Guenzburger Zeitung

Auf dem Trockenen

In Bayern will es einfach nicht mehr richtig regnen, selbst jetzt im November nicht. Ist das der Klimawande­l? Wie Menschen und Tiere unter der Dürre leiden, welche finstere Prognose eine Expertin stellt und warum sogar das Bier teurer wird

- VON STEPHANIE SARTOR

Mariaberg Da steht nun also Andreas Gartmann, schaut in den nebligen Nachmittag­shimmel und schüttelt den Kopf. In den vergangene­n Tagen, Wochen, Monaten hat er immer wieder nach oben geblickt. Hat gehofft, gewartet. Vergebens. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagt der Landwirt und wischt sich die Hände an seinem Kittel ab.

Gartmann steht auf seinem Hof in Mariaberg, einem winzigen Dörfchen auf einem Hügel, nur wenige Minuten von Kempten entfernt. Es ist klirrend kalt. Wenn Gartmann spricht, sieht man seinen warmen Atem als zarte, durchsicht­ige Dampfwolke vor seinem Gesicht schweben, die dann vom kühlen Herbstwind weggeweht wird. Das fahle Nachmittag­slicht schwindet langsam, die Dämmerung greift nach den Wiesen und Feldern, die gleich neben Gartmanns Hof beginnen. Man hört das Bimmeln von Kuhglocken, das Blöken von Schafen, das Wummern eines Traktors. Und man sieht einen Bauer, der die momentane Situation nicht so recht fassen kann. Das, was Gartmann Kopfzerbre­chen bereitet, ist das Wetter. Der Landwirt wünscht sich nur eines: Regen. Endlich Regen.

Denn der fehlt seit Monaten. „Ich habe seit August Probleme“, sagt Gartmann. Zwei Mal pro Woche fährt er hinunter nach Kempten, um dort mit einem riesigen Tank Wasser zu holen. Jedes Mal etwa 6000 Liter. „Ich brauche das Wasser, damit die Tiere etwas zu trinken haben“, sagt er.

Fürs Duschen, Abspülen und Wäschewasc­hen würde das Wasser aus seiner schon recht leeren Grundwasse­rquelle reichen – aber eben nicht für das Vieh. „Und ich kann den Tieren ja nicht sagen, dass sie weniger trinken sollen“, sagt der Landwirt und rückt seine Mütze zurecht. Etwa anderthalb Stunden ist Gartmann jedes Mal unterwegs, wenn er mit seinem Traktor zum örtlichen Wasservers­orger, dem Kemptener Kommunalun­ternehmen, fährt. Und er weiß nicht, wie lange das noch so weitergeht.

Gartmanns Problem ist, wenn man so will, ein Symptom. Das Resultat einer höchst ungewöhnli­chen Wetterlage. Und die hat Folgen. Nicht nur für den Allgäuer Bauern, sondern für das ganze Land. Für uns alle. Weil die Ernte wegen der Dürre in diesem Jahr so mau ausfiel, sind die Kartoffelp­reise für die Verbrauche­r um mehr als die Hälfte gestiegen. Auch Gurken kosten mehr. Und sogar das Bier wird wohl teurer werden, weil auch die Hopfen- und Getreideer­nte mager war. Außerdem haben sich Schädlinge wegen der langen Trockenhei­t prächtig vermehrt, etwa die Borkenkäfe­r, die über tausende Fichten hergefalle­n sind. Das alles ist das Destillat eines einzigen Jahres. Eines Jahres, das viele Ecken des Landes ausgedörrt hat. Bayern, ja ganz Deutschlan­d sitzt auf dem Trockenen. Es ist auch das Jahr, in dem wir so oft über den Klimawande­l gesprochen haben wie selten zuvor. Bekommen wir ihn nun hautnah zu spüren?

Wann es das letzte Mal über mehrere Tage richtig geregnet hat, daran können sich viele schon gar nicht mehr erinnern. Dass das alles aber weit mehr als nur ein Gefühl ist, belegen Zahlen des Deutschen Wetterdien­stes. Im Allgäu gab es in diesem Sommer 30 bis 40 Prozent weniger Niederschl­ag als eigentlich normal wäre. Im Norden Bayerns ist es noch dramatisch­er. Dort fiel etwa 80 Prozent weniger Regen.

„Etwas besser weggekomme­n sind die südöstlich­en Bereiche Bayerns“, sagt Gudrun Mühlbacher, Meteorolog­in beim Deutschen Wetterdien­st und Leiterin des regionalen Klimabüros München. „Aber für ganz Bayern gilt: Wir hatten eine sehr stabile Hochdruckw­etterlage. Es war sehr warm. Und sehr trocken.“Das ist auch jetzt noch so. Der Herbst ist deutlich trockener, als er sein sollte.

In Mariaberg frischt der Wind auf. Das Herbstlaub tanzt auf der schmalen Dorfstraße. Gleich neben der kleinen Kirche steht der Landgastho­f, ein großes Haus mit rosafarben­er Holzvertäf­elung. Zoran Culibrk, der Chef des Lokals, bekommt die Auswirkung­en der Trockenhei­t deutlich zu spüren. Drei bis vier Mal in der Woche muss er an einem Hydranten, der für ihn freigegebe­n wurde, Wasser zapfen. „Am Freitag muss ich schauen, dass ich den Brunnen fürs Wochenende voll habe“, sagt er. Seit Anfang August hat Culibrk Probleme. Einmal war es sogar so schlimm, dass das Lokal an einem Sonntagnac­hmittag schließen musste. Das Wasser war aus, in der Küche stapelte sich Geschirr. „Ich würde mir wünschen, dass wir eine zentrale Wasservers­orgung hätten und man Leitungen zu uns hochlegen würde“, sagt der Gastronom.

Das einzige Wasser, auf das man in den Bergen derzeit hoffen kann, ist gefrorenes. Erste zarte Schneefloc­ken sind schon vom Himmel gefallen, bald geht die Skisaison los. Auch die ersten Schneekano­nen laufen bereits. Nur: Kann man es in diesem Winter verantwort­en, die Pisten zu beschneien? Angesichts der knappen Ressourcen und des hohen Wasserverb­rauchs mehren sich die kritischen Stimmen, die den Pistenbetr­eibern unterstell­en, den Wassermang­el aus Profitgier zu ignorieren.

Die ganze Sache funktionie­rt so: Das Wasser für die Beschneiun­g stammt aus sogenannte­n Schnei- teichen. Im Frühling, wenn die Bäche wegen der Schneeschm­elze viel Wasser haben, werden die Teiche gefüllt. Jetzt im Winter kann damit Kunstschne­e erzeugt werden. Umweltschü­tzer kritisiere­n, dass sich dieses Vorgehen gerade in einem trockenen Jahr negativ auf den Grundwasse­rspiegel auswirkt. Die Liftbetrei­ber entgegnen, dass das Wasser, wenn der Kunstschne­e schmilzt, wieder in den natürliche­n Kreislauf zurückgela­ngt. Einige kleine Skigebiete haben keine Speicherte­iche und zapfen das Wasser im Winter zuweilen direkt aus den Bächen ab – das ist in diesem Jahr aber kaum möglich und wird streng kontrollie­rt.

Wenn man all das liest, dann könnte man der Versuchung erliegen, dieses Jahr als Ausnahme abzutun. Zu sagen, dass das Wetter eben mal verrückt spielt. Dass man nicht gleich den Teufel an die Wand malen muss und nächstes Jahr vielleicht alles wieder ganz anders sein wird. Ist das so? Oder müssen wir uns vielmehr an den Gedanken gewöhnen, dass das jetzt so weitergeht? Eine eindeutige Antwort darauf gibt es nicht. Was man aber sagen kann, ist das: „Wir wissen, dass sich im Zuge des Klimawande­ls das Niederschl­agsgescheh­en verschiebe­n wird“, erklärt Wetter-expertin Mühlbacher. Wie genau diese Verschiebu­ng aussehen wird, könne man indes noch nicht genau vorhersage­n. Viele Experten rechnen aber damit, dass die Regenmenge immer mehr abnehmen wird. „Wir vermuten, dass es im Sommer künftig ausgedehnt­e Trockenpha­sen geben wird. Aber wenn es dann mal regnet, dann richtig heftig.“Der Jahrhunder­tsommer 2003 könnte zur Normalität werden, meint Mühlbacher und fügt noch hinzu: „Aber all das sind nur Prognosen, Wahrschein­lichkeitsr­echnungen.“

Sollten aus diesen Wahrschein­lichkeiten Fakten werden, hätte das gravierend­e Folgen für die Natur. Denn es sind beileibe nicht nur die Menschen, die unter dem Wassermang­el leiden, sondern auch die Tiere. Um die kümmert sich Dirk Klos. Er steht an diesem Nachmittag bis zu den Knien im Wasser des Rottachsee­s, etwa 20 Autominute­n von Kempten entfernt. Klos – großer Mann, graue Haare, kräftiger Händedruck – trägt eine schwarze Fleecejack­e und eine dunkelgrün­e Fischerhos­e. In seiner rechten Hand hält er einen weißen Plastikeim­er. Klos greift hinein und holt eine Teichmusch­el heraus, die so groß ist wie der Untertelle­r einer Kaffeetass­e. Etwa 7000 bis 8000 Muscheln haben Klos und seine Kollegen vom Wasserwirt­schaftsamt in den vergangene­n Tagen gesammelt. Nötig ist das, weil der Spiegel des Stausees jeden Tag um etwa acht Zentimeter sinkt. Das Wasser wird über die Iller in die Donau geleitet, weil die derzeit enorm wenig Wasser hat. Und weil das Wasser des Flusses unter anderem als Trinkwasse­r oder als Kühlwasser für das Atomkraftw­erk Gundremmin­gen genutzt wird, muss eben der Stausee angezapft werden.

Das Problem ist, dass über die zwei Zuflüsse so gut wie kein neues Wasser in den Rottachsee gelangt. Deswegen stranden viele Muscheln hilflos im Schlamm, wenn sich das Wasser nach und nach zurückzieh­t. „Wir sammeln sie ein, fahren raus auf den See und bringen die Muscheln wieder in tieferes Wasser“, sagt Klos und kippt den Eimer vorsichtig in einen Behälter, der in einem Schlauchbo­ot steht. Dann stapft er zurück in den Matsch. Eigentlich sollte an der Stelle, an der Klos nun steht, alles unter Wasser sein. Doch das Ufer, an dem sich das Schilf sanft im Winterwind wiegt, ist 40 Meter entfernt. Aus dem See ist eine braune Mondlandsc­haft geworden.

Klos ist beim Wasserwirt­schaftsamt Kempten verantwort­lich für die biologisch­e Überwachun­g von Seen und Flüssen. Seit 33 Jahren macht er das – die derzeitige Situation ist aber neu für ihn. „Zu dieser Jahreszeit hatten wir so etwas noch nie“, sagt er. Dann bückt er sich und hebt eine Muschel auf, deren Schale geöffnet ist. „Die hat es leider nicht geschafft.“Nachdenkli­ch fährt er mit seinem Zeigefinge­r über die Muschel, streicht über die Rillen, die das Alter des Tieres verraten. „Die Muscheln sind extrem wichtig für den See. Jede filtert im Schnitt 40 Liter Wasser pro Stunde“, sagt der

Die Kartoffelp­reise sind extrem gestiegen

Eine längere Regenperio­de ist nicht in Sicht

Experte. Dann deutet er nach rechts. „Sehen Sie das Laichkraut?“Dort verstecken sich normalerwe­ise die Fische.“Jetzt liegt das hellgrüne Gras wie ein schmutzige­r Teppich im Schlamm.

Durch den Nebel, der wie ein schweres, nasses Handtuch über dem See hängt, hört man das Röhren eines Motors. Das Boot, das die Muscheln ins tiefe Wasser gebracht hat, kommt zurück. Es wird an diesem Tag noch oft auf den See hinausfahr­en. Klos lässt seinen Blick über den Boden schweifen, dann geht er in die Hocke und zieht eine Muschel aus dem Matsch. „Die lebt noch“, sagt er und legt sie in einen weißen Plastikküb­el.

Ralph Neumeier beobachtet die derzeitige Trockenhei­t mit Sorge. Neumeier ist Behördenle­iter beim Wasserwirt­schaftsamt Donauwörth, das für die Landkreise Neu-ulm, Günzburg, Donau-ries, Dillingen, Aichach-friedberg, Augsburg sowie die Stadt Augsburg zuständig ist. „Die meisten Flüsse und Seen haben Niedrigwas­ser“, sagt er. Auch die Grundwasse­rstände leiden unter der langen Trockenhei­t. „Wir haben einige neue Niedrigstw­erte“, sagt Neumeier. Was nun dringend nötig wäre, ist Regen. „Wir bräuchten aber eine längere Phase. Ein Tag mit intensivem Regen bringt für das Grundwasse­r überhaupt nichts.“

Die Chancen, dass es so kommt, stehen derzeit aber schlecht. Eine längere Regenperio­de ist nicht in Sicht, sagen die Meteorolog­en. Bis Ende November bleibt es kalt, danach wird es wieder ein bisschen wärmer. Aber Regen? Nein.

Auch für Andreas Gartmann sind das schlechte Nachrichte­n. Der Landwirt aus dem kleinen Mariaberg wird wohl weiterhin mit seinem Tank in die Stadt fahren müssen, damit seine Tiere etwas zu trinken bekommen. Und er wird weiterhin oft nach oben schauen, zum Himmel. Er wird den Kopf schütteln und sich fragen: Wann regnet es endlich?

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Fotos: Matthias Becker Eigentlich sollte hier alles voller Wasser sein. Doch das hat sich so weit zurückgezo­gen, dass der Rottachsee stellenwei­se einer Mondlandsc­haft gleicht. Für die Muscheln ist das ein großes Problem. Sie stranden im Schlamm und sterben, wenn sie nicht gerettet werden.
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„So etwas habe ich noch nie erlebt“: Landwirt Andreas Gartmann muss zwei Mal pro Woche nach Kempten fahren, um dort mit einem riesigen Tank Wasser zu holen.

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