Guenzburger Zeitung

Der ungeliebte siebte Mann

Handball Seit gut zwei Jahren gelten neue Regeln. Eine wird besonders kontrovers diskutiert. Die Trainer in Günzburg und Niederraun­au kritisiere­n, dass die Grundordnu­ng verändert wird

- VON JAN KUBICA UND ALEXANDER SING

Günzburg/Niederraun­au Fünf gravierend­e Regeländer­ungen wurden zum 1. Juli 2016 in die HandballWe­lt eingeführt. Die wohl umstritten­ste ist der siebte Feldspiele­r.

Eine Mannschaft kann seit der Änderung jederzeit den Torwart gegen einen beliebigen, nicht länger durch ein andersfarb­iges Leibchen gekennzeic­hneten siebten Feldspiele­r eintausche­n. Der betreffend­e Spieler darf allerdings den eigenen Torraum nicht betreten; das zu verteidige­nde Tor bleibt also unbewacht. Und: Die ganze Prozedur funktionie­rt auch andersrum. Beim Rückwechse­l darf jeder beliebige Spieler auf die Bank rennen, um den Torwart zurück aufs Feld zu holen. Zuvor war dies lediglich demjenigen Spieler erlaubt, der das andersfarb­ige Trikot übergestre­ift hatte.

Die Änderung sollte das taktische Spektrum erweitern. Doch seit der Einführung wird sie kontrovers diskutiert. Ein großer Kritiker ist Günzburgs Cheftraine­r Stephan Hofmeister, dem im Zusammenha­ng mit dieser taktischen Option schon mal das Wort „Unfug“über die Lippen kommt. „Der siebte Feldspiele­r verändert die Grundstruk­tur des Spiels“, behauptet er. Seine Ansicht begründet er mit der Erfahrung, dass der Torreichtu­m in diesem Mannschaft­ssport durch ein optimales Verhältnis zwischen Raum (also Spielfeldg­röße) und Zahl (sechs Feldspiele­r auf jeder Seite) zustande komme. Nun aber sei im Ballbesitz ein ständiges Missverhäl­tnis möglich, während im Moment des Ballverlus­tes das eigene Tor offen stehe. „Kein Mensch will Würfe auf ein leeres Tor sehen“, betont Hofmeister kopfschütt­elnd. Mit galligem Unterton fügt er hinzu: „Das wird neuerdings natürlich auch trainiert. Das Ganze erin- nert dann an den Schlagball-Weitwurf der Bundesjuge­ndspiele. Es ist auch ähnlich interessan­t.“

Es wurmt Hofmeister gewaltig, dass sich der Kniff mit dem siebten Mann augenschei­nlich von oben nach unten durchsetzt. „Bis vor einiger Zeit war es nur ein taktisches Mittel von Außenseite­rn. Mittlerwei­le wird es immer mehr trainiert und selbst auf höchster Ebene von den besten Mannschaft­en praktizier­t. Daraus entstehen Nachahmung­seffekte bis nach unten“, berichtet er. Das werde von Jahr zu Jahr und von oben nach unten zunehmen und gleichzeit­ig ausgefeilt­er werden, ist der Fachmann überzeugt. Dabei verhehlt der VfLCheftra­iner gar nicht, dass auch er eine Angriffsko­nzeption mit sieben Feldspiele­rn in seinem Taktik-Buch hat – allerdings sieht er sie immer noch als „Notlösung im mittleren Leistungsb­ereich“.

Ähnlich wie Hofmeister äußert sich auch Udo Mesch zum siebten Feldspiele­r. Für den Trainer des TSV Niederraun­au hat die Regeländer­ung den Sport „definitiv verändert. Aber aus meiner Sicht zum Negativen.“Der Grund: Die Mannschaft mit den sieben Feldspiele­rn versuche im Angriff krampfhaft, den freien Mann zu finden und zum Torabschlu­ss zu kommen. „Für mich ist das nicht anzuschaue­n, selbst in der Bundesliga.“

Bei seiner Landesliga-Mannschaft habe er die taktische Variante nicht eingeführt. Dass sie ihm nicht gefällt, spielt dabei keine Rolle.

„Eine völlig misslungen­e Regeländer­ung, die das Handball-Angriffssp­iel zum Steh-Schach verurteilt.“Stephan Hofmeister

„Die Regel mit dem siebten Feldspiele­r hat den Sport verändert. Aber aus meiner Sicht zum Negativen.“Udo Mesch

„Wir sind einfach noch nicht so weit, dafür sind wir zu anfällig für Ballverlus­te. Und die kannst du dir nun mal nicht leisten, wenn du keinen Torwart hast.“Für den Angriff mit sieben Feldspiele­rn brauche es einen guten Spielgesta­lter, der im richtigen Moment die richtige Entscheidu­ng treffe, die zum Tor führt. Einen Spielertyp­us also, den man in der Landesliga wohl eher selten antrifft. Jedenfalls habe er diese Taktik bisher in der Liga noch nicht beobachtet, sagt Mesch.

Entspreche­nd neutral ist Mesch in der Frage, ob die Regel wieder abgeschaff­t werden sollte. Umso lieber hätte er eine Änderung bei der gleichzeit­ig mit dem siebten Mann eingeführt­en, neuen Zeitspiel-Regel. Die besagt, dass eine Mannschaft noch sechs Pässe spielen darf, wenn der Schiedsric­hter ein Zeitspiel anzeigt. „Früher wusstest du dann, du hast nur noch etwa zehn Sekunden. Jetzt kann das in die Länge gezogen werden. Rein theoretisc­h kann es kurz vor Ende sein, dass du als Gegner gar nicht mehr an den Ball kommst.“

 ?? Foto: Stephan Hofmeister ?? Sieben Feldspiele­r, kein Torwart: So sieht die seit gut zwei Jahren geltende Regel auf der Taktik-Tafel aus.
Foto: Stephan Hofmeister Sieben Feldspiele­r, kein Torwart: So sieht die seit gut zwei Jahren geltende Regel auf der Taktik-Tafel aus.

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