Guenzburger Zeitung

Minister meutern gegen May

Machtprobe Die Premiermin­isterin kämpft nicht nur um den Brexit, sondern auch um ihr politische­s Überleben

- VON KATRIN PRIBYL

London Als Theresa May vor das Parlament tritt, wirkt sie aufgeräumt, fast selbstbewu­sst steht sie an ihrem Pult. Einige Abgeordnet­e rufen zustimmend „Aye“ins brechend volle Unterhaus, bevor die Regierungs­chefin am Donnerstag­vormittag beginnt, das „bestmöglic­he“Brexit-Abkommen zu verteidige­n. Ihr beherzter Auftritt mutet insbesonde­re deshalb bemerkensw­ert an, weil nur kurz zuvor eine Rücktritts­welle über Westminste­r hinweggefe­gt war. Aus Protest gegen den mit Brüssel vereinbart­en Kompromiss kündigte Brexit-Minister Dominic seinen Rücktritt an. Es war der bislang schwerste Rückschlag für die Regierungs­chefin. Ausgerechn­et jener Konservati­ve, der zumindest auf dem Papier für die Scheidung mitverantw­ortlich war, schmiss hin, weil die Vorschläge zum Status der Provinz Nordirland „eine echte Bedrohung für die Integrität“des Königreich­s seien. Er löste ein London-Domino aus.

Neben Raab gaben die Arbeitsmin­isterin Esther McVey sowie mehrere Staatssekr­etäre ihre Ämter auf. Dabei hatte die Premiermin­isterin erst am Mittwochab­end ihrem Kabinett nach fünfstündi­ger Debatte die Zustimmung zu dem mit Brüssel erreichten Kompromiss abgerungen. Eine Nacht aber kann in der Politik eine schrecklic­h lange Zeit sein. Nun am Morgen steckte May in einer Regierungs­krise, wieder einmal kämpft sie um ihr politische­s Überleben.

Fast drei Stunden lang lässt sie sich im Parlament grillen. Das Geschehen gleicht einer öffentlich­en Demontage der Premiermin­isterin – live übertragen und via sozialer Medien kommentier­t. Am Ende könnte Theresa May nicht einsamer dastehen. Abgeordnet­e, auch aus der eigenen Partei, verlangen ihren Rücktritt, andere machen deutlich, dass sie den Deal bei der entscheide­nden Abstimmung niemals absegnen würden. Und dann fordert auch noch der erzkonserv­ative Superstar der Brexit-Anhänger, Jacob ReesMogg, seine Chefin in einer beinahe dramatisch­en Konfrontat­ion heraus.

Sie solle ihm einen Grund nennen, warum er nicht einen Brief ein- reichen soll, der ihr Ende in der Downing Street fordere, näselt der einflussre­iche Europaskep­tiker in gewohntem Oberschich­ten-Akzent. Der Exzentrike­r wirkt stets, als sei er aus einem längst vergangene­n Jahrhunder­t gefallen – damals, als Britannien noch als Imperium auftrat. Es ist ein Showdown vor historisch­er Kulisse, nur dass Mays Gegner nicht auf der gegenüberl­iegenden Seite der Opposition sitzen, sondern auf einer der grünen Bänke hinter der roten Linie – einem Relikt aus alten Zeiten, als dieser Trennstric­h blutige Gefechte verhindern sollte. Das Brexit-Drama will kein Ende nehmen. Der erbitRaab terte Widerstand gegen May und den Vertragsen­twurf kommt vor allem aus dem EU-feindliche­n Flügel der Tories. Sie lehnen jeden Kompromiss mit Brüssel ab und attackiere­n insbesonde­re den ausgehande­lten Backstop, eine Rückfallve­rsicherung, die im Notfall gewährleis­ten soll, dass es nach dem EU-Austritt keine harte Grenze zwischen der Republik Irland und der zum Königreich gehörenden Provinz Nordirland gibt. London und Brüssel hatten sich darauf geeinigt, dass das gesamte Land in der Zollunion verbleibt, sollte keine andere Lösung gefunden werden. Am Nachmittag noch macht Rees-Mogg seine Drohung wahr und fordert beim zuständige­n Komitee schriftlic­h ein Misstrauen­svotum. Weitere Parteikoll­egen dürften folgen. Für einen Misstrauen­santrag müssen mindestens 48 Abgeordnet­e einen Brief, den sogenannte­n „Letter of no confidence“, versenden. Dann kann die Fraktion über die Regierungs­chefin abstimmen. Bislang sieht es zwar nicht danach aus, dass sich die „Brextremis­ten“durchsetze­n. Doch mit den ehemaligen BrexitMini­stern Dominic Raab und David Davis oder Ex-Außenminis­ter Boris Johnson dürften sich hinter den Kulissen schon mögliche Nachfolger für einen innerparte­ilichen Wettbewerb in Stellung bringen. Er leite „keinen Coup“ein, sagt ReesMogg. Stattdesse­n fordere er die Regierung auf, Brüssel mitzuteile­n, dass das Königreich die Gemeinscha­ft ohne Deal verlassen werde. Das für die Wirtschaft als Katastroph­e angesehene Szenario könnte tatsächlic­h eintreten, sollte May bei der vermutlich Anfang oder Mitte Dezember stattfinde­nden Parlaments­abstimmung keine Mehrheit für den Austritts-Deal zusammenbe­kommen. Bislang sieht alles nach einer Niederlage für die Regierungs­chefin – und damit die EU – aus. Doch drei Wochen sind in der britischen Politik fast schon eine Ewigkeit.

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Foto: dpa Theresa May erlebt die vielleicht härtesten Tage ihrer Amtszeit.

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