Guenzburger Zeitung

Mit Seehofers Rücktritt ist das Hauptprobl­em der CSU nicht gelöst

Die größte Gefahr für die Partei besteht darin, auf eine ehrliche Analyse des Wahlergebn­isses zu verzichten und jetzt einfach zur Tagesordnu­ng überzugehe­n

- VON ULI BACHMEIER jub@augsburger-allgemeine.de

Der scheidende Parteichef ist nicht der allein Schuldige

Die CSU ist zu einer Partei der zwei Geschwindi­gkeiten geworden. Während Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder in beachtlich­em Tempo eine Koalition verhandelt und ein Kabinett gebildet hat, zieht sich der Abschied von Parteichef Horst Seehofer länger als erwartet hin. Wie schon bei seinem Rücktritt vom Amt des Ministerpr­äsidenten hat Seehofer dem CSU-Vorstand auch bei seinem Rücktritt als Parteivors­itzender eine Fristverlä­ngerung abgerungen – keine Monate zwar, aber immerhin einige Wochen.

Das wird vor allem die Strategiea­bteilung der CSU wenig freuen, die bei der Europawahl am 26. Mai kommenden Jahres nach drei Wahlpleite­n in Folge endlich eine Trendwende schaffen will. Die CSU-Klausuren Anfang Januar, die für die Partei traditione­ll den Start ins neue Jahr markieren, drohen von neuen Personalfr­agen überlagert zu werden. Wird Söder wirklich Parteichef oder gibt es vielleicht doch noch einen Gegenkandi­daten? Lässt sich der Seehofer-Abschied einigermaß­en geordnet und ohne neue Scharmütze­l über die Bühne bringen? Muss er nicht auch irgendwann als Bundesinne­nminister aufhören? Und wer folgt ihm im Fall der Fälle als Minister nach? Solche Fragen können, wie sich in der Vergangenh­eit schon oft gezeigt hat, eine Partei erheblich behindern.

Die CSU sehnt sich nach Ruhe, nach klarem Kurs, nach Einigkeit in der Parteiführ­ung. Söder kann diese Sehnsucht bisher nur auf dem Feld der Landespoli­tik bedienen. Er demonstrie­rt mit seinem neuen Kabinett, dass er sich einen Aufbruch wünscht, auch wenn es altgedient­e und fachlich untadelig arbeitende Minister wie Winfried Bausback (Justiz), Marcel Huber (Umwelt) und Franz Pschierer (Wirtschaft) hart trifft, nicht erneut berufen zu werden. Mit der Ernennung des Schwabens Hans Reichhart zum Bauministe­r, des Münchners Georg Eisenreich zum Justizmini­ster und der Unterfränk­in Judith Gerlach zur Staatsmini­sterin für Digitales setzt Söder Signale für eine Verjüngung der Staatsregi­erung.

Für die CSU ist das freilich bestenfall­s ein erster Schritt zu einem Neustart. Will die Partei wieder mehr Wähler als zuletzt überzeugen, wird Söder zunächst in Bayern dafür sorgen müssen, dass er die vielen Absichtser­klärungen im Koalitions­vertrag der neuen Staatsregi­erung erfüllt und in praktisch wirksame Politik umsetzt. Neue Etiketten nutzen nichts, wenn der Inhalt der alte bleibt.

Noch weitaus größer als im Land allerdings ist die Herausford­erung für die CSU in der Bundes- und Europapoli­tik. Der grundsätzl­iche Dissens, der in der Partei in der Flüchtling­spolitik aufgebroch­en ist, konnte zuletzt nur mühsam überdeckt werden. Eine Debatte, die ihn überwinden und die Partei zu neuer Geschlosse­nheit führen könnte, hat bisher ebenso wenig stattgefun­den wie eine ehrliche und schonungsl­ose Analyse des Wahlergebn­isses.

Die Versuchung in der CSU ist groß, mit Seehofers Rücktritt auch diese Debatte als erledigt zu betrachten. Doch genau darin besteht die wahrschein­lich größte Gefahr für die Zukunft der Partei: zu glauben, dass Seehofer der alleinige Verantwort­liche für die Pleite bei der Landtagswa­hl ist und deshalb gar nicht mehr groß nachgedach­t und geredet werden müsse.

Diese Betrachtun­gsweise blendet völlig aus, dass die Doppelspit­ze von zwei Herren gebildet wurde, die ihre gegenseiti­ge Abneigung über Monate zelebriert haben. Sie blendet aus, dass Söder der Spitzenkan­didat bei der Landtagswa­hl war. Und sie blendet aus, dass die Partei seit Jahren nicht mehr dazu in der Lage ist, eine Klammer zu bilden für ganz unterschie­dliche bürgerlich­e Weltanscha­uungen.

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