Das Tagebuch ihrer Mutter schickte sie auf Reisen
Die Günzburgerin Lisa Welzhofer gewährt in „Kibbuzkind“sehr persönliche Einblicke in ihre Familiengeschichte
Günzburg Lisa Welzhofer, Autorin der deutsch-israelischen Familiengeschichte „Kibbuzkind“, nahm die vielen Zuhörer in der nahezu ausverkauften Aula des Maria-WardGymnasiums mit auf ihre Suche nach dem Vater. Und bei dieser Lesung war es nicht irgendein Publikum. Es waren die Günzburger, die die Akteure der deutschen Seite der Familiengeschichte kennen. „Ich habe jetzt schon etliche Lesungen gemacht, aber so aufgeregt war ich noch nie“, bekannte Lisa Welzhofer.
Das Tagebuch ihrer Mutter, das sie nach deren Tod beim Ausräumen in einem der letzten Kellerwinkel gefunden hatte, offenbarte das bis dahin unangetastete Familiengeheimnis. „Wer mein Vater ist, war einfach nie Thema. Nur ein einziges Mal, als ich 18 Jahre alt war, und meine Mutter mir im Streit sagte, dass mein Vater in Israel lebe.“Mit dem Tagebuch in der Hand, die Autorin nennt es ihren „Anker, Talisman, eine Art Reiseführer“, machte sich Lisa Welzhofer auf die Suche, buchte einen Aufenthalt in dem Kibbuz am Ufer des See Genezareth, wo ihre Mutter Barbara als Freiwillige arbeitete und den Vater ihrer Tochter kennenlernen sollte.
„Die Beziehung der beiden hatte keine Chance“, erzählte Lisa Welzhofer ihrem aufmerksamen Publikum. Barbara als große Suchende der 1968er Generation sah im Kibbuz und dem Israeli Hagai ein Ankommen, während Hagai, im organisierten Leben eines Kibbuz aufgewachsen, aufbrechen wollte zu einer Weltreise und zu einem Studium. Die Lesung, zu der das Experimentelle Theater Günzburg eingeladen hatte und dessen Leiter Siegfried Steiger sich selbst auf die Spurensuche nach Lisa, die er am MariaWard-Gymnasium unterrichtet hatte und die viele Jahre zum Ensemble gehört hatte, machte, ließ viel Platz für Persönliches. Denn das Vorlesen wechselte sich ab mit unterhaltsamen Dialogen von Lisa Welzhofer mit Alexa Eberle. So erfuhren die Zuhörer, dass Lisa Welzhofer sich durchaus die Frage gestellte habe, ob sie diese private Familiengeschichte denn überhaupt einem so großen Leserkreis erzählen dürfe. „Ich meine Ja. Das Tagebuch bekam ich als Erbe und das Buch ist meine Art damit umzugehen. Außerdem habe ich als Journalistin ein Gespür für Geschichten und erzähle die von anderen. Da wollte ich mit gutem Beispiel vorangehen.“Trotzdem habe es eine ganze Weile gebraucht, bis klar war, in welcher Form und in welchem Stil das Buch entstehen soll.
Mit der Geburt von Sohn Viktor war mit einem Mal alles schlüssig. Es wird ein Briefroman an den kleinen Viktor, gewidmet „für meine Kinder und für meine Eltern“. In der MWG-Aula, in der sowohl Barbara als auch Lisa schon als Schülerinnen saßen, hatte der Adressat der knapp 30 Briefe einen Platz in der ersten Reihe, als seine Mama Bücher signierte, kuschelt er sich müde an sie.
Es dauert noch ein Weilchen bis er selber lesen kann, was in seiner Familie passierte, wie man in dieser Zeit in Deutschland und Israel lebte und was man dachte, welche Gedanken seine eigene Mutter umtrieben.
Ebenfalls im Publikum ist Rosa, die Urgroßmutter von Viktor, die natürlich auch in den Briefen vorkommt. Viel Zeit für Gespräche nach dem Motto „Weißt Du noch?“oder „Steht das auch im Buch?“bleibt beim Sektempfang, zu dem Hummus gereicht wird, typisch deutsch-israelisch. In Filmen gibt es, wenn die Suche nach dem Vater erfolgreich war, immer ein Happy End, bei „Kibbuzkind“endet es damit, dass mit Hagai, Lisa und Viktor drei Generationen am See Genezareth stehen und Barbaras Lachen von weither zu hören ist.