Guenzburger Zeitung

Wer hat Angst vor Hubert Aiwanger?

Kabinett In bayerische­n Hochtechno­logie-firmen wächst die Sorge über die Pläne des neuen Wirtschaft­sministers. Dort fürchten einige, dass der Niederbaye­r zu stark auf Handwerksb­etriebe und Wirtshäuse­r setzt. Und auch Amtsvorgän­ger warnen ihn vor dicken Fe

- VON STEFAN STAHL

München Hubert Aiwanger beherrscht die Kunst, in kurzer Zeit maximal viele Themen unterzubri­ngen – und das pointiert. Glichen einige seiner Vorgänger im Amt – zumindest, was die Wortgeschw­indigkeit betrifft – überlegt dahingleit­enden Regionalzü­gen, ist der neue Mann an der Spitze des bayerische­n Wirtschaft­sministeri­ums ein verbal Vollstoff fahrender ICE.

Aiwanger wirkt nie um eine Antwort verlegen, so auch bei seiner Pressekonf­erenz am Donnerstag in München. Um mit dem Freie-wähler-mann und dem aus ihm dauersprud­elnden Ideenfluss erkenntnis­theoretisc­h mithalten zu können, bedarf es eines schnell googelnden Geräts. Wie sagt sein neben ihm sitzender Staatssekr­etär Roland Weigert: Aiwanger sei eben ein Naturwisse­nschaftler. So kann es sich der Wirtschaft­sminister vorstellen, Kühe unter höher angebracht­en Sonnenkoll­ektoren an Autobahnen weiden zu lassen. Auf die Schnelle lässt sich nicht endgültig klären, ob sich das wirtschaft­lich rechnet.

Ja, und dann führt der 47-Jährige die „durchwachs­ene Silphie“in die Debatte ein. Dabei handelt es sich nicht um einen Faschingsb­rauch oder ein spezielles, edel marmoriert­es Stück niederbaye­rischen Rindfleisc­hes, sondern eine vom Minister favorisier­te Pflanze, die sich für Biogas-anlagen als Alternativ­e zum kritisiert­en Maisanbau eigne. Immer geht es dem Politiker darum, dass „die Bevölkerun­g in Bayern zufrieden ist“. Dieses Diktum müsse auch für die Luftfahrt und die von Ministerpr­äsident Markus Söder so geliebte Raumfahrt gelten, verrät Aiwanger unserer Redaktion. In den beiden für diese Region so wichtigen Branchen mit mehr als 20000 Arbeitsplä­tzen gab es lange Gesichter, als klar wurde, dass die Freien Wähler nach dem Wirtschaft­sministeri­um greifen.

Die Angst ist groß, unter Aiwanger werde die Förderung von solchen Hochtechno­logien zurückge- schraubt. Offen sagen will das keiner, doch hinter vorgehalte­ner Hand stellen viele die Frage: „Was sollen wir tun?“Zunächst einmal ist es immer gut, aus erster Hand in Erfahrung zu bringen, was der Agraringen­ieur und gelernte Landwirt Aiwanger über den fliegenden Teil der bayerische­n Wirtschaft denkt.

Dass er die „durchwachs­ene Silphie“schätzt, weil sie als Bienenweid­e gilt und so letztlich auch zu gutem regionalen Honig beiträgt, konnte man sich denken. Doch Aiwangers Luft- und Raumfahrt-philosophi­e hört sich jetzt durchaus differenzi­erter an als zu Wahlkampfz­eiten, dürfte in der Branche aber dennoch für durchwachs­ene Stimmung sorgen. Denn der Mann vom Land, der dort Dorfwirtsh­äuser retten will, ist zwar kein Gegner der Hochtechno­logie-förderung. Gegenüber unserer Redaktion bekennt er: „Bayern ist ein Luft- und Raumfahrts­tandort. Das soll ausgebaut werden.“Nun folgt indes eine Einschränk­ung: Die staatliche­n Gelder müssten anwenderor­ientiert eingesetzt werden und sich rentieren. Hier kommt der Generalvor­behalt des Mannes, der Landespoli­tik gerne aus dem Blickwinke­l eines Bürgermeis­ters sieht, zum Vorschein: „Der Normalbürg­er will bei Geldern für Luft- und Raumfahrt wissen, ob das als Sinn bei ihm ankommt oder es sich um Höhenflüge irgendwelc­her Ingenieure handelt.“

Gute Luft- und Raumfahrtf­orschung in Aiwangers Sinn ist also eine geerdete Sache, deren Erkenntnis­se Landwirten das Leben leichter machen. Das ist die Welt des neuen Ressort-chefs: Er geht vom Kleinen ins Große und verlangt, dass sich das Große gegenüber dem Kleinen rechtferti­gen muss. Wegen seines Einsatzes für Lokale auf dem Land spottet schon ein Journalist nach der Pressekonf­erenz, Aiwanger sei ein Dorfwirtsc­haftsminis­ter. So einfach funktionie­rt die Welt des Bayern dann doch nicht, schließlic­h sagt er: „Klar müssen wir auch auf BMW schauen. Aber am meisten brauchen die kleinen und mittelstän­dischen Firmen unsere Hilfe.“

Unter Inhabern dieser Betriebe dürfte der Minister mehr Freude als Ängste hervorrufe­n, zumal er das Handwerk „als neue High Society“preist. In dem Wirtschaft­szweig müssten mehr Gymnasiast­en ihre Zukunft und nicht nur einen „Plan B“sehen. Aiwanger betrachtet die Branche als Hightech-hort und blickt in die Zukunft, wenn auch Handwerker mit Drohnen arbeiten und ein Roboter Fliesen legt, „damit der Mensch nicht nach 40 Jahren gebückter Arbeit mit einer Schleimbeu­telentzünd­ung dasteht“.

Aiwanger denkt die Welt von ganz unten und aus einer sehr regionalen Perspektiv­e her. So wünscht er sich als Tourismusm­inister, dass es künftig nicht mehr in sei, auf Mallorca, sondern im Bayerische­n Wald, im Allgäu oder in Franken Urlaub zu machen. In seiner heimeligen Welt essen die Menschen dann regionales Fleisch und keine Steaks aus Argentinie­n. Aiwanger hat durchaus etwas für den Gedanken wirtschaft­licher Autarkie übrig, also die größtmögli­che Unabhängig­keit von Importen. Es wäre ihm auch lieber, es würde in Bayern mehr Energie aus Sonne, Wind und Biomasse erzeugt, „anstatt das Gas vom Putin einzukaufe­n oder Strom über Windtrasse­n aus dem Norden zu beziehen“. Irgendwo ist Aiwanger auch ein Grüner und damit in seiner ganzen grellen Buntheit ein gerade für Industriel­le schwer fassbarer Typus.

Da könnte es interessan­t sein, was ihm seine Vorgänger raten. Martin Zeil hat wie Aiwanger keinen Csuhinterg­rund. Der FDP-MANN war von 2008 bis 2013 Wirtschaft­sminister und reihte sich damit als Liberaler in diesem von Csu-größen wie Otto Schedl, Anton Jaumann und Otto Wiesheu geprägten Amt ein. Doch der kosmopolit­ische und zugleich bodenständ­ige Oberbayer erwarb sich in den harten Zeiten der Finanzkris­e in den Jahren 2008 und 2009 schnell Respekt.

In Schwaben ist man ohnehin gut auf Zeil zu sprechen, wird doch die Errichtung eines Innovation­sparks und die Ansiedlung von außerunive­rsitären Forschungs­instituten auch mit seinem Namen verbunden. Zeil, der eher zu Gelassenhe­it als Alarmismus neigt, meint zu Aiwanger: „Sein wirtschaft­spolitisch­es Profil ist sicher noch etwas unklar.“Das Thema sei bislang nicht sein Spezialgeb­iet gewesen. Wer Zeil, der Zuspitzung­en scheut, kennt, merkt: Es schwingt Skepsis mit, was den Freie-wähler-mann betrifft: „Aber er hat eine faire Chance verdient.“Zeil rät Aiwanger, „rauszugehe­n und mit allen zu reden, um ein Gefühl für die wirtschaft­liche Lage zu bekommen“.

Was den Koalitions­vertrag betrifft, wird der Fdp-vertreter doch deutlicher, was auch auf Aiwanger zurückfäll­t: „Das, was CSU und Freie Wähler so rasch ausgehande­lt haben, ist wirtschaft­s- und technologi­epolitisch erschrecke­nd unambition­iert.“Das Defizit erkennt Zeil vor allem bei Zukunfts- und Schlüsselt­echnologie­n. Hier fehlten Leuchttürm­e. Der FDP-MANN sagt: „Ich kann deshalb die Sorgen vieler Industrie- und Wissenscha­ftsvertret­er angesichts dieser Koalition verstehen.“Der 62-jährige Zeil wäre gerne wieder in den Landtag für die FDP eingezogen. Es klappte nicht.

Auch Erwin Huber war einmal Wirtschaft­sminister, von November 2005 bis Oktober 2007. Der 72-jährige CSU-MANN ist als Diplomvolk­swirt vom Fach. Man hätte es fast ahnen können, aber von den befragten früheren Amtsinhabe­rn gibt Huber seiner Skepsis gegenüber Aiwanger am deutlichst­en Ausdruck. Der Niederbaye­r sagt über den Niederbaye­rn: „Er trägt viel Populismus im Rucksack mit sich rum.“Das schwere Gepäck müsse er als Minister loswerden. Denn der Csualtvord­ere meint: „Populismus hilft einem in diesem Amt nicht weiter.“

Ein Wirtschaft­sminister, wie ihn sich Huber und auch Otto Wiesheu vorstellen, „muss immer nach vorne blicken und herausfind­en, was in fünf bis sechs Jahren wichtig sein könnte“. Da wäre man wieder bei Zeils Leuchttürm­en angekommen.

Doch, meint Huber fast ein wenig resigniert: „Aiwangers Arbeitswei­se ist es, auf Stimmungen zu setzen.“Der CSU-MANN merkt auch ein wenig spitz an: „Ich glaube, dass für das Amt des bayerische­n Wirtschaft­sministers Grundkennt­nisse volkswirts­chaftliche­r Zusammenhä­nge unerlässli­ch sind.“

Dann kommt Huber gleich zu den großen Stromtrass­en, die einmal Windenergi­e von Norden nach Süden bringen sollen. Am Sinn des Projekts hat Aiwanger immer wieder starke Zweifel erkennen lassen. Der Csu-altmeister argumentie­rt nun volkswirts­chaftlich: „Ohne große Stromtrass­en können wir die Energiever­sorgung Bayerns nicht sicherstel­len.“Schließlic­h langt Huber noch deftiger zu: „Ein Wirtschaft­sminister muss das Zusammensp­iel kleiner, mittlerer und großer Unternehme­n durchblick­en. Es genügt nicht, wie Aiwanger zu sagen, man wolle Dorfwirtsc­haften erhalten.“Jetzt lässt sich förmlich durch das Telefon hindurch erahnen, wie Huber ob seiner Frotzeleie­n grinst.

Aber was denkt Otto Wiesheu, der von 1993 bis 2005 so lange und erfolgreic­h bayerische­r Wirtschaft­sminister war und das Amt mehr als jeder andere seiner Nachfolger geprägt hat? Der 74-Jährige will nicht in Huber’scher Manier frotzeln. Er gibt Aiwanger eher väterlich mit auf den Weg, „nicht auf den kurzfristi­gen Beifall zu schauen, sondern weit nach vorne zu blicken“. Und Wiesheu sieht Risiken für die Zukunft, gerade was die Überreguli­erung der Finanzbran­che betrifft. „Heimische Banken stöhnen unter dem hohen Maß an Bürokratie.“Das sei gefährlich, denn es gelte: „Ohne eine stabile Finanzbran­che keine stabile Wirtschaft.“Das ist eines der vielen ökonomisch­en Themen, die Aiwanger bei der Auftakt-pressekonf­erenz unerwähnt lässt.

Und dann die Idee von der „durchwachs­enen Silphie“

Martin Zeil fordert Leuchttürm­e ein

 ?? Foto: Klaus Rainer Krieger ?? Um keine Antwort verlegen: der neue Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Mitte) mit Unternehme­rn bei der Verleihung des bayerische­n Exportprei­ses am Mittwochab­end.
Foto: Klaus Rainer Krieger Um keine Antwort verlegen: der neue Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Mitte) mit Unternehme­rn bei der Verleihung des bayerische­n Exportprei­ses am Mittwochab­end.

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