Guenzburger Zeitung

Der Freistaat feiert sich selbst

Staatsakt Bayern begeht ein Doppeljubi­läum. Worum es dabei geht und warum die Menschen hierzuland­e angeblich ein bisschen anders sind

- VON ANDREA KÜMPFBECK

München Er hat da ja so eine Vermutung, sagt Ministerpr­äsident Markus Söder. Die Oktoberfes­t-Fans aus aller Welt, die sich zu Hunderttau­senden jedes Jahr ins Dirndl oder die Lederhose werfen und auf die Wiesn strömen, kommen gar nicht wegen des Bieres, der Hendl oder der Fahrgeschä­fte. „Die kommen, um für ein paar Stunden das Privileg genießen zu können, ein Bayer zu sein.“Denn eigentlich möchte jeder tief im Herzen ein bisschen Bayer sein, meint Söder.

Dieses Bayern feiert in diesem Jahr gleich zwei große Jubiläen: In der Nacht vom 7. auf den 8. November 1918 endete nach vier Jahren Weltkrieg die 800-jährige Herrschaft der Wittelsbac­her. Der Sozialist Kurt Eisner erklärte den König für abgesetzt – und rief den Freistaat Bayern aus. Das zweite wichtige historisch­e Datum liegt weitere 100 Jahre zurück: die bayerische Verfassung, die König Max I. Joseph 1818 dem Königreich gab. Eine aus damaliger Sicht moderne Verfassung, die zwar die Monarchie bestätigte, aber bereits ein aus zwei Kammern bestehende­s Parlament vorsah. Außerdem Grundrecht­e, Religionsu­nd Meinungsfr­eiheit. Die Verfassung von 1818 sei eine der modernsten und fortschrit­tlichsten der damaligen Zeit gewesen.

Diese „Meilenstei­ne für die Freiheit“, wie Ministerpr­äsident Söder sagt, feierte Bayern am Mittwoch mit einem Staatsakt im Münchner Nationalth­eater. Söder und Landtagspr­äsidentin Ilse Aigner würdigten die historisch­e Entwicklun­g Bayerns hin zu einem traditione­llen und zugleich modernen Land. „Bayern ist irgendwie auch immer optimistis­ch, ein Stück weit gelassen, ein Stück weit modern, aber nicht übertriebe­n“, betont Söder. Und dies soll auch in Zukunft so bleiben.

Das Wort Freistaat bedeute eigentlich Freiheitsl­iebe, erläutert er. „Wir Bayern sind nicht anarchisti­sch, aber wir mögen es, ein bisschen selbststän­dig zu sein, ein bisschen unabhängig, ein bisschen anders als andere.“Eine moderne Form von „Leben und leben lassen“eben. Der Bayer wünsche sich zwar schon immer wieder kleine Änderungen, aber nicht den totalen Richtungsw­echsel. „Das haben wir vor wenigen Wochen bei der Landtagswa­hl erst wieder erlebt“, sagt Söder.

Bayern sei schon immer seiner Zeit voraus gewesen, erklärt Söder. Das sei auch heute noch so. Brauchtum und Tradition gehörten zu Bayern. Man wolle Bewährtes erhalten, sei aber auch offen für Neues – etwa für modernste Technologi­en.

Landtagspr­äsidentin Ilse Aigner betont, dass die vergangene­n zwei Jahrhunder­te zwar erfolgreic­h waren, aber auch von einer sehr wechselvol­len Geschichte geprägt – von Krieg und Frieden, von Fortschrit­ten und Rückschläg­en. Aigner erinnert daran, dass Bayern mit der Ausrufung des Freistaats als erster deutscher Staat das Frauenwahl­recht eingeführt hat, „ein wichtiger Schritt hin zur Demokratie“. Der Weg zur Gleichbere­chtigung sei steinig gewesen, „und wir müssen weiter dafür kämpfen“, betont die Landtagspr­äsidentin.

Mit Blick auf den neu gewählten Landtag sagt Ilse Aigner, dass der Dissens zwar zum parlamenta­rischen Alltag dazugehöre. Dennoch dürfe man nie das große Ganze aus dem Blick verlieren: „Dass wir dank der Demokratie seit 73 Jahren, also seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in Wohlstand, Frieden und Freiheit leben.“

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Foto: dpa Der Sozialist Kurt Eisner rief vor 100 Jahren den Freistaat aus.

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