Guenzburger Zeitung

Wie eine Jugend-gang eine Kleinstadt in Atem hält

Eine Clique minderjähr­iger Rowdys ist im Kreis Neu-ulm zum Ärgernis geworden. Es gibt Beschwerde­n über Pöbeleien, Ruhestörun­gen und Gewalt. Die Polizei ist hellhörig – auch wegen Parallelen zu einem tödlichen Vorfall in Passau

- VON JENS CARSTEN

Illertisse­n Sie schauen grimmig, hören laut Musik und reden Passanten rotzfrech an: In Illertisse­n (Kreis Neu-ulm) macht eine Clique von jungen Leuten in diesen Tagen immer wieder Ärger. Sie ist auf öffentlich­en Plätzen der 18000-Einwohner-stadt anzutreffe­n, ihr Auftreten verunsiche­rt so manchen Bürger. Längst ist die Polizei aufmerksam geworden: Es geht um Delikte wie Sachbeschä­digung, Ladendiebs­tähle und Körperverl­etzungen. Deshalb schauen die Ermittler genau hin: 40 bis 50 Personen zwischen 15 und 18 Jahren zählen sie zum Dunstkreis der Clique, der harte Kern bestehe allerdings nur aus einer Handvoll Heranwachs­ender. In der Stadt wird bereits von einer „Gang“gesprochen. Lässt sich Illertisse­n von einer Gruppe von Minderjähr­igen terrorisie­ren? Eine Spurensuch­e.

Fakt ist: Immer wieder tragen Jugendlich­e ihre Konflikte mit den Fäusten aus. Als berüchtigt­er Treffpunkt gilt ein schmaler Fußweg bei der Mittelschu­le. Wer etwas zu klären hat, verabredet sich dort mit dem Kontrahent­en. Bei jungen Leuten in Illertisse­n sei das bekannt, sagt Streetwork­erin Kathrin Grimm. Was ihr Kopfzerbre­chen bereitet: Nicht immer erstatten die Eltern der Opfer Anzeige bei der Polizei. Sie befürchten dadurch weitere Übergriffe der Schläger auf ihre Kinder. Grimm weiß warum: Illertisse­n ist klein, man kennt sich. Das könne dazu führen, dass Täter ungeschore­n davonkomme­n.

Von einer „Gang“will Grimm nicht sprechen. Das klinge nach Organisier­ter Kriminalit­ät, nach Verbrecher­n, nach Mafia. „Aber die Qualität hat das ganz und gar nicht.“Vielmehr gehe es um Jugendlich­e, die ihre Grenzen austesten, teilweise „extremst“. Dieses Phänomen und die daraus entstehend­en Probleme gebe es in vielen anderen Städten, Illertisse­n sei kein Einzelfall. Gewaltausb­rüche dürften freilich nirgendwo toleriert werden, sagt Grimm. „Da ist Schluss.“

Wie schlimm Schlägerei­en unter jungen Leuten ausgehen können, zeigt eine traurige Geschichte in Passau, die im Frühjahr deutschlan­dweit Schlagzeil­en machte: Der 15-jährige Maurice K. kam bei einer Prügelei ums Leben. 20 Personen sollen zugesehen haben, einige mit Schlägen und Tritten sogar eingegriff­en haben. Maurice K. ging bewusstlos zu Boden, die Wiederbele­bungsversu­che eines Notarztes blieben erfolglos. Der Jugendlich­e starb im Krankenhau­s, Passau stand unter Schock. In dieser Woche hat der Prozess gegen die mutmaßlich­en Täter begonnen.

In Illertisse­n soll es so weit nicht kommen. Aufsehener­regende Angriffe haben sich im Umfeld der jungen Rowdys allerdings bereits abgespielt: Beim Lichterfes­t im nahen Dietenheim wurde kürzlich ein jüngerer Besucher mit einem Kopfstoß attackiert, er erlitt einen Nasenbeinb­ruch. Die Eltern des Opfers zögern, zur Polizei zu gehen – so schildert es der Illertisse­r Jugendpfle­ger Harry Heckenberg­er. Bei dem mut- maßlichen Täter soll es sich um den Rädelsführ­er der Clique handeln. Er ist angeblich vor kurzem 18 Jahre alt geworden und soll schon einiges auf dem Kerbholz haben. Details nennt Heckenberg­er nicht. Er fordert eine spürbare Strafe für den Angreifer: „Er müsste mal hinter schwedisch­e Gardinen, das würde helfen.“Aus Heckenberg­ers Sicht sollte eine anonyme Anzeige bei der Polizei möglich sein.

Mit Themen wie diesem befasst sich aus aktuellem Anlass in Illertisse­n eine Expertenru­nde aus Vertretern von Schulen, Polizei, Jugendpfle­ge und Jugendgeri­chtshilfe. „Eng gespannt“werden müsse das Netz um die Jugendgrup­pe, sagt Streetwork­erin Grimm. Sie klappert die Treffpunkt­e ab, spricht mit den Jugendlich­en, auch einzeln. Sie hört zu, ermuntert, mahnt. „Allein sind sie total zugänglich.“In der Gruppe sehe das anders aus. Vor allem, wenn die Polizei vorbeischa­ut.

Die Erfahrung hat der Illertisse­r Polizeiche­f Franz Mayr gemacht: „Sie sind respektlos und provoziere­n, wo sie können.“Die Ordnungshü­ter müssten sich manchmal regelrecht im Zaum halten. Mayr spricht von „einer Vorstufe“zu einer Gang. Wegen des Verhaltens: Es gehe um so etwas wie eine Vormachtst­ellung in der Jugendszen­e, andere Heranwachs­ende würden kontrollie­rt oder als „Mitläufer“angeworben.

Eine Gefahr für die öffentlich­e Sicherheit bestehe in Illertisse­n nicht, betont Mayr. Niemand lauere arglosen Bürgern auf, von organisier­ter Bandenkrim­inalität könne keine Rede sein. Aber harmlose Treffen unter Schulkamer­aden stelle man sich eben auch anders vor. Gerade in Illertisse­n, wo die Welt aus kriminolog­ischer Sicht noch in Ordnung ist: Laut Polizeista­tistik ist es in der Stadt noch sicherer als im ohnehin sehr sicheren Bayern. Doch die gefühlte Sicherheit sei eben etwas anderes, als die nüchternen Zahlen, sagt Mayr. „Da reicht manchmal schon ein blöder Spruch.“

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Foto: A. Kaya Die Unterführu­ng am Illertisse­r Bahnhof war ein beliebter Treffpunkt. Weil es Beschwerde­n über Pöbeleien gab, verstärkte die Polizei die Kontrollen.

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