Ein Star aus einfachen Kreisen
Jubiläum Seit 90 Jahren ist Micky Maus an der Seite seines Freundes Goofy mal Detektiv, mal Abenteurer, mal Schatzsucher, aber durchaus auch einem spießigen Leben nicht abgeneigt
Entenhausen Ja, Micky, spitz die Ohren, falls Dir das anatomisch überhaupt gelingt. Denn die Komödiantin Hella von Sinnen schreibt in ihren Glückwünschen, nachzulesen im Band „90 Jahre Micky Maus“folgendes: „Wenn Du Dir ... wahlweise ... zwei Langspielplatten ... zwei Frisbeescheiben ... oder zwei gefrorene Pizzen links und rechts an den Kopf hältst ... und jeder Mensch auf der Welt ruft: Micky Maus !!!!!! Dann hat maus es echt geschafft.“
Die Hella ein Fan des Walt-Disney-Mäuserichs, wer hätte das gedacht? Wo jeder, der intellektuell auf sich hält, es mit Donald Duck hat?
Aber Grußworte sind verräterisch. Die Maus kam bei Comic-Fan von Sinnen 2004 in dem Band „70 Jahre Donald Duck“noch nicht so gut weg. „Die Maus ist in all den Jahren eine langweilige Klugscheißerin geworden“, heißt es da, „Geschichten mit Kommissar Hunter überblättere ich in der Regel im Micky-Maus-Magazin. Donald hat nichts von seinem Charme verloren.“Wo sie recht hat, hat sie recht. Donald und seine an Sonderlingen reiche Sippe sind Kult. Wie auch der amerikanische Zeichner und Geschichtenerfinder Carl Barks, der einen ganzen internationalen Tross von Nachfolgern nach Entenhausen lockte. Doch die Schöpfer des konkurrierenden Nagers dachten nicht daran, Micky im Mauseloch verschwinden zu lassen, als ihm Ende der 60er Jahre der Erpel den Rang ablief. Denn Micky Maus war bei jungen Lesern out, hatte als selbstzufriedener Besitzer eines Einfamilienhauses mit zwei Neffen und Dauerfreundin einen spießigen Habitus angenommen.
So musste sich der bei Entenhausens Gesellschaft beliebte Mitbürger von Hut und Bundfaltenhose trennen. In den roten Shorts mit den zwei Goldknöpfen erinnerte er ein klein wenig an das leicht anarchische Energiebündel der 30er Jahre, das bei einem Flugzeugabsturz in rosafarbene Damenhöschen auf einer Wäscheleine fällt.
Wenngleich die Änderung meist nur die Optik betraf. Dass er inzwischen seit vielen Jahren als verjüngte Ausgabe stets zur Stelle ist, wenn Kommissar Hunter („vielen Dank, Herr Maus!“) Schurken jagt, sichert seine Existenz im Heft (Hunter in seiner gemütlich-unbeholfenen Art ist ein Highlight im Maus-Kosmos, liebe Hella!). Besonders Leser, die die vielschichtigen Facetten eines langen Comic-Lebens schätzen, sind bei der Maus gut aufgehoben.
Man wäre schon, um thematisch im Bild zu bleiben, gern ein Mäuschen gewesen, am 18. November 1928 im New Yorker Colony Kino, Ecke 53. Straße und Broadway. Mit der Premiere des Zeichentrickfilms „Steamboat Willie“wurde vor 90 Jahren ein Star geboren. Zwar war in einer geschlossenen Gesellschaft bereits ein halbes Jahr zuvor der Stummfilm „Plane Crazy“gezeigt worden, aber er kam erst nach „Steamboat Willie“, einem Tonfilm der besonderen Art, in die Kinos. Ein Mäuserich tuckert darin fröhlich auf seinem Dampfschiff den Mississippi herunter. Plötzlich durchbricht der pfeifende Knirps diese Huckleberry-Finn-Idylle mit einer Kakofonie aus BratpfannenPercussion und Kuhglockengebimmel. Dass Walt Disney in „Steam- boat Willie“und weiteren Filmen der Maus auch seine Stimme lieh, beweist, wie sehr der Tüftler seine Schöpfung liebte.
90 Jahre Micky Maus bedeuten aber auch, dass in Zeiten medialen Wandels selbst ein Weltstar schlechte Tage erlebt. Marko Andric, Redakteur des Micky-Maus-Magazins, kämpft mit den Problemen eines Print-Produkts: „Natürlich verkauft die Micky Maus nicht mehr so wie vor 20 Jahren, was vor allem in der veränderten Mediennutzung der Jugendlichen begründet ist“, sagt er. Andric verweist allerdings auch auf eine von 2017 auf 2018 um zehn Prozent gestiegene verkaufte Auflage. Nachteil für die Kinder als Stammkunden: Im Jahr 2017 hat der Egmont Verlag mit Heft 36 seine wöchentliche Erscheinungsweise auf eine 14-tägige umgestellt. Also nur eines anstelle von zwei Heften. Vorteil für Taschengeldempfänger, die pro Ausgabe bis zu 4,20 Euro am Kiosk lassen müssen. Die OnlineSeite ist laut Redakteur Andric keine Konkurrenz für das gedruckte Heft, „sondern mit seinen Games für Fans, die vor allem Spaß und Spiele lieben, eine Ergänzung“.
Ob das ausreicht für einen Markenartikel? Walt Disney ist Micky Maus, und mit dem Namen Micky Maus verbindet man nicht nur Vergnügungsparks, in denen Menschen zu Winke-Winke-Mäusen werden, sondern auch eine gigantische Entertainment-Industrie mit KinoBlockbustern aus dem Reich der Marvel-Superhelden.
Entscheidend für das Bild, das Micky Maus zum unverzichtbaren Bestandteil der Unterhaltungsgeschichte machte, waren die Comics und Zeichner wie Floyd Gottfredson, Paul Murry und Romano Scarpa mit ihren epischen Zeichengeschichten und hinreißenden Figuren.
Micky stand immer für das Gute, ganz nach dem Geschmack von Disney. Die Lust auf ferne Länder und verborgene Schätze trieb ihn um. Als Privatdetektiv reflektierte er unter anderem den Gangsterfilm der 40er und 50er Jahre. Am sichtbarsten wurde das Böse in der Figur des Schwarzen Phantoms. An einer überzeugenden Interpretation der unheimlichen Figur basteln noch heute Experten.
Mit Hingabe hetzt Micky erfolgreich den stoppelbärtigen Kater
Von den Shorts zur langen Hose und wieder zurück
Auf der Jagd nach dem Schwarzen Phantom
Karlo. Obwohl seine Helfer lupenreine Amateure sind. Der herzensguten Promenadenmischung Pluto fehlen kognitive Eigenschaften, der hundeartige Goofy stolpert rechtzeitig über das entscheidende Beweisstück oder sorgt als Heizer in „Die verschwundene Eisenbahn“dafür, dass die Blümchen an der Penelope genannten Dampflok stets gegossen werden.
Zugegeben, die Micky-Sprache war blutarmer als die von Klassikern geprägten Genitiv-Sätze, mit denen dank der Übersetzerin Dr. Erika Fuchs die Ducks parlierten. Dass die Kunsthistorikerin, die auch Chefredakteurin war, ihre MickyTexte eher spartanisch formulierte, lag daran, dass ihr der Duck-Clan, allen voran Onkel Dagobert mit seinem gespreizten O, mehr zusagte.
In der von ihr übersetzten Story „Der Schatz des El Dorado“stößt man nur auf ein Mini-Wortspiel. „Mucho Mosquito“weist auf einen stechmückenverseuchten Ort in Kolumbien hin. Immerhin ging es auf den Bildern sinnenfreudiger zu. Da findet sich bei Micky und Minnie schon mal Mäulchen zu Mäulchen, wogegen Daisy Duck vor dem Schnäbeln mit Donald die Schockstarre überfiele. Minnie ist halt eine süße Maus. Was man in diesem Fall schreiben darf, ohne in den Bannstrahl von Feministinnen zu geraten.
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Walt Disney: 90 Jahre Micky Maus. Egmont Comic Collection, 176 Seiten, 25 Euro.