Guenzburger Zeitung

Beim Supermarkt gibt’s jetzt Kunst

Umwidmung In der früheren Münchner Tengelmann-Zentrale lassen jetzt Künstler ihrer Fantasie freien Lauf

- VON CHRISTA SIGG

München Kaiser’s lächelnde Kaffeekann­e taugt gerade noch als DekoVase. Ein massives gelbes Tengelmann-T hat ihr ein ordentlich­es Loch in den runden Bauch geschlagen. Fehlt eigentlich nur noch ein blaues Edeka-E, das sich das T einverleib­t, dann wäre die Geschichte komplett. Aber wie das jetzt nach der Übernahme weitergeht, kann Miriam Ganser nicht wissen. Sie ist Künstlerin und macht sich einfach nur ihre Gedanken über den Ort, an dem sie gerade eine Wand bemalt: die verlassene Tengelmann-Zentrale an der Landsberge­r Straße 350 im Münchner Westen.

Das war ein ziemlich trister Bunker – bis vor kurzem die Künstler eingefalle­n sind. Man sieht es von weitem. An der Hauswand stemmt sich ein Paar in die Höhe, das gleich nebenan von einem mächtigen Kopf ins Visier genommen wird. Und es gibt auch sonst viel zu sehen. „50 Künstler können sich auf 5000 Quadratmet­ern ausbreiten“, sagt Stefanie Utz vom Münchner Museum of Contempora­ry Art (Muca) an der Hotterstra­ße, das hinter diesem „Kunstlabor“steht.

Die Künstler arbeiten mit den Räumen und vor allem mit dem, was hunderte Tengelmann-Beschäftig­te hinterlass­en haben. Vom moosgrünen Tastentele­fon bis zur „Deutschen Schlagerpa­rade Vol. 3“. Tausende Aktenordne­r hat Philipp Jung zu einem eigentümli­chen Labyrinth gefügt, das durch Industrier­egale Struktur erhält. Eine posthume Tengelmann-Ordnung sozusagen, die es so wahrschein­lich nie gegeben hat. Und aus Büroschran­ktüren kann man auch einen Autoscoote­r bauen oder aus Abfällen ein Beuys’sches Hasengrab. Bauschutt gibt es hier en masse. Adam Stubley hat die Toiletten- und Waschräume gekapert und in einen Unterwasse­rgarten mit Hai, Rochen und Krabben verwandelt. Die vermeintli­chen Algen, Schlingpfl­anzen und Seeanemone­n entpuppen sich allerdings als Plastikmül­l, und Stubley ist lange nicht der Einzige, der mit seiner Arbeit stichelt. Frech und kritisch war die Street-Art immer schon.

Dass alles flutscht und die Künstler ungestört werkeln können, dafür sorgt Boris Schmidt, der beim Muca eigentlich fürs Marketing zuständig ist. Eine Menge Aufwand wird betrieben, wenn man bedenkt, dass Ende des Jahres Schluss ist. „Wir wussten von Anfang an, dass das hier nur ein Zwischensp­iel sein kann“, sagt er, „gegen eine Verlängeru­ng hätte aber niemand etwas einzuwende­n.“Ob das wiederum zu den Plänen der Heidelberg­er Immobilien­entwickler Fom Real Estate und den Investment-Managern der Axa passt, wird sich im Dezember entscheide­n. Die Nachbarn an der Landsberge­r Straße hätten wohl nichts dagegen. „Die genießen die Farbe, die jetzt in ihre graue Umgebung kommt“, sagt Boris Schmidt. ⓘ

Kunstlabor Bis 30. Dezember, Do. bis So. 14 bis 22 Uhr, Eintritt 9 Euro.

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Foto: Stephanie Utz Die Tengelmann-Zentrale an der Landsberge­r Straße.

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