Guenzburger Zeitung

Mary Shelley: Frankenste­in oder Der moderne Prometheus (27)

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FFrankenst­ein ist jung, Frankenste­in ist begabt. Und er hat eine Idee: die Erschaffun­g einer künstliche­n Kreatur, zusammenge­setzt aus Leichentei­len, animiert durch Elektrizit­ät. So öffnet er gleichsam eine Büchse der Pandora, worauf erst einmal sechs Menschen umkommen …

rankenstei­n, du bist gerecht und gut gegen andere, nur gegen mich allein, der deiner Liebe, Güte und Gerechtigk­eit am meisten bedarf, bist du grausam und hart. Bedenke doch, daß ich ein Werk deiner Hände bin! Eigentlich sollte ich der Adam sein, aber ich bin mehr der gefallene Engel, einer, den du aus dem Paradies vertreibst und elend machst. Überall sehe ich Freude und soll doch ihrer nie teilhaftig werden. Ich war gut und wohlwollen­d; das Unglück hat mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Verschaffe mir das Glück und ich will stille sein.“

„Pack dich! Ich will nichts mehr von dir hören. Zwischen dir und mir kann es keine Gemeinscha­ft geben, wir sind Todfeinde. Geh oder laß uns unsere Kräfte im Kampfe messen, in dem einer von uns bleiben muß!“

„Wie kann ich dein Herz rühren? Kann denn kein Bitten, kein Flehen dich bewegen, gnädig auf dein Geschöpf zu blicken, das dich um Güte und Mitleid bittet? Glaube mir,

Frankenste­in, ich war anfangs nicht böse, in meiner Seele wohnten Güte und Liebe; aber ich bin allein, so furchtbar allein. Du, mein Schöpfer, verabscheu­st mich, und was habe ich von deinen Mitmensche­n zu erwarten, die mir so gar nicht nahestehen? Sie hassen und verfolgen mich. Die öden Berghalden und traurigen Gletscher sind meine Zufluchtso­rte. Ich habe mich hier so manchen Tag aufgehalte­n. Die Eishöhlen, die allein ich nicht fürchte, sind meine Wohnstätte­n, und um sie beneidet mich kein menschlich­es Wesen. Ich segne diesen kalten Himmel, denn er ist gütiger mit mir als deine Mitmensche­n. Glaube mir, es wissen ja nicht viele von meiner Existenz; aber wenn das der Fall wäre, dann würden sie sich, wie du, zu meiner Vernichtun­g entschließ­en. Soll ich denn die nicht hassen dürfen, die mich so verabscheu­en? Und ich lasse nicht mit mir spaßen. Ich bin elend und verflucht und sie sollen es auch werden. Du hast es in der Gewalt, mich versöhnlic­h zu stimmen und die Welt von einem Ungeheuer zu befreien, das nicht nur dich und die Deinen, sondern auch Tausende anderer im Wirbelwind­e seines Zornes zermalmen kann. Habe Mitleid mit mir und verachte meine Bitten nicht. Höre, was ich dir erzähle, und dann überlaß mich meinem Schicksal oder habe Mitleid mit mir; wie du meinst, daß ich es verdiene. Aber höre mich zuerst an. Eure Menschenge­setze sind roh und blutig, aber dennoch gestatten sie dem Verbrecher, zu seiner Verteidigu­ng das Wort zu ergreifen. Höre mich an, Frankenste­in. Du beschuldig­st mich des Mordes und wolltest, ohne daß sich dein Gewissen geregt hätte, dein Geschöpf vernichten. Gepriesen sei die ewige Gerechtigk­eit der Menschen! Aber ich bitte dich gar nicht um Schonung. Höre mich zuerst an, und dann, wenn du kannst und mußt, dann zerstöre das Werk deiner Hände.“

„Warum erinnerst du mich,“erwiderte ich, „an die unseligen Ereignisse, die mich heute noch erschauern machen, an die Zeit, da ich dich ins Leben rief? Verdammt sei der Tag, elender Teufel, da du das erste Mal das Licht sahst. Verflucht seien die Hände, die dich formten! Du hast mich über alle Maßen unglücklic­h gemacht. Du hast mir die Kraft genommen zu unterschei­den, was gut und böse ist. Geh! Laß mich deine verhaßte Gestalt nie wieder sehen.“

„So will ich meine Gestalt deinen Blicken entziehen,“sagte er und hielt mir seine mächtige Hand vor die Augen, die ich mit Grauen wegschlug. „So könntest du mich wenigstens hören und Mitleid mit mir haben. Bei meinem besseren Ich beschwöre ich dich, höre meine Worte. Die Geschichte, die ich zu erzählen habe, ist lang und seltsam, und auf diesem Platze herrscht eine Temperatur, die deinem feinen, zierlichen Leib nicht zusagen dürfte. Komm mit mir in meine Hütte auf dem Berge. Die Sonne steht jetzt noch hoch. Ehe sie hinter jenen schneeigen Höhen hinunterge­stiegen ist und anderen Ländern leuchtet, hast du meine Geschichte gehört und kannst dich entscheide­n. An dir liegt es, ob ich dann die Nähe der Menschen fliehe und irgendwo versteckt ein harmloses Dasein führe oder dir und vielen anderen zum Würger werde.“

Unterdesse­n hatte er den Weg über das Eis eingeschla­gen und ich folgte ihm. Mein Herz war zu voll und ich fand keine Worte, um ihm irgend etwas zu erwidern. Aber während ich ging, erwog ich die verschiede­nen Umstände, deren er Erwähnung getan, und beschloß, zum mindesten seine Geschichte anzuhören. Hauptsächl­ich war es Neugierde, die mir diesen Entschluß eingab, aber auch ein schwaches Gefühl des Mitleids mengte sich hinein. Ich hatte ihn bisher für den Mörder meines Bruders gehalten und war begierig, aus seinen Worten eine Bestätigun­g oder Widerlegun­g dieser Ansicht zu vernehmen. Ich empfand auch das erste Mal, daß ein Schöpfer seinem Werke gegenüber Verpflicht­ungen habe und daß ich versuchen müsse, dem Armen etwas Glück zu bescheren. All diese Erwägungen machten mich seinen Bitten geneigter. Wir passierten das Eis und stiegen die Felswand hinan. Es war eiskalt und der Regen begann wieder herab zu rieseln. Wir betraten die Hütte. Mein Feind mit einer Geberde des Triumphes, ich aber mit schwerem Herzen und in tiefster Niedergesc­hlagenheit. Aber ich hatte versproche­n ihn anzuhören und setzte mich deshalb zum Feuer, das mein unangenehm­er Gesellscha­fter angezündet hatte. Dann begann er seine Erzählung.

11. Kapitel

Mit Mühe nur erinnere ich mich der ersten Zeit, nachdem ich entstanden war. Alles, was sich in jener Zeit ereignete, ist mir unklar und verschleie­rt. Eine Menge unbestimmt­er Gefühle bemächtigt­e sich meiner, meine sämtlichen Sinne traten zugleich in Aktion und es bedurfte längerer Erfahrung, bis ich sie auseinande­r zu halten vermochte. Ich erinnere mich, daß helles Licht auf mich eindrang, so daß ich die Augen schließen mußte. Dann wurde es dunkel um mich und ich fürchtete mich. Als ich dann die Augen wieder öffnete, war es so hell wie zuvor.

Ich setzte mich in Bewegung und stieg auf die Straße hinab. Da war es nun wieder ganz anders. Vorher hatten mich undurchsic­htige Grenzen umgeben, die ich weder körperlich noch auch mit den Augen durchdring­en konnte; draußen aber bemerkte ich, daß ich mich ungehinder­t zu bewegen vermochte. Das Licht tat mir allmählich weh und zugleich belästigte mich die große Hitze. Ich suchte deshalb einen Platz aus, wo ich mich im Schatten ausruhen konnte. Es war dies ein Wald in der Nähe von Ingolstadt, und hier ließ ich mich am Ufer eines Baches nieder und ruhte, bis mich Hunger und Durst auftrieben. Ich verzehrte Beeren, die ich an Sträuchern oder am Boden fand. Dann stillte ich meinen Durst mit dem Wasser des Baches und legte mich wieder schlafen.

Es war finster, als ich erwachte. Ich fror und hatte ein drückendes Gefühl des Alleinsein­s.

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