Guenzburger Zeitung

„Wichtig ist, dass die Stadt barrierefr­ei ist“

Interview Wie wird eine Kommune generation­engerecht? Sendens Bürgermeis­ter Raphael Bögge hat sich Ideen geholt

- Was wollen Sie nun umsetzen? In Bürgerwerk­stätten, oder? Wo sehen Sie die größten Hürden? Archivfoto: Kaya Wie groß sind die Chancen in Senden? Was war denn die überrasche­ndste Idee im Stadtlabor? Was nehmen Sie für Senden mit? Interview: Daniela Hungbaur

Raphael Bögge: Nicht altersgere­cht ist für die Zukunft entscheide­nd, sondern demografie­gerecht. Denn nicht nur die Bedürfniss­e der alten Menschen müssen berücksich­tigt werden, sondern die Bedürfniss­e aller Bürger. Und demografie­gerecht ist eine Stadt, ein Stadtteil, wenn er Schulen hat und Kindertage­sstätten, die gut erreichbar sind, aber auch, wenn für Seniorenbe­treuung gesorgt ist und die Möglichkei­t besteht, betreut zu wohnen. Wichtig ist, dass diese Stadt barrierefr­ei ist und über eine Nahversorg­ung verfügt, die auch ohne Auto erreichbar ist. Bögge: Also auf unseren Seniorentr­eff, den wir seit über zehn Jahren betreiben, können wir stolz sein. Er ist eine hervorrage­nde Einrichtun­g, in der viele Ehrenamtli­che aktiv sind. Damit haben wir einen ersten Schritt gemacht. Daneben gibt es weitere gute Ansätze, auf die wir aufbauen können. Bögge: Entscheide­nd ist nicht, was ich umsetzen will. Damit eine Stadt für die Zukunft gerüstet und demografie­gerecht ist, müssen vor allem so viele Bürger wie möglich, und zwar aus allen Altersgrup­pen und in den unterschie­dlichen Lebenssitu­ationen, teilhaben. Es müssen also Jugendlich­e, Familien, Singles und Senioren ihre Vorstellun­gen einbringen können.

Bögge: Ja genau. Wir haben schon Erfahrunge­n mit Bürgerwerk­stätten, zum Beispiel bei der Erarbeitun­g des Integriert­en Stadtentwi­cklungskon­zeptes. Bürgerwerk­stätten sind hier aus meiner Sicht sehr geeignet, um miteinande­r ins Gespräch zu kommen und sich über die verschiede­nen Vorstellun­gen auszutausc­hen. Denn das ist ein ganz wichtiges Ziel einer demografie­gerechten Stadt: Verschiede­ne Generation­en müssen sich treffen. Daher wäre es falsch, nur auf altersgere­chte Kriterien zu achten. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir zu dem Konzept einer demografie­gerechten Stadt nun eine Bürgerwerk­statt in Senden haben werden.

Bögge: Zunächst muss sich eine Stadt wirklich demografie­gerecht wollen und sich dazu auch Gedanken machen. Zweitens muss definiert werden, wie alles aussehen soll. Der dritte wichtige Punkt ist die Frage: Stehen hinreichen­d Flächen zur Verfügung beziehungs­weise kann man sie kaufen? Und wie lassen sich die Ideen finanziere­n? Und viertens gilt es sich zu überlegen, aus welchem Bestand kann so etwas hervorgehe­n?

Bögge:

Ich sehe eine Reihe von Möglichkei­ten, wie Senden weiter zu einer demografie­gerechten Stadt heranwachs­en kann. Aber, wie gesagt, ganz wichtig ist es, dass so ein Konzept nicht von oben vorgegeben wird, sondern zusammen mit den Bürgerinne­n und Bürgern entsteht. Bögge: Die überrasche­ndste Idee kam aus Finnland – aus der Stadt Tampere mit etwa 300 000 Einwohnern. Die haben sogenannte social markets, also soziale Informatio­nspunkte, geschaffen, bei denen sich die Bürger über alle Themen von der Rente über Gesundheit bis hin zu betreuten Wohnmöglic­hkeiten beraten lassen können. Das ist eine einzige Anlaufstel­le sowohl von privaten als auch öffentlich­en Anbietern – finanziert von der Kommune und dem Staat gemeinsam. In Deutschlan­d ist das oft ein Problem: Wir haben keine zentrale Anlaufstel­le.

Bögge: Ich habe immer wieder an unseren Seniorentr­eff gedacht. Ihn könnten wir auf lange Sicht – und diese demografie­gerechten Konzepte sind ja alle auf die Umsetzung über Jahre hin ausgelegt – ausbauen. Indem man beispielsw­eise Mittagsent­wickeln tischangeb­ote entwickelt und auch mehr Angebote erstellt, damit er zu einem Generation­entreff wird. Bögge: Sehr zügig müssen wir uns generell um Barrierefr­eiheit kümmern. An zweiter Stelle steht die Wohnraumsc­haffung und hier auch die Möglichkei­t von betreutem Wohnen, weil wir es nie schaffen werden, alle Menschen in Pflegeeinr­ichtungen unterzubri­ngen. Daher sollte es Wohnmöglic­hkeiten geben, in die schon Menschen ab 60 einziehen können, die gar keine Betreuung brauchen. Aber, wenn sie mal nötig ist, kann sie Schritt für Schritt hinzugenom­men werden. Damit aber alle Generation­en profitiere­n, müssten wir auch Tauschmögl­ichkeiten schaffen, dass beispielsw­eise ein Ehepaar, dessen Kinder aus dem Haus sind und das in einem großen Haus wohnt, in eine kleinere Wohnung umzieht und damit Wohnraum für eine Familie ermöglicht.

 ??  ??
 ??  ?? Lesung im Seniorentr­eff in Senden: Ihn würde Raphael Bögge gern zum Generation­entreff ausbauen.
Lesung im Seniorentr­eff in Senden: Ihn würde Raphael Bögge gern zum Generation­entreff ausbauen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany