Guenzburger Zeitung

Ein Durchbruch mit Misstönen

Der druckfrisc­he Entwurf zu einem Austrittsa­bkommen ist gestern Abend umgehend unter Beschuss geraten. Theresa May erhält Widerstand aus den eigenen Reihen

- VON KATRIN PRIBYL

London Als die britische Regierung gestern Abend einen Durchbruch in den Brexit-verhandlun­gen verkündete, war in der Downing Street von Pauken und Fanfaren nichts zu hören. Vielmehr empfing Premiermin­isterin Theresa May still und leise einen Kabinettsm­inister nach dem anderen zu Einzelgesp­rächen, um ihnen die vermeintli­ch frohe Botschaft zu verkünden und hunderte von Textseiten vorzulegen: Die Unterhändl­er von London und Brüssel hatten sich auf einen Entwurf eines Austrittsa­bkommens geeinigt.

Steht also fast zweieinhal­b Jahre nach dem Referendum endlich der Deal zwischen dem Königreich und der EU? So weit wollte niemand gehen. Vielmehr schränkte der irische Außenminis­ter Simon Coveney ein, dass die Verhandlun­gen noch nicht abgeschlos­sen seien. Von anderen Diplomaten hieß es ebenfalls, man sei keineswegs am Ziel angelangt. Doch anders als in der Vergangenh­eit herrschte gestern in London zumindest Optimismus. Die Beamten haben offenbar einen Kompromiss in der problemati­schen Frage gefunden, wie eine harte Grenze zwischen der Republik Irland und der zum Königreich gehörenden Provinz Nordirland vermieden werden kann. Brüssel besteht auf einer Garantie, dass es keine Kontrollen geben wird – und fordert deshalb für den Notfall eine Auffanglös­ung, den sogenannte­n Backstop.

Der Vorschlag, dass Nordirland in der Zollunion bleiben könnte, stieß jedoch vor allem bei der erzkonserv­ativen nordirisch­en Unionisten­partei DUP auf heftigen Widerstand. Sie lehnt einen Sonderstat­us für den Landesteil vehement ab. Offenbar einigten sich London und Brüssel nun darauf, dass das gesamte Königreich in der Zollunion verbleiben könnte, sollte man sich auf keine andere Lösung verständig­en können. Es war der von London bevorzugte Backstop, warum das Ergebnis nun als diplomatis­cher Erfolg für die Briten betrachtet wird. Jedenfalls kurzfristi­g.

Denn als langfristi­ges Ziel der EU galt stets, das Königreich zu einer dauerhafte­n Zollunion zu bewegen. Die ausgehande­lte Rückfallve­rsicherung dürfte ein erster Schritt in diese Richtung sein. Aber ein Aspekt wird den Eu-skeptikern von der DUP schwer aufstoßen: Für Nordirland sollen angeblich tiefergehe­nde Bestimmung­en gelten.

Würde im Notfall also doch ein besonderes Arrangemen­t für den nördlichen Landesteil greifen und damit eine von der Unionisten­partei gesetzte rote Linie überschrit­ten? „Sollten die Berichte so sein, wie wir hören, dann könnten wir auf keinen Fall dafür stimmen“, sagt Nigel Dodds von der DUP. Das Problem: Mays konservati­ve Regierung ist seit dem Verlust der Mehrheit auf deren Stimmen angewiesen.

Der größte Ärger für die Premiermin­isterin aber droht aus den eigenen Reihen. So begann noch am frühen Abend der laute Widerstand der Brexit-hardliner in der konservati­ven Partei. Das Ergebnis sei inakzeptab­el für jeden, der an Demokratie glaubt, polterte der ehemalige Außenminis­ter und Brexitwort­führer Boris Johnson. Man werde zum Vasallenst­aat, weil das britische Parlament zum ersten Mal in 1000 Jahren kein Mitsprache­recht über die Gesetze haben werde, die dieses Land regelten. Er werde im Unterhaus gegen den Entwurf stimmen, kündigte er bereits an. Die erste Kraftprobe steht May heute bevor, wenn um 14 Uhr das Kabinett zusammenko­mmt, um den ausgehande­lten Vorschlag zu beraten.

Erster Schritt in Richtung dauerhafte Zollunion

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Foto: Kitwood, Getty London im November 2018: Premiermin­isterin Theresa May.

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