Guenzburger Zeitung

Eine gegen alle

Mal galt sie als „schlechtes­te Regierungs­chefin aller Zeiten“oder als „Terminator“: Theresa May zieht unbeirrt ihren Brexit-kurs gegen alle Widerständ­e und Kritik durch. Nun steht sie kurz vor dem finalen Austritts-deal mit der EU. Was treibt die 62-Jähri

- VON KATRIN PRIBYL

London Das derzeitige Drama um die britische Premiermin­isterin weckt Erinnerung­en. Im Jahr 1990 hatte schon einmal eine Regierungs­chefin um ihr politische­s Überleben gekämpft, weil der Streit um Großbritan­niens Mitgliedsc­haft in der EU eskaliert war. Die innerparte­iliche Machtprobe ging zugunsten der europaskep­tischen, konservati­ven Meuterer aus. Im November 1990 verkündete Margaret Thatcher, die Eiserne Lady, ihren Rücktritt. Wiederholt sich die Geschichte? Bislang hält Theresa May beharrlich durch. Während die Brexithard­liner in den Reihen der Tories mit einem Misstrauen­svotum drohen und die Europa-freunde ihrerseits einen Aufstand planen, während es im Kabinett zugeht wie im Taubenschl­ag und die Presse verbal auf sie einprügelt, verteidigt die Regierungs­chefin unbeirrt und fast stoisch das von London und Brüssel ausgehande­lte Austrittsa­bkommen. Es handele sich um „den richtigen Deal für das Königreich“, sagte die 62-Jährige, die bei der Volksabsti­mmung zwar für den Eu-verbleib votierte, aber nun die Europa-skeptiker zufriedenz­ustellen versucht.

Wie viele politische Nachrufe wurden schon auf jene Frau geschriebe­n, die wahlweise als „schlechtes­te Regierungs­chefin aller Zeiten“oder als „Terminator“beschriebe­n wird, weil sie auch die schlimmste­n Krisen übersteht?

Insbesonde­re der Verlust der absoluten Mehrheit nach der von ihr ausgerufen­en Neuwahl 2017 sitzt tief. Ungelenk, zaudernd und verkrampft – May patzte damals und präsentier­te sich als roboterhaf­te Wahlkämpfe­rin. Trotzdem verblieb sie in der Downing Street. Die Premiermin­isterin als „the last woman standing“, als letzte Überlebend­e im das mit dem Eu-referendum 2016 begonnen hat.

Diesen Umstand verdankt sie zum einen dem Mangel an Alternativ­en, auf die sich die tief gespaltene konservati­ve Partei einigen könnte. Keiner drängt darauf, das Brexitchao­s zu übernehmen und die komplexe Scheidung von der Gemeinscha­ft zu einem Ende zu bringen.

Zum anderen aber liegt es am Durchhalte­vermögen, manche nennen es auch Sturheit, von May, die schon zu Schulzeite­n das Ziel hatte, eines Tages die erste Premiermin­isterin des Königreich­s zu werden. Den Titel übernahm bekannterm­aßen Thatcher. May ist die zweite Frau an der Spitze. Und wie ihr Vorbild präsentier­t sich die Frau mit der Vorliebe für auffällige Designersc­huhe und Halsketten in vielen Punkten als unnachgieb­ig. Doch anders als Thatcher forderte May schon früh einen neuen Konservati­smus, der sich sozialer präsentier­t.

Häufiger wurde sie mit Kanzlerin Angela Merkel verglichen. Beide, Pastorentö­chter und kinderlos, fallen durch Fleiß, ein hohes Arbeitseth­os und ihre Willensstä­rke auf. Zudem konzentrie­ren sich die Pragpolitt­heater, matikerinn­en lieber auf die Sache, als dass sie den großen Auftritt suchen.

In Westminste­r, wo alte Seilschaft­en aus Eliteschul-zeiten viel gelten und Entscheidu­ngen gerne im Pub getroffen werden, heißt es, die Politikeri­n habe keine wirklichen Freunde. Den Menschen May sehen die Briten nur selten durchschim­mern. So liebt sie das Wandern, sammelt Kochbücher und ist seit 38 Jahren mit ihrer Jugendlieb­e Philip, einem Banker, verheirate­t, nachdem sich das Paar in Oxford während des Studiums kennengele­rnt hat. Heute leben die beiden in Sonning in ihrem Wahlkreis Maidenhead, eine Autostunde von London entfernt. Als sie in der vergangene­n Woche nach einer fünfstündi­gen Kabinettss­itzung zum Brexitdeal erschöpft nach Hause kam, reichte Philip ihr erst einmal ein „dringend benötigtes“großes Glas Whisky. Er sei ihr „Fels“, sagt May, die sonst nur ihrem engsten Mitarbeite­rstab traut. Auch deshalb versucht sie, so heißt es in Westminste­r, alles und jeden zu kontrollie­ren – zum Leidwesen vieler Parteikoll­egen. Die Verhandlun­gen mit der EU etwa habe sie schon früh und zu sehr an sich gerissen, was nach eigenem Bekunden zu den Rücktritte­n von zwei Brexit-ministern geführt hat.

Den Mangel an Charisma versuchte May schon als Innenminis­terin durch ihre resolute Art und Detailgena­uigkeit auszugleic­hen. Nun hat sie versucht, die unmögliche Aufgabe zu schaffen, einen Kompromiss mit der EU zu finden, der sowohl die Brexit-anhänger als auch die Eu-freunde im Königreich zufriedens­tellt. Bislang sieht es nicht danach aus, als ob ihr das gelungen ist. Doch wieder einmal fehlt es an Alternativ­en für ihren dargeboten­en Deal. Es könnte der Premiermin­isterin abermals das politische Überleben sichern.

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Foto: John Thys, afp Premiermin­isterin Theresa May. Eu-kommission­schef Jean-claude Juncker: Durchhalte­vermögen seit Schulzeite­n.

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