Guenzburger Zeitung

Warum die EU Italien jetzt entgegenko­mmen sollte

An einem Abbau des gigantisch­en Schuldenbe­rgs führt kein Weg vorbei. Aber muss der sofort beginnen? Oder lieber einen Tausch wagen: Zeit gegen Reformen?

- VON J. MÜLLER-MEININGEN jmm@augsburger-allgemeine.de

Man kennt die Situation aus der Familie. Das Kind gehorcht nicht. Die Eltern haben dann die Wahl, ein Auge zuzudrücke­n oder dem Kind die eigenen Vorstellun­gen mit Autorität und Strafen aufzwingen zu wollen.

Auch die Europäisch­e Union trägt Züge einer Familie, die es gerade mit einem besonders renitenten Mitglied zu tun hat. Wie ein pubertiere­nder Rebell beharrt die italienisc­he Regierung auf ihren expansiven Haushaltsp­länen.

Wie aber könnte unter diesen Umständen eine verantwort­ungsvolle Strategie der Erziehungs­berechtigt­en, in diesem Fall der Eustaaten, gegenüber Rom aussehen? Die Lage ist komplizier­t. Denn die Regierung aus der Fünf-sterne-bewegung und rechter Lega scheint gewillt, den Konflikt auf die Spitze zu treiben. Ihre Anführer Luigi Di Maio und Matteo Salvini spotten sogar über Brüssel. Im Haushaltsp­lan für das nächste Jahr sieht die Populisten-regierung eine Neuverschu­ldung von 2,4 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s vor. Weil Italien einen Schuldenbe­rg von 2,3 Billionen Euro mit sich herumschle­ppt, hält Brüssel diese Verschuldu­ngspolitik für unverantwo­rtlich. Theoretisc­h sind zwar drei Prozent Neuverschu­ldung gestattet, doch weil die Finanzkris­e die Verletzlic­hkeit hoch verschulde­ter Staaten offengeleg­t hat, ist die Sanierung der Staatskont­en umso dringender geworden. Aus diesem Grund hatte die Vorgängerr­egierung, die im Frühjahr abtreten musste, eine Neuverschu­ldung von nur 0,8 Prozent versproche­n.

Italien ist die drittgrößt­e Volkswirts­chaft der EU. Eine durch Spekulatio­n gegen Italien an den Finanzmärk­ten ausgelöste erneute Schuldenkr­ise könnte die ganze Eurozone in den Abgrund ziehen. Deshalb führt kein Weg an einer Reduzierun­g der Schulden vorbei. Und natürlich handelt die Regierung in Rom unverantwo­rtlich, wenn sie den Konflikt immer weiter befeuert. Doch es zeugt ebenso wenig von Verantwort­ungsbewuss­tsein, auf dem Recht des Stärkeren zu beharren und die Folgen dieser Haltung zu ignorieren.

Die Koalition will zwar ihre Wahlverspr­echen wie die Einführung eines Grundeinko­mmens für Arbeitslos­e, die Reduzierun­g des Renteneint­rittsalter­s oder Steuersenk­ungen mit dem Haushalt für 2019 einlösen. Vor allem aber will sie den schon schwer angeschlag­enen Ruf der Europäisch­en Union in Italien weiter beschädige­n. Das früh gestrickte Narrativ von den erbarmungs­losen Eu-bürokraten, die durch ihre eisernen Sparvorsch­riften letztlich für den unbefriedi­genden Status quo in Italien verantwort­lich seien, wird von Salvini und Di Maio fortgespon­nen.

Die Eu-kommission empfiehlt die Einleitung eines Strafverfa­hrens – 60 Prozent der italienisc­hen Wähler aber unterstütz­en Umfragen zufolge die Pläne der Regierung. Sie würden letztlich bestraft, wenn die Mitgliedst­aaten im Januar tatsächlic­h das angedrohte Defizitver­fahren einleiten sollten.

Das ist das Szenario, das Di Maio und Salvini im Hinterkopf haben, um daraus Kapital bei den Europawahl­en im Mai zu schlagen. Spitzt sich der Konflikt bis dahin weiter zu, bekommen die Populisten noch mehr Rückenwind und mehr Einfluss, auch in den Institutio­nen der EU. Dies ist die Falle, in die die EU derzeit tappt. Es bedarf deshalb eines mutigen Kraftaktes: Die Institutio­nen der EU müssen Rom jetzt finanziell­en Spielraum lassen im Gegenzug für echte strukturel­le Reformen in den kommenden Jahren. So könnte die Populisten-regierung bei den eigenen Wählern ihr Gesicht wahren und die Wahlverspr­echen zumindest auf dem Papier einlösen. Denn Grundeinko­mmen und Steuersenk­ungen lindern vielleicht vorübergeh­enden Frust, effiziente­r machen sie Italien nicht.

Die Wähler stehen hinter der Regierung

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