Guenzburger Zeitung

Raus aus Job und Land

Im Juli löste die Abschiebun­g gut integriert­er und berufstäti­ger Afghanen aus Schwaben großen Ärger aus. Was hat sich seither verändert? Nichts, wie aktuelle Fälle vermuten lassen

- VON MICHAEL BÖHM, SONJA KRELL UND HOLGER SABINSKY-WOLF geändert)

Kaufbeuren/münchen Acht Wochen lang kümmerte sich Walid R.*

um die Allgäuer Unterwelt. Täglich fuhr der Afghane durch die Region und reinigte Kanäle. Ein mitunter schmutzige­r Job, den der 31-Jährige aber fleißig und zuverlässi­g machte und sich auch mit den Kollegen gut verstand. Das bestätigt ihm sein Arbeitgebe­r aus Kaufbeuren, die Firma Dorr. Anfang Oktober musste sie plötzlich auf die Arbeitskra­ft des Flüchtling­s verzichten. „Von einem Tag auf den anderen ist uns ein Mann weggefalle­n, den wir gut gebrauchen könnten“, sagt eine Sprecherin des Unternehme­ns. Die Ausländerb­ehörde hatte R. die Arbeitserl­aubnis entzogen, seine Duldung in der Bundesrepu­blik für beendet erklärt.

Der Afghane lebt seit sieben Jahren in Deutschlan­d. Nun ist er besorgt, dass er zurück nach Afghanista­n muss. In diesen Tagen ganz besonders. Am kommenden Dienstag startet in Leipzig der nächste Abschiebef­lieger nach Afghanista­n, in dem nach Informatio­nen von Flüchtling­shelfern mehrere Personen aus Bayern sitzen sollen. Auch Walid R.?

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Günter Kamleiter fürchtet, dass es genau so kommen könnte. Der Sprecher vom Arbeitskre­is Asyl in Kaufbeuren hat erst am Freitag mit Walid R. gesprochen. Er sagt: „Wir machen uns große Sorgen, dass er abgeschobe­n wird. Denn das sind absolut identische Fälle.“Was Kamleiter meint, sind die ähnlich gelagerten Fälle, die im Juli Schlagzeil­en gemacht haben. Mehrere im Allgäu gut integriert­e Flüchtling­e wurden trotz einer festen Anstellung in Betrieben nach Afghanista­n abgeschobe­n. „Eine absolute Sauerei“, schimpfte damals Tanja Burkhard, die Chefin eines Schweißere­ibetriebes in Kaufbeuren. Eines Morgens war ihr Mitarbeite­r Marof G. nicht zur Arbeit erschienen – weil er in der Nacht abgeschobe­n worden war

Eine bundesweit­e Diskussion über den Wert von Flüchtling­en auf einem leer gefegten Arbeitsmar­kt folgte. Ein „Spurwechse­l“wurde gefordert, eine Art Bevorzugun­g von Flüchtling­en, die eine Ausbildung machen oder eine feste Anstellung haben.

(wir berichtete­n).

Doch nun, vier Monate später, scheint das Problem von vorne zu beginnen. Nach Informatio­nen von Flüchtling­shelfer Kamleiter droht in diesen Tagen zwei weiteren Mitarbeite­rn der Firma Burkhard die Abschiebun­g. Der eine, ein 32-jähriger Afghane, seit vier Jahren dort fest beschäftig­t. Der andere ein 28-jähriger Pakistani, der fast vier Jahre bei Burkhard gearbeitet hat. Beide sprechen nach Kamleiters Worten gut Deutsch, haben eine Wohnung in Kaufbeuren, seien nicht straffälli­g geworden. Beide könnten ihr eigenes Geld verdienen. Auch einem 30-jährigen Afghanen, der seit einem halben Jahr bei einer Baufirma in Kaufbeuren arbeitet, drohe die Abschiebun­g.

Im bayerische­n Innenminis­terium in München will man die Abschiebun­g der vier Flüchtling­e aus Kaufbeuren nicht bestätigen, aber auch nicht dementiere­n. Dafür fällt die Reaktion der politische­n Konkurrenz umso deutlicher aus. „Die CSU hat wohl den Schuss vor der Wahl nicht gehört. Genau wegen einer solchen Politik haben sich viele Wähler von der CSU abgewendet. Sie können nicht verstehen, wie eine angeblich christlich­e Partei so handeln kann. Ich habe gedacht, dass die CSU ihre Wahlschlap­pe als Denkzettel verstanden hat“, sagt Katharina Schulze, Fraktionsc­hefin der Grünen im Landtag. Abschiebun­gen nach Afghanista­n finde sie generell „unmenschli­ch“. Darüber hinaus sei die „Abschrecku­ngspolitik der CSU auch wirtschaft­sfeindlich“. Dass der diskutiert­e Spurwechse­l nicht im Koalitions­vertrag stehe, sei für sie ein „Skandal“.

Diplomatis­cher äußert sich Josefine Steiger, Ausbildung­sexpertin bei der Industrie- und Handelskam­mer Schwaben. „Flüchtling­e schließen Lücken in Branchen, in denen händeringe­nd Mitarbeite­r gesucht werden.“Wenn sie gut integriert seien, Deutsch gelernt und eine Arbeit gefunden haben und ihre Identität geklärt ist, „dann wünschen wir uns, dass sie bleiben dürfen“, sagt Steiger. Zu den aktuellen Fällen könne sie sich nicht äußern.

Der (noch) amtierende Wirtschaft­sminister Franz Pschierer (CSU) kennt die aktuellen Fälle aus Kaufbeuren. Er habe sich bereits an Innenstaat­ssekretär Gerhard Eck gewandt. Dabei sei es in erster Linie um die sozialen Folgen für die Betroffene­n gegangen. Von einer Abschiebun­g in der nächsten Woche wisse er nichts. Im Juli hatte er die Abschiebun­g von Marof G. als „nicht richtig“kritisiert.

Unverständ­nis bei betroffene­n Firmen

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