Bleiern
Wie lange wird die Große Koalition in Berlin halten, wie lange noch weitermachen? Bis Weihnachten? Frühjahr 2019? Herbst 2021? Die Ansichten über die Aussichten gehen auseinander. Neuralgische Punkte für Ermüdungsbrüche gibt es wahrhaftig über alle Maßen. Doch selbst die größten, ja glühendsten Groko-anhänger und Weitermacher werden ausschließen, dass Union und SPD bis zur Bleiernen Hochzeit durchhalten. Die wäre nach 43 Jahren des Zusammenbleibens zu begehen, also nach 2060. Eine Agenda 2060 aber – Andrea Nahles wäre dann auch schon 90 und Jens Spahn immerhin 80 – dürfte in der DNA der Groko nicht mal als Mutation vorstellbar sein.
Wer die Bleierne Hochzeit nicht erreicht, dem bleibt im Zusammensein aber vom ersten Tag an immer die „bleierne Zeit“. Große Koalition der Müdigkeit. Als bleierne Zeit hat diese Woche die Cdugeneralsekretärin Annegret Kramp-karrenbauer (AKK) die ersten Monate der schwarz-roten Regierungs-liaison bezeichnet. Bleierne Zeit: Das meint das Gegenteil von Initiative, Tatkraft, Handlungsfähigkeit, Gestaltungsfreude. Vergegenwärtigt man sich das Gezänk, Gewürge und Gezeter in dieser Beziehungskiste – Seehofer! etc. –, dann umfasst das „bleiern“von AKK sicher auch die Bedeutung von bleihaltiger Luft und Bleivergiftung. Die nachtbleiche Groko ist jedenfalls erkennbar nicht in einem Zustand von Gleich-, sondern vielmehr von Bleigewicht. Das wiederum schließt freilich nicht aus, dass es in dieser Konstellation auch Leichtgewichte gibt, die zur Belastung werden, so vollgepumpt mit Blei sind die.
Bleierne Zeit – das ist zunächst einmal ein Zitat. „Die bleierne Zeit“heißt der 1981 erschienene Film von Margarethe von Trotta über die Geschwister Ensslin. Aber von Trotta hat ja selbst nur zitiert. Und zwar Friedrich Hölderlin. In dessen Gedicht „Der Gang aufs Land“steigt sie originär auf, die bleierne Zeit:
Trüb ists heut, es schlummern die Gäng und die Gassen und fast will / Mir es scheinen, es sei, als in der bleiernen Zeit.
AKK kommt aus dem Kohleland an der Saar, einem Eisen- und Stahlstandort. Vielleicht kennt sie trotzdem die schöne Weisheit von Georg Christoph Lichtenberg: „Mehr als Gold hat das Blei die Welt verändert.“Es gibt also noch Hoffnung für die Groko.