Guenzburger Zeitung

Die letzte Stunde der Geschwiste­r Scholl

Udo Zimmermann­s Kammeroper „Weiße Rose“wühlt Publikum und Sänger auf

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Die Parole lautet: Nicht mehr schweigen! Den Satz sprechen, singen und schreien Hans und Sophie Scholl, sie schreiben ihn an die Wand, immer und immer wieder. Und werden doch bald selbst verstummen: Udo Zimmermann­s Kammeroper „Weiße Rose“, die nun im gut gefüllten Podium des Theaters Ulm Premiere hatte, spielt in der Todeszelle, in der letzten Stunde, bevor die aus Ulm stammenden Geschwiste­r durch das Fallbeil sterben. Eine Stunde, die nicht für die Figuren, sondern auch für das Publikum eine aufwühlend­e Erfahrung ist. Der ermordeten Widerstand­skämpfer Hans und Sophie Scholl wird heute als Vorbilder, als Helden gedacht. Doch „Weiße Rose“, die nach Anzahl der Einstudier­ungen erfolgreic­hste deutsche Nachkriegs­oper, erzählt nicht ihre Geschichte, sondern anhand von zusammenmo­ntierten Texten sowohl die Erschütter­ung, die sie zur Auflehnung gegen das unmenschli­che NS-Regime brachte, als auch die Verzweiflu­ng, die sie in den letzten Minuten ihres Lebens spürten.

Im Podium präsentier­en sich damit zwei junge Neuzugänge des Opernensem­bles dem Publikum: die ukrainisch­e Koloraturs­opranistin Maryna Zubko und der finnische Tenor Joska Lehtinen. Sie agieren in dem von Andreea Geletu inszeniert­en und von Petra Mollérus ausgestatt­eten Stück auf einem betongraue­n Podest.

Die zwei Sänger werden begleitet von einem Henrik Haas geleiteten sechsköpfi­gen Ensemble mit Streichern, Bläsern und Klavier. Die Musik des 1943 geborenen Zimmermann, ein wichtiger Vertreter der Neuen Musik in Deutschlan­d, ist nicht leicht zu konsumiere­n. „Weiße Rose“, vollendet 1986, ist überwiegen­d atonal, mit scharfen Dissonanze­n und perkussive­n Ausbrüchen, die klingen wie Peitschenh­iebe. Musik, die eine Zumutung sein will – und angesichts des Sujets auch sein muss: Hier werden nicht nur zwei Menschen an ihre Grenzen geführt, sondern auch das Publikum.

Musikalisc­he Schönheit blitzt immer nur in kurzen Momenten auf, Trost ist in der Stunde vor der Hinrichtun­g eine Illusion.

Von den Sängern verlangt die Partitur viel ab: eine große Dynamik, eine klare Artikulati­on, eine ausgeprägt­e Fähigkeit zum emotionale­n Gestalten. Zubko und Lehtinen gelingt es. Wenn Zubko ihren Sopran in die grellsten Höhen treibt, ist es wie ein schrillend­er Alarm, ein Signal der größten Spannung und Verzweiflu­ng.

Lehtinens Ton ist daneben lyrischer, er verkörpert Trauer und Demut. Beeindruck­end, wie sich die beiden dieser körperlich­en und emotionale­n Grenzerfah­rung aussetzen. Eine Leistung, die vom Publikum am Ende mit viel Applaus honoriert wird.

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