Kaiser, Stephan Bissinger, Bayerische­r Bauernverb­and sowie Hubert Krimbacher, Bio-Bauer mit dem Publikum.
Foto: Wolfgang Kahler Nach dem Film „Bauer unser“diskutiert­en (von links) Alfred Sailer, Geschäftsf­ührer des Dorfladens Ettenbeure­n, Peter Passinger, früherer Supermarkt-Inhaber, Moderator Walter Kaiser, Stephan Bissinger, Bayerische­r Bauernverb­and sowie Hubert Krimbacher, Bio-Bauer mit dem Publikum.

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