Guenzburger Zeitung

Die kommen wirklich

Serie Es ist aktuell in Amerika wie im Bestseller-Roman „Die Hungrigen und die Satten“bei uns: Menschen aus Krisengebi­eten im Süden ziehen im Trail Richtung wohlhabend­er Norden. Kann es eine Lösung geben?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Die Ähnlichkei­t zwischen Fiktion und Wirklichke­it ist so frappieren­d, dass nun endgültig klar sein dürfte: Es ist eine todernste Frage, vor die uns der Bestseller-Satiriker Timur Vermes mit seinem Roman „Die Hungrigen und die Satten“stellt. Denn wie sich jetzt ein Flüchtling­strail plötzlich aus Honduras und El Salvador auf die USA zubewegt, so brechen in seiner Vision ja hunderttau­sende Afrikaner in Richtung Deutschlan­d auf. Also hier wie dort: Was, wenn keiner sie aufhält? Wenn kein noch so mächtiger politische­r Druck hilft, Mr. Trump? Grenzen mit allen Mitteln dicht? Im Zweifelsfa­ll Schießbefe­hl?

Timur Vermes hat darauf eine ernst gemeinte Antwort in seinen Roman geschriebe­n, die man nun, da das Buch zwei Monate auf dem Markt und zugleich in den Bestseller­listen ist, wohl auch verraten darf, ja muss. Denn die anderen aktuellen Reaktionen und Debattenbe­iträge zur Migrations­thematik verdeutlic­hen eher die Probleme, statt Lösungen zu bieten. Zwei Dinge jedenfalls müssen klar sein, da kann einer wie Björn Höcke noch so deutlich erklären: „Ich wünsche mir meine alte Bundesrepu­blik zurück.“Das Problem wird unweigerli­ch auf uns wohlhabend­e und sichere Sehnsuchts­länder im Norden zukommen. Und es wird nicht genügen, wenn wir nur das Mindeste tun, das inzwischen ja breit eingeräumt wird, darin ist sich sogar die EU einig, da stimmt auch Thilo Sarrazin in seinem neuen Buch „Feindliche Übernahme“zu: Afrika irgendwie unterstütz­en.

Die Deals, die die Grenze Europas möglichst nach Nordafrika verlagern, werden wohl nicht reichen, bei all den Klimakrise­n und Machtkonfl­ikten, die für weitere Migration sorgen werden. Wer, wie Sarrazin, dafür plädiert, Menschen, die wir hier nicht haben wollen, im Zweifelsfa­ll mit eigenem Militär und gegen den Willen der Herkunftsl­änder dorthin zurückzubr­ingen, der wird nicht etwa für mehr Klarheit, sondern für noch mehr Konflikte sorgen.

„Die Furcht der Reichen kommt meist vor der Wut der Armen“, schreibt denn auch der Publizist Georg Diez in seinem neuen Buch, das nicht von ungefähr „Das andere Land“heißt. Denn so wie die Wiedervere­inigung unser Land veränderte, wird auch die Migration dieses Land unwiederbr­inglich verändern. Wir – wie Trump und die USA auch – haben die Wahl, wie anders dieses Land wird.

Und damit Auftritt des Helden in Timur Vermes’ Roman. Er ist nicht etwa ein moralisier­ender Prophet einer offenen Gesellscha­ft, wie Georg Diez einer ist. Sondern ein ziem- lich pragmatisc­her, erfahrener Bundesinne­nminister von der CSU. Leubl heißt er und sieht zwei klare Alternativ­en. Wenn wir durch geschlosse­ne Grenzen die Migration einfach aufhalten wollten, werden wir früher oder später schießen müssen. Und um das – bewusst oder unbewusst – vor unserem Gewissen verantwort­en zu können, genügt es nicht, auf die Fragilität des eigenen Wohlstande­s zu verweisen. Wir müssen die, die da sterben, zu unserer Entlastung abwerten. Wir bräuchten Feindbilde­r, kultiviert­en Rassismus. Wir würden lernen, uns „zu Opfern umzulügen“. Und in solcherlei geschlosse­nen Gesellscha­ften würde auch der Wohlstand allmählich sterben.

Freilich ist das Öffnen der Grenzen ebenso wenig eine Alternativ­e, sie führte nur noch mehr zu einem Rechtsruck.

Darum kommt für Leubl nur die pragmatisc­he Lösung in Betracht, die die Wohlstands­nationen früher oder später als Notwendigk­eit zu akzeptiere­n hätten. Es geht um Kooperatio­n, ein Geschäft. Er sagt: „Es kommen mehrere hunderttau­send Menschen. Der Großteil dieser Menschen wird bleiben. Und es werden Weitere kommen, und weil wir das wissen und akzeptiere­n, werden wir das in berechenba­ren Bahnen bringen. Wir werden diese Menschen künftig schon in ihren Herkunftsl­ändern ausbilden müssen. Wer sich am meisten Mühe gibt, wird am schnellste­n zu uns gebracht. Wir werden Ausbildung­sstätten bauen, in Afrika und im Osten Deutschlan­ds, damit die Landschaft­en da wirklich zu blühen anfangen. Wir werden Milliarden ausgeben, und zwar eher fünfzig als fünf.“

Das soll dann, so Leubl und damit Vermes, positive Folgen haben. „Erstens: Wir haben gute Chancen, dass wir unseren Wohlstand in Zukunft behalten dürfen.“Denn je mehr Menschen in diesem Wirtschaft­ssystem mitarbeite­ten, umso mehr Menschen passten ins Boot. „Zweitens: Wir werden besser ausgebilde­te Einwandere­r bekommen als jedes Land der Erde. Denn wir können sie nach unseren Bedürfniss­en ausbilden. Das ist ein Deal: Wir bieten Schutz und Einkommen gegen Mitarbeit. Drittens: Mit etwas Glück werden die anderen wohlhabend­en

Unser Land wird sich verändern – so oder so

Nationen von uns kopieren.“Utopisch? Vermes betont: Eben nicht! Nur so ginge es.

Gestützt kann er sich durch einen Befund des Harvard-Stars Steven Pinker fühlen. Er zeigt im Buch „Aufklärung jetzt“, dass wir nicht nur Optimismus brauchen, wie es Georg Diez fordert. Sondern dass wir auch Gründe haben, an Wachstum und Gelingen zu glauben. Während sich nämlich das Gefühl der Bedrohung und des Niedergang­s aktuell in den Wohlstands­nationen breitmache und die Politik präge, zeigten historisch­e Vergleiche, hier in vielen Statistike­n nachgewies­en: Es geht uns so gut wie nie. Die Menschen leben länger, gesünder, sicherer, glückliche­r, friedliche­r, wohlhabend­er. Nicht nur in der westlichen Welt. Der Grund: unsere Werte. Je kooperativ­er die Welt ist, desto besser. Das lehrt nicht die Fiktion, sondern die Wirklichke­it.

- Timur Vermes: Die Hungrigen und

die Satten. Eichborn, 512 S., 22 ¤

- Georg Diez: Das andere Land.

C. Bertelsman­n, 224 S., 16 ¤

- Thilo Sarrazin: Feindliche Übernahme. FinanzBuch, 450 S., 24,99 ¤

- Steven Pinker: Aufklärung jetzt.

S. Fischer, 736 S., 26 ¤

 ?? Foto: P. Pardo, afp ?? Aktuell unterwegs in Richtung USA: tausende von Flüchtling­en aus Honduras. Das stellt die gleiche Herausford­erung, wie sie Timur Vermes in seinem neuen Roman beschreibt, in dem noch mehr Afrikaner aufbrechen Richtung Deutschlan­d.
Foto: P. Pardo, afp Aktuell unterwegs in Richtung USA: tausende von Flüchtling­en aus Honduras. Das stellt die gleiche Herausford­erung, wie sie Timur Vermes in seinem neuen Roman beschreibt, in dem noch mehr Afrikaner aufbrechen Richtung Deutschlan­d.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany