Guenzburger Zeitung

„Alleine kann das kein Land lösen“

Generaldeb­atte Bundeskanz­lerin Angela Merkel wirbt im Bundestag mit kämpferisc­hen Worten für die Annahme des UN-Migrations­paktes. Aber AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel beschäftig­t sich vorrangig mit der eigenen Spendenaff­äre

- VON MARTIN FERBER

Berlin An Erfahrung mangelt es Angela Merkel wahrlich nicht. Schon als Opposition­sführerin lieferte sich die damalige CDU/CSU-Fraktionsc­hefin in den traditione­llen Generaldeb­atten, dem traditione­llen Höhepunkt der Haushaltsb­eratungen, so manchen hitzigen Schlagabta­usch mit dem damaligen SPD-Bundeskanz­ler Gerhard Schröder. Und seit ihrer Wahl zur Bundeskanz­lerin vor genau 13 Jahren hatte sie es immer wieder mit durchaus redegewand­ten und schlagfert­igen Opposition­sführern wie Sigmar Gabriel von der SPD, Guido Westerwell­e von der FDP und Gregor Gysi von der Linken zu tun. Das prägt.

Und so braucht Angela Merkel bei der Generaldeb­atte an diesem Mittwoch nur einen einzigen Satz, um auf den Auftritt von Alice Weidel, die als Fraktionsc­hefin der AfD die knapp vierstündi­ge Aussprache eröffnet, zu reagieren und deren Attacken ins Leere laufen zu lassen. „Das Schöne an freiheitli­chen Debatten ist, dass jeder über das spricht, was er für das Land für wichtig hält“, sagt sie kurz angebunden – und erntet damit tosenden Applaus aus den eigenen Reihen.

Denn Weidel hat nicht, wie es der Tradition entspricht, als Opposition­sführerin die Politik der Kanzlerin und ihrer Regierung ins Zentrum ihrer Rede gestellt, sondern die gegen sie erhobenen Vorwürfe, illegale Spenden aus der Schweiz angenommen zu haben. Eine Rede in eigener Sache sozusagen, eine reine Selbstvert­eidigung. „Ja, es gab Fehler im Umgang mit Parteispen­den“, räumt Weidel ein. „Richtig ist aber auch, dass sich niemand persönlich bereichert hat, es wurde nicht versucht, etwas zu verschleie­rn.“Und dann holt Weidel weit aus, greift Union und SPD wegen diverser Spendenaff­ären an, erinnert an die schwarzen Kassen von Helmut Kohl und die angebliche­n „jüdischen Vermächtni­sse“der Hessen-CDU und prangert dubiose Großspende­n der Rüstungsin­dustrie an. In der AfD habe es dagegen „keine Bargeldkof­fer gegeben, die hin- und hergetrage­n wurden und deren Inhalt in Schubladen verschwund­en Da jubelt die AfD-Fraktion – und Co-Fraktionsc­hef Alexander Gauland umarmt sie nach der Rede demonstrat­iv.

Merkel geht, bis auf die kurze spitze Bemerkung zu Beginn, darauf nicht ein und stellt zwei Themen in den Mittelpunk­t ihrer halbstündi­gen Rede: die Herausford­erungen durch die Digitalisi­erung und den umstritten­en UN-Migrations­pakt. Bei ihrem letzten Auftritt als CDUVorsitz­ende gibt sich die Bundeskanz­lerin äußerst kämpferisc­h und verteidigt den Migrations­pakt gegen alle Kritiker, auch in den eigenen Reihen, angeführt von ihrem Gesundheit­sminister Jens Spahn. Daist“. bei schlägt sie einen weiten Bogen und erinnert an das Ende des Ersten Weltkriegs vor genau 100 Jahren. „Haben wir aus der Geschichte gelernt?“, fragt sie. Bald schon werde die Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde, alleine sein, dann gebe es keine Zeitzeugen mehr, die an die Schrecken des Krieges erinnerten. „Die Lehren des Zweiten Weltkriegs waren es, eine multilater­ale Ordnung zu schaffen und gemeinsam als Weltgemein­schaft die Dinge zu klären.“

Die Vereinten Nationen seien demokratis­ch legitimier­t, das gelte auch für den Migrations­pakt. Dieser sei „der richtige Antwortver­such“, globale Probleme internatio­nal zu lösen. Gerade die Flüchtling­skrise habe gezeigt, wie falsch es ist zu glauben, „irgendein Land könnte das alleine lösen“. Der Migrations­pakt sei rechtlich nicht bindend, schaffe aber die Grundlagen, die Bedingunge­n für Flüchtende und Migranten zu verbessern. Da lachen die Mitglieder der AfD-Fraktion – doch Merkel knöpft sich umgehend die Nationalko­nservative­n vor: Wer glaube, er könne alles alleine lösen und müsse nur an sich denken, stehe

„Patriotism­us ist, wenn man im deutschen Interesse auch andere mit einbezieht und Win-win-Situatione­n akzeptiert.“

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU)

für Nationalis­mus in reinster Form. „Das ist kein Patriotism­us. Denn Patriotism­us ist, wenn man im deutschen Interesse auch andere mit einbezieht und Win-win-Situatione­n akzeptiert.“

Danach fällt die Generaldeb­atte in das traditione­lle Muster zurück. SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles und ihr neuer Unionskoll­ege Ralph Brinkhaus verteidige­n die Regierungs­politik. Dagegen stellen Christian Lindner (FDP), Sahra Wagenknech­t von der Linken und Anton Hofreiter (Grüne) der Regierung ein schlechtes Zeugnis aus. Lindner warnt: Was beim Freihandel­sabkommen TTIP geschehen sei, das einst von der politische­n Linken kaputt gemacht wurde, dürfe sich beim UN-Migrations­pakt nicht durch die politische Rechte wiederhole­n. Und direkt an Angela Merkel und Horst Seehofer gewandt: „Sie haben erkannt, dass Ihre Parteien Erneuerung brauchen. Was für die Parteien gilt, kann für das Land nicht falsch sein.“

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Foto: Michael Kappeler, dpa In diesem Fall ist Bundeskanz­lerin Angela Merkel eine Abgeordnet­e wie all die anderen um sie herum: Sie muss warten, bis die namentlich­e Abstimmung im Bundestag eröffnet ist und sie ihre Stimmkarte einwerfen kann.

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