Außenseiter im Blick
Die bedeutendste literarische Auszeichnung Deutschlands ging an Terézia Mora
Die Schriftstellerin, Drehbuchautorin und Übersetzerin Terézia Mora hat am Samstag in Darmstadt den Georg-BüchnerPreis 2018 entgegengenommen. Die 47-jährige deutsch-ungarische Autorin wurde laut Jury-Begründung für ihre „eminente Gegenwärtigkeit und lebendige Sprachkunst“ausgezeichnet, „die Alltagsidiom und Poesie, Drastik und Zartheit vereint“. Der mit 50000 Euro dotierte Büchner-Preis gilt als renommierteste Literaturauszeichnung in Deutschland.
Mora kritisierte in ihrer Dankesrede im Darmstädter Staatstheater eine Radikalisierung der Debattenkultur. „Früher konnte ich sagen: Hetzerisches Reden findet in Deutschland wenigstens nicht auf Regierungsebene statt. Das kann ich so nicht mehr“, erklärte sie in ihrer als Brief an einen Freund verfassten Rede. In den vergangenen Monaten habe sich die öffentliche wie die private Rede in Deutschland in eine Richtung radikalisiert, „die uns zu Recht besorgt sein lässt“, sagte die Preisträgerin. „Der Fisch stinkt vom Kopf her, aber – machen wir uns nichts vor – auch überall anderswo.“Am Ende komme es darauf an, „was du tust oder nicht tust“.
In ihren Romanen und Erzählungen widmet sich Terézia Mora Außenseitern und Heimatlosen, prekären Existenzen und Menschen auf der Suche, wie es in der Begründung der Jury heißt. Sie treffe damit schmerzlich den Nerv der Zeit. Schonungslos nehme sie die Verlorenheit von Großstadtnomaden in den Blick und lote die Abgründe innerer und äußerer Fremdheit aus. „Dies geschieht suggestiv und kraftvoll, bildintensiv und spannungsgeladen – mit ironischen Akzenten, irisierenden Anspielungen und analytischer Schärfe.“
Terézia Mora wurde 1971 in Sopron, Ungarn, geboren und wuchs zweisprachig, ungarisch und deutsch, auf. Seit 1990 lebt sie in Berlin, wo sie Theaterwissenschaft und Hungarologie an der Humboldt-Universität studierte und das Drehbuch-Diplom der Deutschen Film- und Fernsehakademie erwarb. Mora arbeitet als Schriftstellerin und Übersetzerin aus dem Ungarischen, etwa von Werken von Péter Esterházy, an den sie in ihrer Darmstädter Rede auch erinnerte: Gegen ihn laufe in Ungarn zurzeit eine Kampagne ebenso wie gegen andere als „linksliberal“verschriene Künstler „und überhaupt gegen jede Form von Intellektualität“.
Ihr Debüt gab Mora 1999 mit dem mehrfach ausgezeichneten Erzählband „Seltsame Materie“(1999). Der folgende Großstadtroman „Alle Tage“(2004), dessen vielsprachig-nomadischer Held Abel Nema Höllenfahrten erlebt, wurde von der Kritik als literarisches Ereignis gefeiert. Sprachkraft und drastische Imagination charakterisieren auch Moras Romane „Der einzige Mann auf dem Kontinent“(2009) und „Das Ungeheuer“(2013) – die ersten zwei Bände einer Trilogie über das Leben des IT-Spezialisten Darius Kopp. Zuletzt veröffentlichte Mora 2016 den Erzählband „Die Liebe unter Aliens“.
Für „Seltsame Materie“erhielt Mora 1999 den Ingeborg-Bachmann-Preis; der Roman „Das Ungeheuer“wurde 2013 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Die Autorin hat weitere wichtige Preise gewonnen, etwa den Preis der Leipziger Buchmesse (2005), den Adelbert-von-Chamisso-Preis (2010), den Bremer Literaturpreis (2017) und den Roswitha-Preis (2018). (epd, dpa)