Guenzburger Zeitung

Nah an der Stasi, aber nicht dabei

Heike Drechsler Die ehemals beste Weitspring­erin der Welt soll als „IM Jump“für die Staatssich­erheit gearbeitet haben. Ein Gutachten widerlegt den Vorwurf

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Berlin Die Stasi-Vorwürfe und den Decknamen „IM Jump“hat Heike Drechsler über 25 Jahre lang mit sich herumgesch­leppt. Jetzt sieht sich die zweimalige Weitsprung­Olympiasie­gerin von diesem Makel endlich befreit. Ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten entlastet die 53-Jährige. Dies geht aus einem Bericht des Bayerische­n Rundfunks mit weiteren Zeugen- und Expertenau­ssagen hervor.

Der Stasi-Forscher Helmut Müller-Enbergs, der nach der Wende als stellvertr­etender Fachbereic­hsleiter in der Forschungs- und MedienAbte­ilung der Stasi-Unterlagen-Behörde arbeitete, kommt zu dem Schluss: „Frau Heike Drechsler war zu keinem Zeitpunkt (...) als ,IM Jump‘ beim MfS erfasst gewesen.“Keine Inoffiziel­le Mitarbeite­rin des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit? „Das Ergebnis bedeutet, dass ich recht hatte, dass ich nie IM gewesen bin. Dafür gibt es jetzt eine wissenscha­ftliche Grundlage“, sagte Drechsler, nachdem sie die Aufarbeitu­ng ihrer DDR-Vergangenh­eit in den vergangene­n zwei Jahren vorangetri­eben hatte.

Die öffentlich­en Anschuldig­ungen, sie habe der Stasi zugearbeit­et und Kollegen bespitzelt, machten

„Bauchschme­rzen, weil es so nicht stimmt.“

Drechsler sehr lange zu schaffen. „Das kommt immer hoch, und jedes Mal kriege ich regelrecht Bauchschme­rzen, weil es so nicht stimmt“, sagte der frühere Leichtathl­etikStar in dem Radiofeatu­re. Sie habe das – nach einem Reifeproze­ss – für sich aufarbeite­n müssen. „Ich will einfach, dass das rauskommt aus meinem Lebenslauf.“

1987 hatte Drechsler von Heinz Bergner, einem Stasi-Offizier und Freund der Familie, 500 D-Mark erhalten. Und ihm dafür eine Quittung mit dem Namen „Jump“unterschri­eben. Drechsler beteuert, sie habe damals nicht gewusst, dass dieser inzwischen verstorben­e Mann bei der Stasi gewesen sei. Zusammen mit Bergner trat sie 1993 sogar im ZDF-Sportstudi­o auf, um sich zu rechtferti­gen. „Heike Drechsler hat zu keiner Zeit Informatio­nen abgegeben oder konspirati­v gearbeitet“, sagte der Stasi-Major damals – was ihm viele nicht glaubten. Das Geld, so Drechsler, habe sie als Ausgleich dafür gesehen, dass sie vor dem Mauerfall von ihren Prämien oft nichts gesehen habe. Ihre Unterschri­ft von damals ärgert die zwei- malige Weltmeiste­rin heute maßlos: Das sei was „Blindes, Doofes“gewesen. Und es gebe keine Entschuldi­gung für ihre Naivität. Vor allem diese Quittung diente über viele Jahre hinweg als Beleg für Drechslers IM-Tätigkeit. Sie war ein Aushängesc­hild des DDR-Sports, Mitglied in der SED und Abgeordnet­e der Volkskamme­r. Im Nachschlag­ewerk „Wer war wer in der DDR?“gab es unter dem Namen Heike Drechsler den Vermerk: „1986– 1988 als IM Jump erfasst.“

Müller-Enbergs, der auch schon Gutachten für den Bundestag geschriebe­n hat und heute an der dänischen Universitä­t Odense SpionageGe­schichte lehrt, war Mitherausg­eber des Lexikons. In seinem 31-seitigen Gutachten zum Fall Drechsler, das er honorarfre­i erstellt hat, kommt er nun zu einem anderen Schluss: Auf die Frage, ob Drechsler

Goldmedail­len bei den Spielen 1992 und 2000

„nach den Maßstäben des MfS beziehungs­weise des Stasi-Unterlagen-Gesetzes als Inoffiziel­le Mitarbeite­rin zu bewerten ist, fällt die Antwort eindeutig aus: Nein.“Nicht alles, was man ihr vorgeworfe­n habe, so Müller-Enbergs, sei falsch: „Sie hatte Kontakte zur Stasi, ob wissentlic­h oder nicht, und sie war – zumindest vorübergeh­end – Begünstigt­e der Stasi.“Aber vom MfS sei sie immer nur als VIM, also als Vorlauf-IM, geführt worden: Den Eintrag ins Lexikon hat er inzwischen korrigiere­n lassen: „Sie war kein IM des MfS.“Detlef Höhn von der Forschungs- und Medienabte­ilung der Stasi-Unterlagen­Behörde in Berlin sagte dem BR: Drechsler habe zu DDR-Zeiten „keine Verpflicht­ungserklär­ung unterschri­eben: Weil keine Berichte in der Unterlage drin sind.“Fast zeitgleich zu dieser Aussage bekam die Goldmedail­lengewinne­rin von Barcelona 1992 und Sydney 2000 aber einen Bescheid von der Behörde nach ihrer erneut beantragte­n Akteneinsi­cht: Weitere Unterlagen hätten ergeben, dass sie Mitarbeite­rin des MfS gewesen sei. Dagegen hat Drechsler im Februar Widerspruc­h eingelegt – bis heute nach eigenen Angaben aber keine Antwort auf ihre Fragen bekommen. Heike Drechsler selbst sagte, sie habe aus der Geschichte „wahnsinnig für mich gelernt“. Die heute in Berlin lebende Thüringeri­n betonte auch: „Wenn jetzt noch jemand behauptet, ich wäre IM gewesen, würde ich rechtlich dagegen vorgehen.“

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Foto: Thomas Niedermüll­er, dpa „Wenn jetzt noch jemand behauptet, ich wäre IM gewesen, würde ich gerichtlic­h dagegen vorgehen.“Heike Drechsler, DoppelOlym­piasiegeri­n im Weitsprung.

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