Guenzburger Zeitung

Angela Merkel hat einen würdigen Abgang verdient

Leitartike­l Die CDU-Chefin lässt los, bevor sie losgerisse­n wird. Das zeugt von Größe. Die Kanzlerin will ihr Karriereen­de selbst bestimmen. Hat sie das noch in der Hand?

- VON MICHAEL STIFTER msti@augsburger-allgemeine.de

Angela Merkel geht, bevor sie aus dem Weg geräumt wird. Sie geht aber auch, um bleiben zu können. Nach 18 Jahren macht sie als CDU-Chefin Schluss. Sie nutzt ihre letzte Chance auf einen souveränen Abgang. Doch als Kanzlerin hat Merkel noch eine Mission. Sie will ihr Kapitel in der deutschen Geschichte mit Würde zu Ende schreiben. Die Frage ist, ob ihre Partei sie auch lässt. Merkel hat die CDU verändert wie niemand vor ihr. Nach der Abwahl von Helmut Kohl und der Spendenaff­äre übernimmt sie einen Trümmerhau­fen. Sie führt die angestaubt­e Partei konsequent in die Mitte – und zurück ins Kanzleramt. Sie wird zur mächtigste­n Frau der Welt, zum Stabilität­sanker und Garanten für Wahlsiege. Merkel steuert das Land gelassen durch viele Krisen. Die Deutschen setzen darauf, dass „Mutti“sich schon um alles kümmern wird – ohne Eitelkeite­n, ohne Show, beinahe präsidial. Und solange ihr pragmatisc­her Kurs dem Machterhal­t dient, trägt ihn auch die CDU klaglos mit. Doch als die Erfolge ausbleiben, beginnt sich der Widerstand zu formieren. Merkels Sprachlosi­gkeit in der Flüchtling­skrise macht die internen Frontlinie­n dann unübersehb­ar. Am Ende hinterläss­t die 64-Jährige eine gespaltene, eine ratlose Partei. Eine Partei, der sie nichts mehr zu sagen hatte. Ihre Nachfolge hat sie längst nicht mehr selbst in der Hand. Kaum war ihr Rückzug am Montag durchgesic­kert, kamen gleich reihenweis­e Kandidaten aus der Deckung, als hätten sie nur darauf gelauert. Sollte die CDU einen von Merkels Widersache­rn – Friedrich Merz oder Jens Spahn – an die Spitze wählen, wird es für sie nahezu unmöglich, bis zum Ende der Legislatur­periode Kanzlerin zu bleiben. Schließlic­h verkörpern die beiden Konservati­ven die Sehnsucht nach einer CDU, wie sie war, bevor „die Frau aus dem Osten“den ganzen Laden auf links drehte. Und selbst wenn jemand aus dem „Team Merkel“– ihre Vertrauten Annegret Kramp-Karrenbaue­r oder Armin Laschet – das Rennen macht, dürfte der Druck auf die Regierungs­chefin steigen, ihren Platz im Kanzleramt möglichst bald freizumach­en. Denn klar ist ja auch: Der nächste CDU-Chef ist auch der nächste Kanzlerkan­didat und will sich bestenfall­s noch vor der Bundestags­wahl im Amt profiliere­n. Und so könnte die Ära Merkel schon in einem Jahr endgültig vorbei sein, wenn Union und SPD ihre Halbzeitbi­lanz ziehen – sofern die Große Koalition überhaupt so lange durchhält. Merkel ist eine kühle Analytiker­in. Sie weiß, dass ihr Rückzug auf Raten mit einem Autoritäts­verlust verbunden ist. Nicht umsonst hatte sie stets betont, dass Parteivors­itz und Kanzleramt in eine Hand gehören. Nun muss sie sich selbst eingestehe­n, dass ein Neuanfang nicht am Reißbrett zu planen ist. Das zeugt von Größe. Nach dem katastroph­alen Absturz der vergangene­n Jahre blieb Merkel aber auch kaum eine andere Wahl. Sie hat den richtigen Zeitpunkt verpasst, um zu gehen. Vielleicht hielt sie sich tatsächlic­h irgendwann selbst für alternativ­los. Wahrschein­licher ist jedoch, dass sie in den unruhigen Zeiten, in denen wir leben, Ruhe bewahren wollte. Dass Merkel jetzt den Weg für etwas Neues (oder auch etwas Altes) freimacht, verdient Respekt. Sie hat es ihrer Partei erspart, sie vom Hof jagen zu müssen. Aber mit allzu großer Dankbarkei­t in der CDU sollte sie eher nicht rechnen. Die erste Frau an der Spitze einer Bundesregi­erung will auch die Erste sein, die das Kanzleramt aus freien Stücken verlässt. Die es schafft, loszulasse­n, bevor sie losgerisse­n wird. Was man eines Tages über diese Kanzlerin und CDU-Chefin erzählen wird, hängt auch davon ab, ob ihr ein würdiger Abgang gelingt. Verdient hätte sie ihn.

Merz steht für die Sehnsucht nach der CDU von gestern

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