Beim Supermarkt gibt’s jetzt Kunst
Umwidmung In der früheren Münchner Tengelmann-Zentrale lassen jetzt Künstler ihrer Fantasie freien Lauf
München Kaiser’s lächelnde Kaffeekanne taugt gerade noch als DekoVase. Ein massives gelbes Tengelmann-T hat ihr ein ordentliches Loch in den runden Bauch geschlagen. Fehlt eigentlich nur noch ein blaues Edeka-E, das sich das T einverleibt, dann wäre die Geschichte komplett. Aber wie das jetzt nach der Übernahme weitergeht, kann Miriam Ganser nicht wissen. Sie ist Künstlerin und macht sich einfach nur ihre Gedanken über den Ort, an dem sie gerade eine Wand bemalt: die verlassene Tengelmann-Zentrale an der Landsberger Straße 350 im Münchner Westen.
Das war ein ziemlich trister Bunker – bis vor kurzem die Künstler eingefallen sind. Man sieht es von weitem. An der Hauswand stemmt sich ein Paar in die Höhe, das gleich nebenan von einem mächtigen Kopf ins Visier genommen wird. Und es gibt auch sonst viel zu sehen. „50 Künstler können sich auf 5000 Quadratmetern ausbreiten“, sagt Stefanie Utz vom Münchner Museum of Contemporary Art (Muca) an der Hotterstraße, das hinter diesem „Kunstlabor“steht.
Die Künstler arbeiten mit den Räumen und vor allem mit dem, was hunderte Tengelmann-Beschäftigte hinterlassen haben. Vom moosgrünen Tastentelefon bis zur „Deutschen Schlagerparade Vol. 3“. Tausende Aktenordner hat Philipp Jung zu einem eigentümlichen Labyrinth gefügt, das durch Industrieregale Struktur erhält. Eine posthume Tengelmann-Ordnung sozusagen, die es so wahrscheinlich nie gegeben hat. Und aus Büroschranktüren kann man auch einen Autoscooter bauen oder aus Abfällen ein Beuys’sches Hasengrab. Bauschutt gibt es hier en masse. Adam Stubley hat die Toiletten- und Waschräume gekapert und in einen Unterwassergarten mit Hai, Rochen und Krabben verwandelt. Die vermeintlichen Algen, Schlingpflanzen und Seeanemonen entpuppen sich allerdings als Plastikmüll, und Stubley ist lange nicht der Einzige, der mit seiner Arbeit stichelt. Frech und kritisch war die Street-Art immer schon.
Dass alles flutscht und die Künstler ungestört werkeln können, dafür sorgt Boris Schmidt, der beim Muca eigentlich fürs Marketing zuständig ist. Eine Menge Aufwand wird betrieben, wenn man bedenkt, dass Ende des Jahres Schluss ist. „Wir wussten von Anfang an, dass das hier nur ein Zwischenspiel sein kann“, sagt er, „gegen eine Verlängerung hätte aber niemand etwas einzuwenden.“Ob das wiederum zu den Plänen der Heidelberger Immobilienentwickler Fom Real Estate und den Investment-Managern der Axa passt, wird sich im Dezember entscheiden. Die Nachbarn an der Landsberger Straße hätten wohl nichts dagegen. „Die genießen die Farbe, die jetzt in ihre graue Umgebung kommt“, sagt Boris Schmidt. ⓘ
Kunstlabor Bis 30. Dezember, Do. bis So. 14 bis 22 Uhr, Eintritt 9 Euro.