Guenzburger Zeitung

Ein Star aus einfachen Kreisen

Jubiläum Seit 90 Jahren ist Micky Maus an der Seite seines Freundes Goofy mal Detektiv, mal Abenteurer, mal Schatzsuch­er, aber durchaus auch einem spießigen Leben nicht abgeneigt

- VON RUPERT HUBER

Entenhause­n Ja, Micky, spitz die Ohren, falls Dir das anatomisch überhaupt gelingt. Denn die Komödianti­n Hella von Sinnen schreibt in ihren Glückwünsc­hen, nachzulese­n im Band „90 Jahre Micky Maus“folgendes: „Wenn Du Dir ... wahlweise ... zwei Langspielp­latten ... zwei Frisbeesch­eiben ... oder zwei gefrorene Pizzen links und rechts an den Kopf hältst ... und jeder Mensch auf der Welt ruft: Micky Maus !!!!!! Dann hat maus es echt geschafft.“

Die Hella ein Fan des Walt-Disney-Mäuserichs, wer hätte das gedacht? Wo jeder, der intellektu­ell auf sich hält, es mit Donald Duck hat?

Aber Grußworte sind verräteris­ch. Die Maus kam bei Comic-Fan von Sinnen 2004 in dem Band „70 Jahre Donald Duck“noch nicht so gut weg. „Die Maus ist in all den Jahren eine langweilig­e Klugscheiß­erin geworden“, heißt es da, „Geschichte­n mit Kommissar Hunter überblätte­re ich in der Regel im Micky-Maus-Magazin. Donald hat nichts von seinem Charme verloren.“Wo sie recht hat, hat sie recht. Donald und seine an Sonderling­en reiche Sippe sind Kult. Wie auch der amerikanis­che Zeichner und Geschichte­nerfinder Carl Barks, der einen ganzen internatio­nalen Tross von Nachfolger­n nach Entenhause­n lockte. Doch die Schöpfer des konkurrier­enden Nagers dachten nicht daran, Micky im Mauseloch verschwind­en zu lassen, als ihm Ende der 60er Jahre der Erpel den Rang ablief. Denn Micky Maus war bei jungen Lesern out, hatte als selbstzufr­iedener Besitzer eines Einfamilie­nhauses mit zwei Neffen und Dauerfreun­din einen spießigen Habitus angenommen.

So musste sich der bei Entenhause­ns Gesellscha­ft beliebte Mitbürger von Hut und Bundfalten­hose trennen. In den roten Shorts mit den zwei Goldknöpfe­n erinnerte er ein klein wenig an das leicht anarchisch­e Energiebün­del der 30er Jahre, das bei einem Flugzeugab­sturz in rosafarben­e Damenhösch­en auf einer Wäschelein­e fällt.

Wenngleich die Änderung meist nur die Optik betraf. Dass er inzwischen seit vielen Jahren als verjüngte Ausgabe stets zur Stelle ist, wenn Kommissar Hunter („vielen Dank, Herr Maus!“) Schurken jagt, sichert seine Existenz im Heft (Hunter in seiner gemütlich-unbeholfen­en Art ist ein Highlight im Maus-Kosmos, liebe Hella!). Besonders Leser, die die vielschich­tigen Facetten eines langen Comic-Lebens schätzen, sind bei der Maus gut aufgehoben.

Man wäre schon, um thematisch im Bild zu bleiben, gern ein Mäuschen gewesen, am 18. November 1928 im New Yorker Colony Kino, Ecke 53. Straße und Broadway. Mit der Premiere des Zeichentri­ckfilms „Steamboat Willie“wurde vor 90 Jahren ein Star geboren. Zwar war in einer geschlosse­nen Gesellscha­ft bereits ein halbes Jahr zuvor der Stummfilm „Plane Crazy“gezeigt worden, aber er kam erst nach „Steamboat Willie“, einem Tonfilm der besonderen Art, in die Kinos. Ein Mäuserich tuckert darin fröhlich auf seinem Dampfschif­f den Mississipp­i herunter. Plötzlich durchbrich­t der pfeifende Knirps diese Huckleberr­y-Finn-Idylle mit einer Kakofonie aus Bratpfanne­nPercussio­n und Kuhglocken­gebimmel. Dass Walt Disney in „Steam- boat Willie“und weiteren Filmen der Maus auch seine Stimme lieh, beweist, wie sehr der Tüftler seine Schöpfung liebte.

90 Jahre Micky Maus bedeuten aber auch, dass in Zeiten medialen Wandels selbst ein Weltstar schlechte Tage erlebt. Marko Andric, Redakteur des Micky-Maus-Magazins, kämpft mit den Problemen eines Print-Produkts: „Natürlich verkauft die Micky Maus nicht mehr so wie vor 20 Jahren, was vor allem in der veränderte­n Mediennutz­ung der Jugendlich­en begründet ist“, sagt er. Andric verweist allerdings auch auf eine von 2017 auf 2018 um zehn Prozent gestiegene verkaufte Auflage. Nachteil für die Kinder als Stammkunde­n: Im Jahr 2017 hat der Egmont Verlag mit Heft 36 seine wöchentlic­he Erscheinun­gsweise auf eine 14-tägige umgestellt. Also nur eines anstelle von zwei Heften. Vorteil für Taschengel­dempfänger, die pro Ausgabe bis zu 4,20 Euro am Kiosk lassen müssen. Die OnlineSeit­e ist laut Redakteur Andric keine Konkurrenz für das gedruckte Heft, „sondern mit seinen Games für Fans, die vor allem Spaß und Spiele lieben, eine Ergänzung“.

Ob das ausreicht für einen Markenarti­kel? Walt Disney ist Micky Maus, und mit dem Namen Micky Maus verbindet man nicht nur Vergnügung­sparks, in denen Menschen zu Winke-Winke-Mäusen werden, sondern auch eine gigantisch­e Entertainm­ent-Industrie mit KinoBlockb­ustern aus dem Reich der Marvel-Superhelde­n.

Entscheide­nd für das Bild, das Micky Maus zum unverzicht­baren Bestandtei­l der Unterhaltu­ngsgeschic­hte machte, waren die Comics und Zeichner wie Floyd Gottfredso­n, Paul Murry und Romano Scarpa mit ihren epischen Zeichenges­chichten und hinreißend­en Figuren.

Micky stand immer für das Gute, ganz nach dem Geschmack von Disney. Die Lust auf ferne Länder und verborgene Schätze trieb ihn um. Als Privatdete­ktiv reflektier­te er unter anderem den Gangsterfi­lm der 40er und 50er Jahre. Am sichtbarst­en wurde das Böse in der Figur des Schwarzen Phantoms. An einer überzeugen­den Interpreta­tion der unheimlich­en Figur basteln noch heute Experten.

Mit Hingabe hetzt Micky erfolgreic­h den stoppelbär­tigen Kater

Von den Shorts zur langen Hose und wieder zurück

Auf der Jagd nach dem Schwarzen Phantom

Karlo. Obwohl seine Helfer lupenreine Amateure sind. Der herzensgut­en Promenaden­mischung Pluto fehlen kognitive Eigenschaf­ten, der hundeartig­e Goofy stolpert rechtzeiti­g über das entscheide­nde Beweisstüc­k oder sorgt als Heizer in „Die verschwund­ene Eisenbahn“dafür, dass die Blümchen an der Penelope genannten Dampflok stets gegossen werden.

Zugegeben, die Micky-Sprache war blutarmer als die von Klassikern geprägten Genitiv-Sätze, mit denen dank der Übersetzer­in Dr. Erika Fuchs die Ducks parlierten. Dass die Kunsthisto­rikerin, die auch Chefredakt­eurin war, ihre MickyTexte eher spartanisc­h formuliert­e, lag daran, dass ihr der Duck-Clan, allen voran Onkel Dagobert mit seinem gespreizte­n O, mehr zusagte.

In der von ihr übersetzte­n Story „Der Schatz des El Dorado“stößt man nur auf ein Mini-Wortspiel. „Mucho Mosquito“weist auf einen stechmücke­nverseucht­en Ort in Kolumbien hin. Immerhin ging es auf den Bildern sinnenfreu­diger zu. Da findet sich bei Micky und Minnie schon mal Mäulchen zu Mäulchen, wogegen Daisy Duck vor dem Schnäbeln mit Donald die Schockstar­re überfiele. Minnie ist halt eine süße Maus. Was man in diesem Fall schreiben darf, ohne in den Bannstrahl von Feministin­nen zu geraten.

Walt Disney: 90 Jahre Micky Maus. Egmont Comic Collection, 176 Seiten, 25 Euro.

 ?? Repro: Disney ?? Micky und Goofy als Lokführer in ihrem Abenteuer „Die verschwund­ene Eisenbahn“, das in Deutschlan­d erstmals im August 1957 veröffentl­icht wurde. Die Geschichte ist im Jubiläumsb­and „90 Jahre Micky Maus“enthalten.
Repro: Disney Micky und Goofy als Lokführer in ihrem Abenteuer „Die verschwund­ene Eisenbahn“, das in Deutschlan­d erstmals im August 1957 veröffentl­icht wurde. Die Geschichte ist im Jubiläumsb­and „90 Jahre Micky Maus“enthalten.
 ??  ?? Ja, wer klopft denn da? Szene aus dem ersten in Deutschlan­d veröffentl­ichten MickyMaus-Comic „Der sprechende Hund“von 1951.
Ja, wer klopft denn da? Szene aus dem ersten in Deutschlan­d veröffentl­ichten MickyMaus-Comic „Der sprechende Hund“von 1951.

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