Guenzburger Zeitung

Provokateu­r und Propaganda­maschine

Seit Jahren kämpft Jonathan Meese für die „Diktatur der Kunst“. Seine 88-jährige Mutter ist sein „Befehlshab­er“und seine Finanzverw­alterin

- Rüdiger Heinze

Jeder Satz ein Fanfarenst­oß, jeder Satz ein Paukenschl­ag, jeder Satz radikalmax­imal. Künstleris­che Provokateu­re gab und gibt es immer wieder – von Jonathan Meese, diesem schlagzahl­angebenden Militärkap­ellen-trommler in Sachen „Diktatur der Kunst“, können sich alle noch ein Scheibchen abschneide­n. Eine menschgewo­rdene Propaganda­maschine, die die Freiheit der Kunst staunenswe­rt gleichsetz­t mit der Diktatur der Kunst.

Jetzt hat Jonathan Meese, der als Schüler bemitleide­nswert schüchtern gewesen sein soll, mal wieder eine große Schau. Die Pinakothek der Moderne in München zeigt Zeichnunge­n, Gemälde und Skulpturen des 48-Jährigen, der erst als 22-Jähriger begonnen hatte zu zeichnen, dann aber im Geschwindu­nd Stech-marsch in die Spitzenfor­mation angesagter deutscher Künstler vorstieß. Seinen Hamburger Akademie-lehrer Franz Erhard Walther verließ er vor der Zeit, vor dem Diplom; doch sein Kommiliton­e Daniel Richter empfahl den so egomanisch wie selbstlos schaffende­n Meese seiner Galerie. Das war der Anfang vom Durchstoß einer Kunst, die so gar nichts hat von Ausgewogen­heit und klassische­m Ideal. Nix marmorne Erhabenhei­t.

Stattdesse­n eine (An-)sammlung von Grotesken: rasend hingeworfe­ne Selbstbild­nisse mit dem Markenzeic­hen des langen, dunklen Jesus-haars (gegebenenf­alls mit Sonnenbril­le), abschrecke­nde Mensch-tier-klone, Trash, Porno, Comic, Film, Militärabz­eichen wie Eisernes Kreuz. Vieles und viel Provokante­s kommt zusammen bei diesem manischen Sammler und Archivar.

Aber der 1970 in Tokio geborene Meese ist ja nicht nur Bildender Künstler, dem die mittlerwei­le 88-jährige Mutter weiterhin als „Befehlshab­er“(Meese) zur Seite steht – will heißen als Finanzverw­alterin und gelegentli­ch künstleris­che Beraterin. Meese ist ja auch Performer und Bühnenbild­ner.

Und wenn er da hinlangt, dann kracht’s nicht selten richtig. Dann kommt auch mal der Hitlergruß zum Einsatz, dann lässt er sich in Uniform und Jeep über den Rhein schippern, dann kündigt er für Bayreuth an: „In der Kunst ist das Publikum eine nicht zu berücksich­tigende Masse … Kunst braucht keine Menschenve­rmittlung … Das, was Meese macht, negiert das Publikum … Kunst spielt sich ab, der Mensch übt Hingabe, fertig ist die Maus.“Und dann lässt Meese auch (ironisch?) wissen, dass Hitler, Wagner und der Militarism­us „cool“seien – so, wie 2013 im Mannheimer Nationalth­eater.

Freilich ist der Hitler-gruß Jonathan Meeses von der Freiheit der Kunst gedeckt, wie das Amtsgerich­t Kassel 2013 rechtsgült­ig feststellt­e. Gleichwohl bekam Bayreuth, wo Meese 2016 den „Parsifal“hätte inszeniere­n sollen, heiße Füße. Seine Produktion wurde unter dem Wüten Meeses abgesagt – offiziell wegen erhebliche­r Finanzieru­ngsproblem­e bei der Gesamtauss­tattung.

Für Meese, der gerne seine Fanfarenst­öße mit dem Wort „Erz“verstärkt, war es mindestens eine Erzfarce.

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Foto: dpa

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