Eine mit Stil und Würde gealterte Diva Porträt
Marianne Faithfull verdankte einst ihren Ruhm, aber auch ihren Absturz der Beziehung mit Mick Jagger. Nach vielen Schicksalsschlägen startet sie ein neues Comeback
Manches begleitet den Menschen durchs ganze Leben. Andere Menschen. Gegenstände. Ideen. Erinnerungen.
Oder eben ein Lied. Im Leben der Marianne Faithfull heißt dieser treue Song „As Tears go by“. Das melancholische kleine Stückchen hat sie 1964 erstmals gesungen, noch vor ihrem 18. Geburtstag. Es war ihr Einstieg ins Popmusik-Geschäft. Ein ordentlicher Hit, der ihr einige Popularität bescherte. Auf ihren frühen Ruhm blickt sie amüsiert zurück. War sie ein Star? „Ach, kommen Sie. Ich wurde auf Tourneen quer durch England gezerrt, mit Freddie & the Dreamers. Das nenne ich keinen Starruhm.“
Tatsächlich wurde Faithfull in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre erst so richtig bekannt als die Freundin eines wirklich großen Stars. Es waren turbulente Zeiten in „Swinging London“. Marianne, Tochter einer dissonant unglücklichen Familie der besseren Londoner Kreise, hatte 1965, mit 18 Jahren, den Künstler John Dunbar, 21, geheiratet. Noch vor ihrem 19. Geburtstag kam Sohn Nicholas auf die Welt. Die Ehe hielt nicht lange. Mariannes neuer Partner war Rolling Stone Mick Jagger. Der auch zusammen mit Keith Richards „As Tears go by“geschrieben hatte.
Faithfulls Ruf war ramponiert, als die
Polizei 1967 in eine
Party im Haus von Richards platzte. Genüsslich steckten die Drogenfahnder der erfreuten Boulevardpresse, dass sie Marianne
Xnur mit einer Pelzdecke bekleidet angetroffen hätten. Für Faithfull begannen schwere Zeiten. Die Beziehung mit Jagger zerbrach. Sie hatte eine Fehlgeburt. Sie verlor das Sorgerecht für ihren Sohn. Sie blieb bis Mitte der achtziger Jahre in Drogensucht gefangen und rutschte in prekäre Lebensverhältnisse ab.
Doch Marianne Faithfull ist eine starke Frau. 1979 gelang ihr mit dem Album „Broken English“das Comeback. Die Single „The Ballad of Lucy Jordan“brachte ihr sogar wieder Hitparadenplatzierungen ein. Mit ein Grund für den Erfolg: Faithfull versuchte gar nicht zu verheimlichen, dass aus dem süßen Teenager mit dem zarten Stimmchen eine vom Leben gebeutelte Frau mit verwitterter, kratziger Intonation geworden war. Das hat sie 1987 auch auf einer Neufassung von „As Tears go by“dokumentiert.
Jetzt, über 30 Jahre später, nach zwei weiteren gescheiterten Ehen, einer Brustkrebserkrankung und einer Hepatitis-C-Infektion, nach zahlreichen weiteren Platten, hat sie „As Tears go by“zum dritten Mal aufgenommen auf ihrem neuen, hoch gelobten Album „Negative Capability“. Es singt eine 71-jährige Frau, die an Arthritis leidet, die einen Gehstock benötigt, die diesen aber bei Fotosessions demonstrativ ins Bild rückt. Die Faithfull macht nicht auf ewige Jugend wie ExFreund Mick. Sie ist gealtert mit Stil und Würde. Sie liefert nun die definitive Version von „As Tears go by“. In der Rückschau auf ein bewegtes Leben, melancholisch, aber ohne Bitterkeit. It is the Evening of the Day… Franz Neuhäuser