Guenzburger Zeitung

„Nur eine schöne Synagoge, das geht nicht“

Interview Heute findet zum 30. Mal die Tagung zur Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben statt. Bezirkshei­matpfleger Peter Fassl hat sie ins Leben gerufen – und erinnert sich an Widerständ­e und lebhafte Debatten

- Interview: Stefan Dosch

Herr Fassl, knapp drei Jahrzehnte sind vergangen, seitdem die Tagungsrei­he zur „Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben“ihren Anfang genommen hat. Was gab Ende der 1980er Jahre den Anstoß zur Gründung dieser Reihe?

Peter Fassl: Das waren mehrere Punkte. Zunächst ein persönlich­er: Ich habe neben Geschichte auch Theologie studiert, mit dem Schwerpunk­t Bibelwisse­nschaft, und das Judentum ist ein wichtiger Schlüssel zum Verständni­s der biblischen Schriften. Ein anderer Grund war, dass eines der ersten großen Ereignisse für mich als Heimatpfle­ger des Bezirks Schwaben 1987 die Einweihung der restaurier­ten Synagoge in Ichenhause­n gewesen ist. Später war ich als Heimatpfle­ger dann noch mit weiteren Synagogen-Restaurier­ungen – Hainsfarth und Binswangen – beschäftig­t.

Deshalb haben Sie sich näher mit dem Judentum in Schwaben befasst.

Fassl: Als ich 1989 einen Lehrauftra­g an der Augsburger Universitä­t zur Geschichte der Juden bekam, habe ich festgestel­lt, dass die wissenscha­ftliche Situation bezüglich der Juden in Schwaben abgebroche­n war durch Vertreibun­g und Vernichtun­g. Weil ich dieses Defizit sah, wollte ich mithelfen bei der Rekonstruk­tion der jüdischen Geschichte – auch in Verantwort­ung dessen, was während der NS-Zeit geschehen ist. Als Heimatpfle­ger habe ich eine zentrale Aufgabe darin gesehen, mich mit dieser Geschichte auseinande­rzusetzen. So kam es zur Etablierun­g der Tagung, die aber auch nur möglich war, weil mich die Schwabenak­ademie in Irsee von Anfang an unterstütz­te in räumlicher wie in finanziell­er Hinsicht.

Als die erste Tagung stattfand, waren bereits mehr als 40 Jahre seit dem Untergang des NS-Regimes vergangen. Hat in dieser Zeit denn kein Interesse an der Geschichte der schwäbisch­en Juden bestanden?

Fassl: Es gab in dieser Zeit einen einzigen ernsthafte­n Forscher, Reinhard Seitz, den ehemaligen Direktor des Staatsarch­ivs für Schwaben, der in einer maßgeblich­en wissenscha­ftlichen Reihe eine Abhandlung über Juden in schwäbisch­en Dörfern geschriebe­n hatte. Dazu kamen noch die hoch verdienstv­ollen Bücher von Gernot Römer, dem früheren Chefredakt­eur der Augsburger Allgemeine­n, der in ebenso sorgfältig recherchie­rter wie öffentlich­keitswirks­amer Weise über den Leidensweg der Juden in Schwaben schrieb, aber begrenzt auf ihre Geschichte im 20., teilweise im 19. Jahrhunder­t. Aus meiner Sicht bestand damals eine ganz große Lücke zu dem Thema. ist dann ab den neunziger Jahren maßgeblich gefüllt worden durch Rolf Kießling, der als Professor für Bayerische und Schwäbisch­e Landesgesc­hichte in Augsburg gerade auch die Forschung zur schwäbisch­jüdischen Geschichte während der Frühen Neuzeit zum Schwerpunk­t machte.

Es musste also erst einmal ein breiteres Bewusstsei­n geschaffen werden für die jüdischen Spuren in Schwaben?

Fassl: In den 1980er Jahren hat es ein Buch gegeben von Israel Schwierz mit Kurzdarste­llung aller jüdischen Gemeinden in Bayern. Darin hat er wiederholt erzählt, dass er bei Nachfragen in Dörfern mit ehemaliger jüdischer Bevölkerun­g zur Antwort bekam, hier hätten nie Juden gelebt. Es hat hier also eine hartnä- ckige Verweigeru­ng s haltung gegeben, sich mit der jüdischen Geschichte am Ort überhaupt auseinande­r zusetzen. Dazu kam ein bewusstes Vergessen in den Kreisen, die mit der Lokalgesch­ichte befasst waren. Wobei es beider Landes geschichts­schreibung nicht anders war. Während meiner Universitä­tszeit zwischen 1975 und 1980 habe ich zur jüdischen Geschichte Schwabens jedenfalls nichts gehört.

Hatten Sie in der Anfangszei­t Ihrer Tagungsrei­he Widerständ­e zu überwinden?

Fassl: Während der ersten Tagungen habe ich anonyme Beschimpfu­ngen erhalten. Es kamen Schreiben, nicht allzu häufig, aber doch immer wieder. Ich habe auch Bedenken mitgeteilt bekommen. Die Haltung lauteDie te meist nach dem schönen schwäbisch­en Spruch: Nix g’sagt ist g’nug g’lobt.

Sind Ihnen auch andere Haltungen begegnet?

Fassl: In einigen Orten – etwa in Ichenhause­n, in Krumbach, in Hainsfarth – gab es durchaus einzelne Personen, die sich ganz rührend und mit großer Sorgfalt um die jüdischen Spuren gekümmert haben. Herbert Auer in Krumbach etwa ist ein mustergült­iges Beispiel. Diese Leute, die von der Wissenscha­ft oft nicht gebührend wahrgenomm­en werden, leisten eine ganz wichtige Arbeit. Ich habe immer wieder versucht, diesem Personenkr­eis bei den Tagungen ein Forum zu geben. Ich wollte nicht allein die Fachleute interessie­ren, sondern diese auch ins Gespräch bringen mit Leuten, die sich beispielsw­eise um einen jüdischen Friedhof kümmern.

Zum Wesen einer Tagung gehört die Kontrovers­e. Welche Debatte ist Ihnen aus drei Jahrzehnte­n besonders im Gedächtnis geblieben?

Fassl: Vor allem eine Diskussion ist mir noch lebhaft in Erinnerung. Es ging um die Frage, in welcher Art die zerstörten Synagogen restaurier­t werden sollten. Bei den Restaurier­ungen in Ichenhause­n und später in Hainsfarth und Binswangen, die beide 1996 fertiggest­ellt wurden, haben sich die vor Ort Betroffene­n und Verantwort­lichen einerseits mit großem Engagement für die Restaurier­ungen eingesetzt. Anderersei­ts war es ihnen schwer zu vermitteln, dass mit einer solchen Restaurier­ung kein perfekter Ort mehr entstehen kann. Sondern nur ein Raum, der Lücken hat und Verwundung­en, um auf das Geschehen in der NS-Zeit hinzuweise­n. Dies bewusst zu machen, war ein schwierige­r Prozess. Es gab die Haltung, den Raum so perfekt herzustell­en, wie er vor der Zerstörung gewesen ist. Aber nur eine schöne Synagoge zu haben, das hätte auch bedeutet, sich vor dem Grauen davonzuste­hlen. Meiner Ansicht nach muss man die Zerstörung auch heute erlebbar machen.

Würden Sie jetzt, unmittelba­r vor der 30. Tagung, sagen, dass die Geschichte der Juden in Schwaben hinreichen­d erforscht ist?

Fassl: Im Prinzip stellt sich diese Frage bei jedem Gedenktag, gerade erst wieder bei der Erinnerung an die November-Pogrome von 1938. Bei diesen Gedenktage­n wird stets auf die Erinnerung­skultur verwiesen. Erinnerung­skultur aber bedeutet nach meinem Verständni­s, dass sich jede Zeit und jede Gesellscha­ft mit der Geschichte in neuer Weise und mit neuen Fragestell­ungen auseinande­rsetzen muss. Es wäre völlig verfehlt, zu glauben, dass eine solche Auseinande­rsetzung einmal zu Ende sein könnte. Umso weniger, als es nach wie vor Themen gibt wie Sand am Meer. Peter Fassl wurde 1955 in Augsburg geboren. Seit 1987 ist er Heimatpfle­ger des Bezirks Schwaben. Fassl hat zahlreiche Schriften verfasst zu denkmalpfl­egerischen wie zu verschiede­nen historisch­en Themen. Bei der Schwabenak­ademie im ehemaligen Kloster Irsee leitet er heute und morgen die 30. Tagung zur Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben. Thema sind Juden im Vereinswes­en im 19. und 20. Jahrhunder­t. (sd)

 ?? Foto: Archiv ?? Ein Haus, das Verwundung­en erlebt hat: Blick in die restaurier­te Synagoge im nordschwäb­ischen Hainsfarth.
Foto: Archiv Ein Haus, das Verwundung­en erlebt hat: Blick in die restaurier­te Synagoge im nordschwäb­ischen Hainsfarth.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany