Wer hat Angst vor Hubert Aiwanger?
Kabinett In bayerischen Hochtechnologie-firmen wächst die Sorge über die Pläne des neuen Wirtschaftsministers. Dort fürchten einige, dass der Niederbayer zu stark auf Handwerksbetriebe und Wirtshäuser setzt. Und auch Amtsvorgänger warnen ihn vor dicken Fe
München Hubert Aiwanger beherrscht die Kunst, in kurzer Zeit maximal viele Themen unterzubringen – und das pointiert. Glichen einige seiner Vorgänger im Amt – zumindest, was die Wortgeschwindigkeit betrifft – überlegt dahingleitenden Regionalzügen, ist der neue Mann an der Spitze des bayerischen Wirtschaftsministeriums ein verbal Vollstoff fahrender ICE.
Aiwanger wirkt nie um eine Antwort verlegen, so auch bei seiner Pressekonferenz am Donnerstag in München. Um mit dem Freie-wähler-mann und dem aus ihm dauersprudelnden Ideenfluss erkenntnistheoretisch mithalten zu können, bedarf es eines schnell googelnden Geräts. Wie sagt sein neben ihm sitzender Staatssekretär Roland Weigert: Aiwanger sei eben ein Naturwissenschaftler. So kann es sich der Wirtschaftsminister vorstellen, Kühe unter höher angebrachten Sonnenkollektoren an Autobahnen weiden zu lassen. Auf die Schnelle lässt sich nicht endgültig klären, ob sich das wirtschaftlich rechnet.
Ja, und dann führt der 47-Jährige die „durchwachsene Silphie“in die Debatte ein. Dabei handelt es sich nicht um einen Faschingsbrauch oder ein spezielles, edel marmoriertes Stück niederbayerischen Rindfleisches, sondern eine vom Minister favorisierte Pflanze, die sich für Biogas-anlagen als Alternative zum kritisierten Maisanbau eigne. Immer geht es dem Politiker darum, dass „die Bevölkerung in Bayern zufrieden ist“. Dieses Diktum müsse auch für die Luftfahrt und die von Ministerpräsident Markus Söder so geliebte Raumfahrt gelten, verrät Aiwanger unserer Redaktion. In den beiden für diese Region so wichtigen Branchen mit mehr als 20000 Arbeitsplätzen gab es lange Gesichter, als klar wurde, dass die Freien Wähler nach dem Wirtschaftsministerium greifen.
Die Angst ist groß, unter Aiwanger werde die Förderung von solchen Hochtechnologien zurückge- schraubt. Offen sagen will das keiner, doch hinter vorgehaltener Hand stellen viele die Frage: „Was sollen wir tun?“Zunächst einmal ist es immer gut, aus erster Hand in Erfahrung zu bringen, was der Agraringenieur und gelernte Landwirt Aiwanger über den fliegenden Teil der bayerischen Wirtschaft denkt.
Dass er die „durchwachsene Silphie“schätzt, weil sie als Bienenweide gilt und so letztlich auch zu gutem regionalen Honig beiträgt, konnte man sich denken. Doch Aiwangers Luft- und Raumfahrt-philosophie hört sich jetzt durchaus differenzierter an als zu Wahlkampfzeiten, dürfte in der Branche aber dennoch für durchwachsene Stimmung sorgen. Denn der Mann vom Land, der dort Dorfwirtshäuser retten will, ist zwar kein Gegner der Hochtechnologie-förderung. Gegenüber unserer Redaktion bekennt er: „Bayern ist ein Luft- und Raumfahrtstandort. Das soll ausgebaut werden.“Nun folgt indes eine Einschränkung: Die staatlichen Gelder müssten anwenderorientiert eingesetzt werden und sich rentieren. Hier kommt der Generalvorbehalt des Mannes, der Landespolitik gerne aus dem Blickwinkel eines Bürgermeisters sieht, zum Vorschein: „Der Normalbürger will bei Geldern für Luft- und Raumfahrt wissen, ob das als Sinn bei ihm ankommt oder es sich um Höhenflüge irgendwelcher Ingenieure handelt.“
Gute Luft- und Raumfahrtforschung in Aiwangers Sinn ist also eine geerdete Sache, deren Erkenntnisse Landwirten das Leben leichter machen. Das ist die Welt des neuen Ressort-chefs: Er geht vom Kleinen ins Große und verlangt, dass sich das Große gegenüber dem Kleinen rechtfertigen muss. Wegen seines Einsatzes für Lokale auf dem Land spottet schon ein Journalist nach der Pressekonferenz, Aiwanger sei ein Dorfwirtschaftsminister. So einfach funktioniert die Welt des Bayern dann doch nicht, schließlich sagt er: „Klar müssen wir auch auf BMW schauen. Aber am meisten brauchen die kleinen und mittelständischen Firmen unsere Hilfe.“
Unter Inhabern dieser Betriebe dürfte der Minister mehr Freude als Ängste hervorrufen, zumal er das Handwerk „als neue High Society“preist. In dem Wirtschaftszweig müssten mehr Gymnasiasten ihre Zukunft und nicht nur einen „Plan B“sehen. Aiwanger betrachtet die Branche als Hightech-hort und blickt in die Zukunft, wenn auch Handwerker mit Drohnen arbeiten und ein Roboter Fliesen legt, „damit der Mensch nicht nach 40 Jahren gebückter Arbeit mit einer Schleimbeutelentzündung dasteht“.
Aiwanger denkt die Welt von ganz unten und aus einer sehr regionalen Perspektive her. So wünscht er sich als Tourismusminister, dass es künftig nicht mehr in sei, auf Mallorca, sondern im Bayerischen Wald, im Allgäu oder in Franken Urlaub zu machen. In seiner heimeligen Welt essen die Menschen dann regionales Fleisch und keine Steaks aus Argentinien. Aiwanger hat durchaus etwas für den Gedanken wirtschaftlicher Autarkie übrig, also die größtmögliche Unabhängigkeit von Importen. Es wäre ihm auch lieber, es würde in Bayern mehr Energie aus Sonne, Wind und Biomasse erzeugt, „anstatt das Gas vom Putin einzukaufen oder Strom über Windtrassen aus dem Norden zu beziehen“. Irgendwo ist Aiwanger auch ein Grüner und damit in seiner ganzen grellen Buntheit ein gerade für Industrielle schwer fassbarer Typus.
Da könnte es interessant sein, was ihm seine Vorgänger raten. Martin Zeil hat wie Aiwanger keinen Csuhintergrund. Der FDP-MANN war von 2008 bis 2013 Wirtschaftsminister und reihte sich damit als Liberaler in diesem von Csu-größen wie Otto Schedl, Anton Jaumann und Otto Wiesheu geprägten Amt ein. Doch der kosmopolitische und zugleich bodenständige Oberbayer erwarb sich in den harten Zeiten der Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 schnell Respekt.
In Schwaben ist man ohnehin gut auf Zeil zu sprechen, wird doch die Errichtung eines Innovationsparks und die Ansiedlung von außeruniversitären Forschungsinstituten auch mit seinem Namen verbunden. Zeil, der eher zu Gelassenheit als Alarmismus neigt, meint zu Aiwanger: „Sein wirtschaftspolitisches Profil ist sicher noch etwas unklar.“Das Thema sei bislang nicht sein Spezialgebiet gewesen. Wer Zeil, der Zuspitzungen scheut, kennt, merkt: Es schwingt Skepsis mit, was den Freie-wähler-mann betrifft: „Aber er hat eine faire Chance verdient.“Zeil rät Aiwanger, „rauszugehen und mit allen zu reden, um ein Gefühl für die wirtschaftliche Lage zu bekommen“.
Was den Koalitionsvertrag betrifft, wird der Fdp-vertreter doch deutlicher, was auch auf Aiwanger zurückfällt: „Das, was CSU und Freie Wähler so rasch ausgehandelt haben, ist wirtschafts- und technologiepolitisch erschreckend unambitioniert.“Das Defizit erkennt Zeil vor allem bei Zukunfts- und Schlüsseltechnologien. Hier fehlten Leuchttürme. Der FDP-MANN sagt: „Ich kann deshalb die Sorgen vieler Industrie- und Wissenschaftsvertreter angesichts dieser Koalition verstehen.“Der 62-jährige Zeil wäre gerne wieder in den Landtag für die FDP eingezogen. Es klappte nicht.
Auch Erwin Huber war einmal Wirtschaftsminister, von November 2005 bis Oktober 2007. Der 72-jährige CSU-MANN ist als Diplomvolkswirt vom Fach. Man hätte es fast ahnen können, aber von den befragten früheren Amtsinhabern gibt Huber seiner Skepsis gegenüber Aiwanger am deutlichsten Ausdruck. Der Niederbayer sagt über den Niederbayern: „Er trägt viel Populismus im Rucksack mit sich rum.“Das schwere Gepäck müsse er als Minister loswerden. Denn der Csualtvordere meint: „Populismus hilft einem in diesem Amt nicht weiter.“
Ein Wirtschaftsminister, wie ihn sich Huber und auch Otto Wiesheu vorstellen, „muss immer nach vorne blicken und herausfinden, was in fünf bis sechs Jahren wichtig sein könnte“. Da wäre man wieder bei Zeils Leuchttürmen angekommen.
Doch, meint Huber fast ein wenig resigniert: „Aiwangers Arbeitsweise ist es, auf Stimmungen zu setzen.“Der CSU-MANN merkt auch ein wenig spitz an: „Ich glaube, dass für das Amt des bayerischen Wirtschaftsministers Grundkenntnisse volkswirtschaftlicher Zusammenhänge unerlässlich sind.“
Dann kommt Huber gleich zu den großen Stromtrassen, die einmal Windenergie von Norden nach Süden bringen sollen. Am Sinn des Projekts hat Aiwanger immer wieder starke Zweifel erkennen lassen. Der Csu-altmeister argumentiert nun volkswirtschaftlich: „Ohne große Stromtrassen können wir die Energieversorgung Bayerns nicht sicherstellen.“Schließlich langt Huber noch deftiger zu: „Ein Wirtschaftsminister muss das Zusammenspiel kleiner, mittlerer und großer Unternehmen durchblicken. Es genügt nicht, wie Aiwanger zu sagen, man wolle Dorfwirtschaften erhalten.“Jetzt lässt sich förmlich durch das Telefon hindurch erahnen, wie Huber ob seiner Frotzeleien grinst.
Aber was denkt Otto Wiesheu, der von 1993 bis 2005 so lange und erfolgreich bayerischer Wirtschaftsminister war und das Amt mehr als jeder andere seiner Nachfolger geprägt hat? Der 74-Jährige will nicht in Huber’scher Manier frotzeln. Er gibt Aiwanger eher väterlich mit auf den Weg, „nicht auf den kurzfristigen Beifall zu schauen, sondern weit nach vorne zu blicken“. Und Wiesheu sieht Risiken für die Zukunft, gerade was die Überregulierung der Finanzbranche betrifft. „Heimische Banken stöhnen unter dem hohen Maß an Bürokratie.“Das sei gefährlich, denn es gelte: „Ohne eine stabile Finanzbranche keine stabile Wirtschaft.“Das ist eines der vielen ökonomischen Themen, die Aiwanger bei der Auftakt-pressekonferenz unerwähnt lässt.
Und dann die Idee von der „durchwachsenen Silphie“
Martin Zeil fordert Leuchttürme ein